Regierungskrise in Thüringen Warum Parallelen zur Weimarer Zeit nicht weiterhelfen
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19. Februar 2020, 17:16 Uhr
Nach der Wahl Thomas Kemmerichs mit Stimmen der AfD zum Thüringer Regierungschef wurden Parallelen zur Weimarer Republik gezogen. Doch auch wenn AfD-Mann Björn Höcke bewusst auf bestimmte Bilder aus der Geschichte anspiele, greife dieser Vergleich zu kurz, meint Historiker Hannes Heer. Lehrreicher wäre ein Blick in die 1990er Jahre zurück, als die Weichen für die Entwicklung der Demokratie in Ostdeutschland gestellt wurden, glaubt er.
Als Hannes Heer 1995 im Auftrag des Hamburger Instituts für Sozialforschung die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" auf Reisen schickt, ahnt er nicht, welche Kontroverse er damit entfacht. Er selbst wird mit dem Tode bedroht. Doch schließlich haben die Deutschen ihr Verhältnis zu den deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges neu sortiert. Eine ebensolche Debatte zum demokratischen Selbstverständnis der Parteien fordert Historiker Heer heute. MDR ZEITREISE hat mit dem Historiker gesprochen.
"Dammbruch" war das Wort der Stunde, als die Nachricht von der Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) zum Ministerpräsidenten in Thüringen mit den Stimmen der AfD die Runde macht. Auf der Suche nach historischen Parallelen wurden einige schnell in der Endphase der Weimarer Republik fündig, als in Thüringen Nationalsozialisten zum ersten Mal Teile der Regierung stellten. Stimmt dieser historische Vergleich?
Hannes Heer: Was in Erfurt passiert ist, ist ganz klar ein Wendepunkt innerhalb der Diskussion in der Bundesrepublik im Umgang mit Vergangenheit. Es ist aber überhaupt nicht vergleichbar mit Weimar. Wenn das Stichwort "Weimar" auftaucht, werde ich nervös, weil das war wirklich eine ganz andere Tektonik damals.
Die Republik war ungefestigt. Es gab die wirtschaftlichen Krisen. Und eine Nachkriegsgesellschaft mit Zehntausenden von bewaffneten hochmotivierten Freikorps-Männern. Also auf der Ebene ist das überhaupt nicht zu vergleichen.
Erfurt ist eine Zäsur innerhalb der bundesdeutschen Geschichte, ja. Ausgelöst durch einen wirklichen Abgrund von Dummheit, was die beteiligten Parteien, CDU und FDP, angeht.
Im Vorfeld dieser Wahl zum Ministerpräsidenten gab es ja ein längeres politisches Tauziehen, wie man mit der fehlenden Mehrheit im Thüringer Landtag am besten umgehen soll. Die wenigsten Beobachter haben da auch nur annähernd mit einer solchen Option gerechnet. Was hat ihrer Meinung nach dazu geführt?
Hannes Heer: Ich glaube, da sind zwei Momente für das Entstehen dieser Situation wichtig. Einmal, dass Bodo Ramelow gezeigt hat, dass er regieren kann. Dass er auch integrieren kann. Also dass er einen großen Teil der Thüringer, die vorher nichts mit seiner Partei anfangen konnten, dass er die überzeugt hat. Als eine Art linker, sozialdemokratischer Politiker mit West-Biografie, der also nicht aus einer Unrechtspartei stammt. Da zeichnete sich ein Erfolgsmodell ab und das machte nervös.
Das Zweite ist natürlich, dass da nun eine AfD dasitzt mit einem Instrumentarium an Tricks und eloquenten Vertretern. Und mit der klar absehbaren Chance, Teile der CDU und der FDP zu kapern. Die haben natürlich erkannt, CDU und FDP kämpfen um ihr Überleben. Die eine als Volkspartei, die andere als, wenn man so will, Akzent im politischen Spektrum des Landtags.
Herausgehoben ist natürlich auch die Konstellation Höcke – Ramelow. Auf der einen Seite der aggressivste Vertreter eines völkischen Flügels, der unter anderem ganz offen eine radikale Abkehr von der bundesdeutschen Erinnerungs- und damit auch Versöhnungspolitik fordert. Auf der anderen Seite ein Ministerpräsident, der gerade in der bewussten Erinnerung an deutsche Schuld einen wichtigen Grundpfeiler seiner Politik sieht.
