EU-Ratspräsidentschaft Bukarest steht vor Mammutaufgaben
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15. Januar 2019, 21:28 Uhr
Die rumänische Premierministerin Viorica Dancila hat am Dienstag vor dem EU-Parlament die Prioritäten der EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt. Es sind knifflige Themen, die die EU-Länder derzeit umtreiben. Streit ist vorprogrammiert. Die Bukarester Regierung wird hier für Schlichtung sorgen müssen, wenn man sie ernst nimmt.
Viele Projekte, die die rumänische EU-Ratspräsidentschaft zu verhandeln hat, sind der Bukarester Regierung als Pflichtprogramm vorgegeben. Es sind Themen, die die EU-Staaten schon seit langem beschäftigen und die großteils in den nächsten Monaten zum Abschluss kommen sollen. Was steht konkret an?
Thema 1: Harter Brexit sehr wahrscheinlich
Das britische Parlament hat das mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen am Dienstag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Ein geordneter Austritt Großbritanniens aus der EU, der am 29. März erfolgen soll, ist damit hinfällig. Stattdessen gilt ein harter Brexit als sehr wahrscheinlich. Auch könnte es sein, dass Großbritannien die EU um ein späteres Austrittsdatum bittet. Möglicherweise ist die EU auch zu weiteren Verhandlungen bereit. Das gilt zwar als unwahrscheinlich, da alle EU-Mitgliedsstaaten neuen Änderungen zustimmen müssten, ist aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Rumänien hat am politischen Geschehen ein riesiges Interesse, da über 400.000 Landsleute auf der Insel leben.
Thema 2: Wie geht es nach dem Brexit mit dem EU-Haushalt weiter?
Die EU-Kommission drängt darauf, dass der nächste EU-Haushalt für 2021 bis 2027 noch unter ihrer Ägide und damit vor der Europawahl Ende Mai verabschiedet wird. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, zumal die Haushaltsverhandlungen zwischen den EU-Staaten einem Hauen und Stechen gleichkommen. Jetzt aber ist die Ausgangssituation noch komplizierter. Durch den Austritt Großbritanniens fällt von 2021 der drittgrößte Nettozahler in der EU weg – eine finanzielle Lücke, die die verbleibenden Mitglieder ausgleichen müssen. Die rumänische Regierung wird die Finanzverhandlungen der EU-Länder leiten und vor allem zwischen den weit auseinanderliegenden Positionen vermitteln müssen, damit die Mitgliedsstaaten auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
Thema 3: Maßnahmenpaket zur Migration
Die österreichische Regierung hatte in ihrer EU-Ratspräsidentschaft den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex zu ihrem großen Ziel erklärt, doch scheiterte sie im Dezember schlussendlich am Widerstand der EU-Mitgliedsstaaten. Eine Aufstockung des Personals wurde auf ein späteres Datum vertagt. Die rumänische Regierung will nach eigenen Angaben das Thema weiter vorantreiben. Wie, ist bislang unklar. "Eine Pflichtquote für die EU-Staaten" lehnt Premierministerin Viorica Dancila nach eigenen Angaben jedoch kategorisch ab, auch wenn sich Rumänien an der EU-weiten Verteilung – anders als Ungarn, Tschechien und Polen – beteiligt hatte.
Thema 4: EU-Wahlen im Mai
Bereits im April wird das EU-Parlament pausieren, dann folgt die Zeit des Wahlkampfes für die anstehende Europawahl. Die rumänische EU-Ratspräsidentschaft wird damit aber nicht kürzer als üblich ausfallen. Auch gibt es genügend Themen in der EU, bei denen die einzelnen Mitgliedsstaaten noch keine Position gefunden haben. Hier muss die Bukarester Regierung bei formellen und informellen Treffen auf Lösungen drängen.
Eigenes Thema: Erweiterung des Schengenraumes
Neben den Pflichtthemen kann ein Land, das die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, auch Inhalte setzen, die ihm besonders am Herzen liegen – vorausgesetzt sie sind für die gesamte EU relevant.
So drängt die Bukarester Regierung auf einen baldigen Beitritt des Landes zum Schengenraum. Bei ihrem Auftritt vor dem EU-Parlament sagte Regierungschefin Viorica Dancila am Dienstag, ihre Landsleute würden sich ungerecht behandelt fühlen, wenn sie sehen, dass ihnen der Beitritt zum Schengenraum verwehrt werde.
