Polen Ein Jahr PiS-Regierung

15. November 2016, 21:12 Uhr

Rechtsruck am 16. November 2015 in Polen: Die nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) übernimmt nach dem Gewinn der absoluten Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Oktober die Alleinregierung. Im Land treibt sie Veränderungen im Justiz-, Medien- und Schulsystem voran. Nationalistische Töne, darunter auch deutschlandfeindliche, werden lauter. Der Westen sieht vor allem wegen der Eingriffe in die Gewaltenteilung die Demokratie in Gefahr.

Justizreform

Zentrales Element der Justizreform ist die faktische Entmachtung des obersten Verfassungsgerichts. Die Regierung behindert in der vorherigen Legislaturperiode ernannte Verfassungsrichter bei der Arbeit, installiert eigene Kandidaten. Dies sei verfassungswidrig, urteilte das Gericht  in eigener Sache. Doch die Regierung erkennt das Gericht und damit das Urteil nicht an.

Konflikt mit der EU-Kommission

Der Streit um die Justizreform rief schnell die EU-Kommission auf den Plan, welche der polnischen Regierung auch ein Ultimatum zur Abänderung stellte. Geschehen ist bislang nichts. Sanktionen gegen Polen müssten die EU-Mitgliedsstaaten zustimmen, mindestens Ungarn wird da nicht mitziehen. Und auch EU-Gelder, von denen bis jetzt vor allem die polnischen Bauern, also traditionell konservativ wählende Polen, profitieren, können nicht einfach so gekürzt oder gestrichen werden.

Kontrolle der Medien

Die öffentlich-rechtlichen Medien werden mittlerweile von der PiS kontrolliert. Die Regierung erließ ein Gesetz, das ihr erlaubt, die Vorstände und Chefs bei Fernsehen, Radio und Co. zu ernennen. Zahlreiche Journalisten wurden entlassen oder traten zurück und wurden durch Kandidaten katholischer und nationalkonservativer Medien ersetzt. Journalistenverbände werten dies als Gefahr für die Pressefreiheit. Die einseitige regierungsfreundliche Berichterstattung und Zensur ging sogar so weit, dass mahnende Worte des US-Präsidenten Obama als Lob für Polen dargestellt wurden. Das Publikum stimmte inzwischen mit der Fernbedienung ab: Seit der Medienreform verlieren die öffentlich-rechtlichen Sender immer mehr Nutzer.

Verschärfung des Abtreibungsrechts

In diesem Punkt hat sich die Regierung nicht durchsetzen können. Im Oktober demonstrierten landesweit Zehntausende Polen gegen eine Verschärfung des ohnehin schon sehr strengen Abtreibungsgesetzes im Land. Die PiS hatte sich hier vor den Karren einer konservativ-katholischen Bürgerbewegung spannen lassen, die Abtreibungen total verbieten und mit Haftstrafen ahnden wollte.

Kindergeld

Im Wahlkampf 2015 hatte die PiS Experten zufolge nicht zuletzt durch das Versprechen punkten können, Kindergeld einzuführen. Es gibt inzwischen ab dem zweiten Kind 500 Zloty, umgerechnet rund 115 Euro, pro Monat. Das kostet den polnischen Staatshaushalt eine Milliardensumme. Doch wird für rund die Hälfte aller polnischen Kinder, nämlich die ersten Kinder der Familien, kein Kindergeld gezahlt. Grund: Der polnische Staat kann sich das nicht leisten.

Und: Nach dem Zurückrudern bei der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes brachte PiS schnell ein "Programm zur Unterstützung schwieriger Schwangerschaften" auf den Weg. Frauen, die sich entscheiden, ihr schwerkrankes oder behindertes Baby auf die Welt zu bringen, erhalten einmalig 4.000 Zloty. Auch dieses Gesetz ist umstritten.

Bildungs- und Schulsystem

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Fr 14.10.2016 11:26Uhr 00:49 min

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Hier setzt PiS sowohl an den Strukturen als auch an den Inhalten und der Ausrichtung des Unterrichts an. Patriotismus wird mehr Platz eingeräumt. Und Bildungsministerin Anna Zalewska will schon im Jahr 2017 zurück zur achtjährigen Grundschule.

Verschwörungstheorie zum Absturz bei Smolensk

Der Absturz der Präsidentenmaschine am 10. April 2010 nahe Smolensk, bei dem Präsident Lech Kaczynski und ein großer Teil der politischen und militärischen Elite Polens ums Leben kamen, hat das Land traumatisiert. Viele Polen gehen immer noch von einem Anschlag aus. Auch die PiS-Regierung hat sich diese Lesart zu eigen gemacht und rollt die Ermittlungen wieder auf. Im Zuge dessen wurde am 14. November mit der Exhumierung der Absturzopfer begonnen – gegen den Widerstand vieler Angehöriger und großen Bedenken der katholischen Kirche, der die PiS eigentlich sehr nahe steht. Als Drahtzieher im Hintergrund gilt Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des getöteten damaligen Präsidenten und Vorsitzender der PiS.