Hitzige Kontroversen um die "Große Bulgarische Mauer"
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28. August 2017, 11:27 Uhr
Die bulgarische Regierung ist stolz auf den Grenzzaun, den sie an der EU-Außengrenze zur Türkei errichten lässt. Sie spricht von der "Großen Bulgarischen Mauer". Doch der Zaun hat immer noch Löcher und wird viel teurer als veranschlagt.
"Bulgarien muss stolz sein auf den stabilsten Zaun der ganzen Europäischen Union, den man getrost die 'Große Bulgarische Mauer' nennen kann", sprach Bulgariens stellvertretender Ministerpräsident Valeri Simeonov bei einer Pressevorführung des neuerrichteten Maschendrahtzauns Anfang Juni 2017 breit lächelnd in TV-Kameras. Fassungslose Mienen anwesender Journalisten konnten ihn nicht beirren. "Die Große Bulgarische Mauer, bis zum Tode werde ich es wiederholen", setzte er noch eins drauf. Wenige Tage später wiederholte der Parteiführer der nationalistischen Vereinigten Patrioten (VP) seinen absurden Vergleich im Frühstücksfernsehen von Nova TV: "So wie die Chinesen stolz sind auf ihre Große Chinesische Mauer, so sollten wir Bulgaren stolz sein auf unsere 'Große Bulgarische Mauer'."
Mit ähnlichem Pathos hat Bulgariens Verteidigungsminister Krasimir Karakatschanov gegenüber der Tageszeitung "Die Welt" die Anstrengungen seines Landes zum Schutz der EU-Außengrenze gerühmt. Er werde das bereits zum Grenzschutz eingesetzte Armeekontingent auf sechshundert Soldaten vervierfachen, kündigte Simeonovs VP-Parteifreund an. Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingssituation in Bulgarien müssen die Äußerungen der nationalistischen Patrioten befremden. Gegenüber dem Vorjahr ist der Migrationsdruck um rund 80 Prozent gesunken und die bulgarischen Flüchtlingslager sind gerade mal zu einem Drittel gefüllt.
Korruption bei der Auftragsvergabe vermutet
In auffälligem Kontrast zu Simeonovs und Karakatschanovs selbstgefälligem Eigenlob stehen die heftigen innenpolitischen Kontroversen um die "Große Bulgarische Mauer". Nach über zwei Jahren Bauzeit ist der Maschendrahtzaun noch immer nicht vollständig fertiggestellt. Im März 2017 zeigte Bulgariens früherer Botschafter in Kroatien, Velisar Entschev, der Staatsanwaltschaft an, es gebe Hinweise darauf, dass mit den Vereinigten Patrioten verbundene Firmen den Grenzzaun zu überteuerten Preisen errichteten. Habe die sozialistische Vorgängerregierung für einen Kilometer des von ihr errichteten dreißig Kilometer langen Teilstücks 250.000 BGN (ca. 125.000 Euro) bezahlt, so koste ein Kilometer der vom Kabinett Borissov II im Frühjahr 2015 in Angriff genommenen 130 Kilometer-Verlängerung des Zauns das Vierfache.
Velizar Entschev ist ein Renegat der nationalistischen Patrioten. Lange Zeit führte er als Moderator eine politische Talkshow in Valeri Simeonovs nationalistischem Fernsehsender Skat TV. Als Abgeordneter verließ er die Patrioten-Fraktion, weil deren Parteiführer Simeonov und Karakatschanov sich plötzlich zur Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Boiko Borissov entschlossen, nachdem sie ihn zuvor jahrelang als Mafioten beschimpft hatten. "Valeri Simeonov hat den Vorschlag ins Parlament eingebracht, das Gesetz für die öffentlichen Aufträge so abzuändern, dass der Grenzzaun ohne öffentliche Ausschreibung errichtet werden kann", kritisiert Entschev, so habe jeder Bezirksgouverneur nach eigenem Gutdünken auf seinem Bezirksterritorium den Zuschlag zum Zaunbau erteilen können.