In der Vergangenheit hatten sich mehrere westeuropäische Staaten, darunter Deutschland, immer wieder gegen eine Aufnahme ausgesprochen und argumentiert, dass die Korruption im Land zu stark verbreitet sei. Rumänien und Bulgarien werden seit ihrem EU-Beitritt regelmäßig durch die EU-Kommission mit einem Kooperations- und Kontrollverfahren (CVM) überprüft, wie konsequent beide Länder gegen die im großen Stil betriebene Korruption vorgehen. Bei der jüngsten Auswertung im November kritisierte die EU-Kommission die Bukarester Regierung heftig dafür, dass sie den Kampf gegen Korruption deutlich geschwächt habe.
Kooperations- und Kontrollverfahren (CVM) Rumänien akzeptierte das Verfahren, um 2007 der EU betreten zu dürfen. Die EU-Kommission prüft damit die Wahrung des Rechtsstaates und den Kampf gegen Korruption im Land. Nur die Kommission selbst kann das Verfahren beenden. Sie muss jedoch zuvor den Rat der Staats- und Regierungschefs davon in Kenntnis setzen.
Scharfe Kritik von liberaler Fraktion
Der Chef der liberalen ALDE-Fraktion, Guy Verhofstadt, warnte am Dienstag im EU-Parlament die Bukarester Regierung vor einem "Weiter so". Man erwarte, dass das rumänische Parlament auf die Kritik aus Brüssel reagiere und die entsprechenden Justizgesetze verändere. In seiner Rede sagte Verhofstadt mit Blick auf die beiden osteuropäischen Sorgenkinder Ungarn und Polen, dass Rumänien "den Weg von Orban und Kaczynski" einschlag.
Zugleich warnte er die Bukarester sozialliberale Regierung, nicht weit von einer Einleitung des Artikel-7-Strafverfahrens entfernt zu sein. Gegen Polen läuft bereits ein solches Verfahren, dass im Extremfall zum Entzug der Stimmrechte in der EU führen kann. Die liberale Partei ALDE, die im EU-Parlament zur gleichnamigen Fraktion gehört, ist in Rumänien der kleinere Regierungspartner der sozialdemokratischen PSD.
Bukarest will nicht mehr von Brüssel überprüft werden
Die Kritik aus Brüssel stößt bisher bei PSD und ALDE auf taube Ohren. Regierungschefin Viorica Dancila würde das Brüsseler Kontrollverfahren zudem am liebsten abschaffen lassen. Im MDR-Interview sagte sie, dass es diskriminierend sei, dass die Evaluierung lediglich für Rumänien und Bulgarien gelte. Hier werde in der EU mit zweierlei Maß gemessen. "Korruption kommt nicht nur in Rumänien vor. Wir sehen auch in anderen EU-Ländern hochrangige Korruptionsfälle“, begründet die sozialdemokratische Regierungschefin ihre Forderung nach einer Abschaffung des Verfahrens.
Verfahren EU-weit ausdehnen?
Dass Brüssel die Bukarester Regierung künftig nicht mehr evaluieren sollte, hält der Bukarester Politikanalyst Sorin Ionita vom Think Tank "Expert Forum" im MDR-Interview für den "völlig falschen Weg". Statt das Verfahren abzuschaffen, müsse es ausgeweitet werden, fordert Ionita. So solle ein Rating entwickelt werden, mit dessen Hilfe das Ausmaß der Korruption in allen EU-Ländern gemessen werden könne. So ließe sich beispielsweise überprüfen, wie die Regierungen ihre Fördermittel an die Regionalverwaltungen verteilen. "In ganz Osteuropa wird die Mittelvergabe an Bedingungen geknüpft. Die regionalen Behörden müssen im Gegenzug für die Gelder genügend Wählerstimmen zusammenbringen, damit die Regierungspartei bei der nächsten Wahl wieder gewinnt", sagt Ionita.
Dass sich die Bukarester Regierung in ihrer Ratspräsidentschaft für ein solches EU-weites Rating einsetzen wird, hält Ionita jedoch für ausgeschlossen. Er weiß, PSD und ALDE wollen im kommenden Jahr die Wahlen selbst auf diese Weise wieder gewinnen.
(amue)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: Fernsehen | 11.01.2019 | 17:45 Uhr