Die Polizei wird auch mit Verbrechen konfrontiert, die sie aus DDR-Zeiten kaum kannte, wie etwa Banküberfälle. Die D-Mark und die schlecht gesicherten Filialen locken Täter an.
Die Polizei wird auch mit Verbrechen konfrontiert, die sie aus DDR-Zeiten kaum kannte, wie etwa Banküberfälle. Die D-Mark und die schlecht gesicherten Filialen locken Täter an. Bildrechte: ©MDR/Hoferichter & Jacobs

Kriminalfälle der Einheit Die Bankraub-Serien der Wendezeit

14. Februar 2022, 17:09 Uhr

Von 1992 bis ins Jahr 2008 erbeutet eine Gruppe Bankräuber weit über zehn Millionen D-Mark. Die Sparkassen und Banken sind schlecht gesichert, die Polizei unterbesetzt. Fast täglich gibt es Überfälle - ein neues Phänomen für die damaligen Ermittler.

Oft dauern ihre Überfälle nur wenige Minuten. In der Regel ist der Tatzeitpunkt in den Abendstunden, denn meist ist um diese Tageszeit nicht viel los, nur wenige Kunden sind kurz vor Schalterschluss in den Geldinstituten.

Die Banken sind ungenügend gesichert, Sicherheitstechnik so kurz nach der Wende teuer und es fehlt oft am Nötigsten. Die nächste – schwach besetzte - Polizeistation ist kilometerweit entfernt. Auf dem Land ermöglichen die widrigen Umstände eine der größten Bankraubserien nach der Wende im wiedervereinigten Deutschland. Allein innerhalb von fünf Jahren erbeuteten die 42 Diebe von Rügen bis Thüringen knapp zehn Millionen D-Mark.

Bankraubserie Anfang der 1990er-Jahre

Auch am 22. April 1996 in Ahrenshagen geht die Sache ganz schnell – die Männer erbeuten mehrere zehntausend D-Mark in der Kreissparkasse. Im Anschluss zeigen die Lokalnachrichten die immer gleichen Bilder: verstörte Bankangestellte und unkenntliche Bilder der Überwachungskameras.

Die Täter sind nicht zum ersten Mal auf Beutezug. Manchmal sind sie zu zweit, manchmal zu dritt. 1992 ahnt noch niemand, dass die scheinbar kleine Gruppe in Wahrheit eine große Bande ist – bestens organisiert. Sparkassen, Raiffeisenbanken und Postfilialen sind ihr Ziel. Ihre Überfallserie reicht vom Nordosten Deutschlands bis nach Thüringen. Zwischen 1992 und 2008 werden ihnen insgesamt etwa 100 Banküberfälle und Überfälle auf Geldtransporter zur Last gelegt.

Durchschnittlich vier Überfälle am Tag

Seit Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 registriert die Polizei durchschnittlich vier Überfälle pro Tag. Gerhard Rogalla, damals leitender Ermittler in diesen Fällen, erzählt rückblickend, dass Überfälle so häufig waren, dass sie allein das Wort schon nicht mehr hören konnten.

Einen Zusammenhang zwischen einem Großteil der Taten, die sich von 1992 bis 1997 hauptsächlich im ländlichen Raum von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ereignen, erkennen die Ermittler erst später. Zunächst sprechen auch die zeitlichen Abstände der Überfälle gegen eine Verbindung: Manchmal liegen zwei Wochen zwischen den Überfällen, manchmal drei Monate.

Banküberfälle sind neu für die Ermittler

In der Polizeidirektion Neubrandenburg leitet Gerhard Rogalla das Sachgebiet "Raub-Erpressung-Geiselnahme". In sein Revier fallen die ersten Banküberfälle in Wredenhagen und Cölpin im Jahre 1993. Diese Art von Kriminalität ist nach der Wende neu für ihn und seine Kollegen: "Banküberfälle gab es in dieser Form meines Wissens nach in der DDR gar nicht. Es kann natürlich den einen oder anderen gegeben haben, aber das war so was von selten und so was von die Ausnahme, dass es nicht mal bis zu uns durchgedrungen, und das war natürlich ein total neues Phänomen", so Rogalla.

In Sporttaschen schleppen die Täter mal 20.000, mal 60.000 und einmal auch 130.000 D-Mark weg. Die frischen D-Mark Bündel haben eine ganz andere Anziehungskraft auf Kriminelle als die DDR-Mark.

Die Suche nach den Bankräubern

Gemeinsam mit zwölf Beamten soll Ermittler Rogalla die Fälle aufklären. Doch obwohl sie sorgfältige Ermittlungsarbeit leisten – sie sammeln Fingerabdrücke, Tatortfotos aus dutzenden Bankfilialen, befragen Zeugen und bitten die Öffentlichkeit um Mithilfe – führt zunächst keine der Spuren zu den Tätern.