EU-Außengrenze hat immer noch Löcher
Auch die Journalistin und Abgeordnete der "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP), Elena Jontscheva, hat Anfang Juni 2017 die Öffentlichkeit über Verdachtsmomente zu Unregelmäßigkeiten beim Zaunbau alarmiert. Entgegen des Beschlusses, ihn doppelreihig zu errichten, sei er auf der gut zwanzig Kilometer langen Strecke zwischen dem Fluss Tundscha und dem Fluss Maritsa nur einreihig ausgeführt worden und damit kein großes Hindernis für Flüchtlinge. Weil Wartungsverträge nicht verlängert worden seien, funktionierten zudem die Überwachungskameras auf dem von Flüchtlingen häufig passierten Abschnitt zwischen Kapitan Andreevo und Lesovo nicht. Die Koalition aus GERB und VP betreibe einen "Handel mit der nationalen Sicherheit", kritisierte Jontscheva. "Frau Jontescheva hat ein Verbrechen gegen die nationalen Interessen begangen", konterte Valeri Simeonov die Vorwürfe und drohte, die BSP-Abgeordnete wegen "Verrats von Staatsgeheimnissen" zu verklagen, habe sie doch die Menschenschlepper auf die Schwachstellen des Grenzzauns hingewiesen.
Bulgarien hat den Höhepunkt seiner Flüchtlingskrise bereits im Herbst 2013 erlebt, zwei Jahre vor Westeuropa. TV-Aufnahmen von katastrophalen Lebensverhältnissen in überfüllten bulgarischen Flüchtingslagern schockierten damals die Welt. Als sich aber der große Flüchtlingsstrom über Griechenland, Mazedonien und Serbien in Richtung Ungarn wälzte, blieb Bulgarien von ihm erstaunlich wenig tangiert. Dennoch wurde Ministerpräsident Borissov nicht müde, seine europäischen Partner in Brüssel darauf hinzuweisen, Bulgarien sei wie Italien und Griechenland ein "Frontstaat in der Flüchtlingskrise" und bedürfte finanzieller Unterstützung zum Schutz der EU-Außengrenze. Zuletzt bewilligte die EU-Kommission im vergangenen Jahr dem Balkanland zusätzliche 160 Millionen Euro für den Grenzschutz.
Serbien droht mit Grenzzaun zu Bulgarien
Eine Erklärung für die seit Jahren mäßige Belegung der Flüchtlingslager in Bulgarien geht aus der Statistik der bulgarischen Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (DAB) hervor. Noch im Jahr 2014 wurden mit 5.162 mehr als doppelt so viele Anträge auf Flüchtlingsstatus erteilt wie Asylverfahren ergebnislos abgebrochen. Ein Jahr später aber wurden mit 14.567 drei Mal so viele Asylverfahren abgebrochen wie Asylanträge bewilligt. "Wir haben offene Lager und können niemanden zwingen, in ihnen zu bleiben", erklärt die DAB dazu. In diesem Jahr stehen bisher 561 bewilligte Asylanträge 7.948 abgebrochenen Asylverfahren gegenüber. Serbien ist Leidtragender des von den bulgarischen Behörden nicht gerade aktiv behinderten Zugs der Asylanwärter gegen West. Im November 2016 drohte Belgrad, seinerseits einen Zaun an der Grenze zu Bulgarien zu errichten. Inzwischen hat es seine Grenzpatroullien massiv verstärkt. Dies bewirkt möglicherweise bereits eine Kurskorrektur der Flüchtlingsrouten, zumindest häufen sich in den vergangenen Wochen die Fälle, in denen Flüchtlinge in Booten über das Schwarze Meer nach Rumänien gelangen.
Über dieses Thema berichtet MDR auch im TV: MDR | 17.08.2017 | 21:45 Uhr