Essen & Geschichte Von der Armenküche zur Suppenbar
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21. Juli 2022, 10:56 Uhr
Früher war die Suppe ein Essen für arme Leute: Ein wässriges Etwas, angereichert mit dem, was Feld, Wald, oder See gerade hergaben. Heute liegen Suppenküchen in der Gastronomie voll im Trend. Wie kam es zu dem Imagewandel?
Früher war die Suppe ein Essen für arme Leute: Ein wässriges Etwas, angereichert mit dem, was Feld, Wald, Fluss, Meer oder See gerade hergaben. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Suppenküchen der Katastrophen- oder Kriegszeiten zu Lifestyle-Lokalen gemausert.
Für den Ernährungsexperten Christoph Klotter ist die ganze Menschheitsgeschichte bestimmt von der Erfahrung des Hungers und dem Versuch zu überleben:
Wir leben im Schlaraffenland heute, das schätzen wir gar nicht, erkennen es gar nicht an. Aber alle Generationen vor uns kannten Hunger, Hungersnöte. Und ganz viele Menschen sind gestorben am Hunger. Und wenn wir zurückschauen bis ins 19. Jahrhundert, war der Kindsmord das Übliche, weil die Familien nicht genug zu essen hatten. Und der Kindsmord wurde auch nicht geahndet.
Dass dem Hunger Kinder geopfert werden, wurde auch damals schon von Generation zu Generation weitergegeben - im Märchen "Hänsel und Gretel" der Gebrüder Grimm. Das Geschwisterpaar wird zwar nicht direkt getötet, sondern im Wald ausgesetzt, "bevor wir alle Hungers sterben", wie es in der Geschichte heißt. Ihr Tod wird in Kauf genommen, damit nicht die ganze Familie stirbt.
Die Kirche nährt die Armen, bis die Fabriken sie als Arbeiter brauchen
Lange Zeit ist die Kirche der einzige Almosengeber für Bedürftige. Die erste unabhängige deutsche Suppenküche entsteht 1849 in Leipzig, während der deutschen Revolution, nach einer katastrophalen Missernte. Die Industriegesellschaft steckt in den Kinderschuhen und der moderne Staat und seine Arbeitgeber brauchen eine leistungsstarke Bevölkerung. Menschen, die vom Hunger ausgezehrt sind, können schlecht arbeiten. Das sollen nun die Suppenküchen richten. Nicht nur in Deutschland gibt es öffentliche Suppenküchen, auch in anderen Ländern Europas.
Hunger an allen Fronten
Auch während des ersten Weltkrieges sind Suppenküchen an der Front und daheim permanente Einrichtungen. Krieg und Wirtschaftsblockaden gegen Deutschland und strenge Winter verknappen die Nahrungsmittelversorgung. Eines eint die Soldaten an allen Fronten - der Hunger und die Suppen, die sich aus den vorhandenen Nahrungsmitteln kochen lassen.
Die Situation verschärft sich während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre: Firmen brechen zusammen und Banken schließen. Zwischen September 1929 und Anfang 1933 sind in Deutschland mehr als sechs Millionen Menschen arbeitslos und haben kein Geld, um sich Essen zu kaufen. Plötztlich gewinnt die warme Suppe an der Ecke politisches Gewicht. Historiker Klotter sagt:
Diese Suppenküche ist ein Teil von Propaganda. Da schreibe ich auf meinen Suppentopf: Ich bin die und die Partei, bitte wählt mich! Es war ganz klar ein politisches Instrument, um die Massen zu gewinnen. Gerade in der Zeit der Weimarer Republik war das extrem populär.
Ob KPD oder Nationalsozialisten - alle Parteien versprechen, die Menschen vom Hunger zu befreien, und versuchen, die Wähler mit kostenlosen Suppenrationen für sich zu gewinnen.
Jahrzehnte später, als die mageren Nachkriegsjahre Geschichte sind und es wieder genug gibt, verliert die Suppe ihr Image als Mangelspeise oder Essen der Armen. Allerdings gibt es bis heute beides – hippe Suppenküchen, für diejenigen, die nicht aufs Geld gucken müssen, aber eben auch Suppenküchen für solche, denen es an allem fehlt – und zwar nicht nur in Kriegsgebieten, sondern auch in Deutschland.
Der Artikel wurde erstmals 2017 veröffentlicht.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR Zeitreise | 27.06.2017 | 21:15 Uhr