Denn zur Wahrheit gehört auch, dass in den Umbruchsjahren Mangel herrscht – vor allem an Personal. Im Einigungsvertrag ist festgeschrieben, dass alle Polizisten mit Verbindungen zur Staatssicherheit nicht mehr für den bundesdeutschen Polizeidienst geeignet sind. Damit sind ostdeutschlandweit einige tausend Polizisten vom Dienst suspendiert, die nun bei der Verbrechensverfolgung fehlen. Außerdem gibt es Altersbeschränkungen und Einsparvorgaben. Die Polizeistationen bleiben unterbesetzt und eine länderübergreifende Ermittlungsarbeit, wie Gerhard Rogalla sie anregt, ist personell nicht umsetzbar: "Wir hatten schon nach einiger Zeit das Gefühl, dass es sich um die gleichen Täter handelte, weil die Raubzüge immer nach dem gleichen Muster abliefen. Ich hatte angeregt, von Neubrandenburg aus eine länderübergreifende Ermittlungsgruppe zu gründen, doch Anfang der 1990er-Jahre war die Polizei noch nicht so gut vernetzt, jede Polizeistation war noch mit sich und dem Systemumbruch beschäftigt und so hatten die Kriminellen leichtes Spiel."

Der größte Coup

Das alles spielt den Bankräubern in die Hände – und sie stehlen hunderttausende Mark aus den Bankfilialen des Ostens. Ihren größten Coup landen die Gangster im Februar 1997, als sie die Stadtsparkasse von Lychen um 589.680 D-Mark erleichtern.

Aber 1997 ist auch das Jahr, in dem die Täter den entscheidenden Hinweis in einem Fluchtfahrzeug hinterlassen: Eine Tankquittung führt die Ermittler zu einer Tankstelle. Und hier gibt es erstmals Fotos von den Tätern ohne Maske - ein Durchbruch. Außerdem hat einer der Täter eine markante Adidas-Lederjacke an, die er auch bei anderen Überfällen trägt.

Einige Verdächtige werden festgenommen

Im Mai 1997 kann die Polizei einige Verdächtige festnehmen. Und tatsächlich packt einer von ihnen aus. Der in Frankfurt/Oder hinzugezogene Oberstaatsanwalt Ulrich Scherding erinnert sich daran, wie sich dank dieses Verhörs nach und nach die Puzzleteile zusammensetzen: "Sie suchten schlecht gesicherte Banken mit langen Anfahrtswegen für die Polizei aus, wie zum Beispiel die Sparkasse Wredenhagen im Mai 1993. In der Regel haben drei Männer die Bank überfallen, während sich an jeder Zufahrtstraße ein Wachposten positionierte, um per Handy mitzuteilen, wenn die Polizei kommt und aus welcher Richtung, damit noch genügend Zeit für die Flucht blieb." Erst jetzt wird das ganze Ausmaß der Raubserie deutlich.

42 Diebe und Akten ohne Ende

Einige der Täter hat die Polizei bis heute nicht ermitteln können. Am Ende gehen mehr als 50 Banküberfälle auf das Konto der Gruppe, deren Anführer der Usedomer Dietmar T. und der Stralsunder A. R. sind. Von 1992 bis 1997 erbeuten die gelernten Schweißer auf diese Weise allein bei ihren Banküberfällen im Nordosten etwa zehn Millionen D-Mark. Um eine Übersicht über die Vielzahl an Taten und Tatorten zu erhalten, erstellt die Staatsanwaltschaft umfangreiche Tabellen, die Klarheit darüber bringen sollen, wer an welchem Überfall beteiligt war. Die Ermittlungen ergeben, dass etwa 42 Täter zu der Bande gehören.

Weitere Banküberfälle

Die beiden Haupttäter werden 1997 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Einen der beiden hält das jedoch nicht davon ab, gleich nach seiner Entlassung wieder in alte Muster zu verfallen.

Zwischen 2004 und 2008 folgt eine weitere Serie von 54 Bank- und Geldtransporterüberfällen vom Nordosten Deutschlands bis nach Thüringen. Dieses Mal jedoch kann die Polizei schneller zugreifen und die Täter von damals kommen erneut in Haft. Von der Millionen-Beute, die bis 1997 gestohlen wurde, konnte bisher jedoch nur ein Teil sichergestellt werden.

(IB)

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: Kriminalfälle der Einheit | 24.09.19 | 22:05 Uhr
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