Umstrittenes Gesetz 4.000 Zloty Prämie für die Geburt eines behinderten Kindes
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07. November 2016, 13:00 Uhr
Der Sejm hat am 4. November 2016 einen umstrittenen Gesetzentwurf verabschiedet: 4.000 Zloty sollen Frauen erhalten, die sich entscheiden, ein schwer krankes oder behindertes Kind auf die Welt zu bringen.
"Wenn das wirklich so kommt, wäre es ein guter Anfang", sagt Robert Adameczek, Vater der 7-jährigen Maja mit Down-Syndrom. "Als unsere Tochter geboren wurde, war für uns viel wichtiger, dass uns jemand an die Hand nimmt und durch diese neue Situation führt. Geld war weniger wichtig, aber für Eltern, die nicht viel verdienen, ist es sicher eine Unterstützung." Robert Adameczek und seine Frau kriegen - bis Maja 16 Jahre alt wird - jeden Monat umgerechnet nicht einmal 40 Euro Unterstützung. "Wenn Maja jetzt auf die Welt käme, würde ich mich trotzdem viel mehr über eine gute Physiotherapie als über Geld freuen", fügt er hinzu.
"Unmoralisches" Angebot
Nach massiven Protesten gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes ist die nationalkonservative Regierung in Polen von einem strikten Abtreibungsverbot zwar abgerückt. Regierungschefin Szydlo kündigte aber an, man werde Frauen unterstützen, die ein krankes Kind auf die Welt bringen: Künftig sollen 4.000 Zloty (umgerechnet etwa 1.000 Euro) gezahlt werden, wenn eine Frau sich entscheidet, ein schwer krankes Kind zu bekommen.
Das sei äußerst problematisch, sagt der Professor für Ethik und Philosophie an der Universität Lublin, Leslaw Hostynski. "Es ist völlig unmoralisch, so etwas überhaupt vorzuschlagen. Dahinter steckt nichts anderes als Ideologie und Politik. Die Regierung will zeigen, dass man sich um die Interessen bestimmter Gruppen kümmert [...]."
Andere Kritiker des neuen Gesetzes weisen darauf hin, dass es sich bei der Prämie um eine Art von Bestechung handele.
Die Ministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Elzbieta Rafalska, betonte auf einer Pressekonferenz, dass der Regierung klar sei, Geld alleine löse das Problem von Familien, die kranke Kinder großziehen, nicht. Die Regierung betont, dass das neue Gesetz lediglich der erste Schritt eines großen Projektes sei. Und überdies: Außer den 4.000 Zloty sollen die betroffenen Frauen auch psychologische Unterstützung bekommen. Auch eine palliative Betreuung soll ihnen zugesichert werden. Die Einzelheiten sollen bis zum Ende des Jahres bekannt gegeben werden.
"Lächerlich wenig Geld"
Henryka Krzywonos-Strychanska ist eine mittlerweile legendäre Aktivistin der Gewerkschaft Solidarnosc, heute ist sie Abgeordnete der Bürgerplatform (PO). Krzywonos-Strychanska hat zwölf Kinder großgezogen und kennt den Alltag von Kindern mit einem Handicap. "Das Gesetz heißt Pro Leben, aber es sollte besser heißen: dahinvegetieren. Denn es ist lächerlich wenig Geld, dass die Frauen erhalten sollen. Es geht der Regierung doch nur darum, Stimmen zu gewinnen." Und sie sieht noch eine weitere Gefahr bei der Umsetzung dieses Gesetzes: "Was denken Sie, wie viele Frauen das Geld einfach nehmen werden und danach ihre Kinder ins Heim abgeben?“
Gegen das Gleichheitsgebot der Verfassung
Ein anderer Aspekt, den die Kritiker des Gesetzes anführen, ist, dass andere behinderte Personen diskriminiert werden. Schon 2014 sagte das Verfassungsgericht (damals ging es um die Unterstützung von Betreuern von Erwachsenen mit Handicap), dass eine solche Ungleichbehandlung der Verfassung widerspräche, denn man könne nicht Kinder "privilegieren", bei denen während der Schwangerschaft oder Geburt eine Behinderung festgestellt wird. Dies wäre denen gegenüber unfair, die später erkrankt sind.
Robert Adameczek, der Vater der 7-jährigen Maja, will die politische Debatte in seinem Land nicht kommentieren. Er und seine Frau hoffen vielmehr auf weitere Verbesserungen und Hilfen des Staats für Eltern mit kranken Kindern. Sie beide hätten sich in der Vergangenheit mehr schlecht als recht allein durchschlagen müssen.