Hannes Heer: Klar, Höcke ist derjenige, der die Programmatik des faschistischen Teils der AfD entworfen hat. Da geht es nicht um kommunale Themen. Da geht es nicht um Kreisreformen oder so was. Das interessiert den gar nicht. Der wagt den großen Wurf und versucht, die ganze Erinnerungspolitik umzugraben und das Thema Migration zu besetzen. Das ist die Agenda. Die stammt von ihm. Und man hätte es voraussehen können, dass das Schlachtfeld Thüringen sein wird, wo diese programmatische Auseinandersetzung ausgetragen wird. Und dass die CDU das nicht erkannt hat, das ist Blindheit. Politische Blindheit. Nicht über den Tag hinaus nachgedacht.
Eines der ganz wesentlichen Bilder des Tages ist denn auch dieser Handschlag, mit dem der AfD-Inthronisator Höcke gewissermaßen sein Werk signiert. In Analogie dazu wird wenig später von Bodo Ramelow und anderen der symbolische Handschlag zwischen Adolf Hitler und Reichspräsident Paul Hindenburg 1933 publik gemacht. Tatsächlich bekommt man das Gefühl, Björn Höcke hat diese Ähnlichkeit wirklich ganz bewusst herausgefordert?
Hannes Heer: Ich bin mir da ganz sicher. Der Höcke als Geschichtslehrer, der eine erinnerungspolitische 180-Grad-Wende fordert, der lebt natürlich mit diesen Bildern. Seine Auftritte, die er inszeniert, da nimmt er sich aus dieser Welt die Bilder und die Gesten.
Handschlag besiegelte einst Ende der Weimarer Republik
Von daher sind solche Momente wie dieser Handschlag 1933 beim "Tag von Potsdam", der damals übrigens auch überall auf den Titeln war, der Kriegsheld Hindenburg verbündet sich mit Hitler, dem unbekannten Soldaten von der Westfront, der jetzt der Führer des Deutschen Volkes ist … - klar, der Höcke kennt diese Bilder.
Und es steckt ja auch eine weitere Botschaft drin, die gewissermaßen ein Wink für seine Anhänger sein könnte, oder?
Hannes Heer: Völlig richtig. Die devote Haltung. Es ist das, was Hitler damals vorgetäuscht hat. Im Sinne: Ich verbünde mich hier mit den nationalkonservativen Eliten und ich weiß, meine Rolle ist diejenige des Managers. Und Hindenburg hat die Rolle des "Einigers" und des großen Vorbilds der deutschen Geschichte. Das ist eine einmalige Situation, die hat sich nie wiederholt.
Und zu dem Bild gehört natürlich, dass Hitler ein Jahr später, sofort beim Tod Hindenburgs, den Eid auf seine eigene Person hat sprechen lassen und auch das Amt des Reichspräsidenten verschwindet, ohne dass jemals noch mal darüber geredet worden wäre. Das spricht alles dafür, dass das eine sehr kalkulierte Aktion war.
Nur kalkulieren konnten ja auch die anderen. Und wie wir inzwischen wissen, haben sie das ja in aller Ausführlichkeit auch getan. Nur ganz offensichtlich mit einer Komponente überhaupt nicht gerechnet: Der Empörung. Auch hier, scheint es, hat die AfD die Effekte ein bißchen länger studiert und "eingepreist", oder?
Hannes Heer: Sicher, die Rechtsintellektuellen führen ja seit 25 Jahre und länger solche Debatten. Und ich bin sicher, dass da von der Seite aus auch ein Thinktank mitgearbeitet hat. Also der Verleger Kubitschek oder die "Junge Freiheit". Das sind ja geschulte Leute, die sich mit der Krise der Demokratie schon länger beschäftigt haben. Und die das Instrumentarium auch entwickelt haben für diese ganzen Formen der "destruktiv-konstruktiven" Einwirkung, von denen Kubitschek spricht.
Stellt sich die Frage: Warum haben diejenigen, die so viel länger Politik in Thüringen betreiben – mit zum Teil üppigsten Mehrheiten in der Vergangenheit – warum haben die ihr eigenes Instrumentarium zum Schutz der Demokratie nicht auch entsprechend weiterentwickelt?
Hannes Heer: Ich denke, das hängt unter anderem damit zusammen, dass diejenigen, die nach 1990 in den ostdeutschen Bundesländern die Führung übernommen haben im neuen System der parlamentarischen Demokratie, dass die Vaterfiguren waren. Bernhard Vogel in Thüringen ebenso wie Kurt Biedenkopf in Sachsen.
Die hatten im Westen ja eigentlich keine politische Perspektive mehr, weil sie zu alt waren. Und in so einem Alter fängt man auch nicht noch mal an, Unterricht zu geben in Demokratie, sondern versucht das mit all seiner Raffinesse, Klugheit und Erfahrung auf angemessene Weise zu verwalten und so dann Impulse zu geben.
Das heißt, das sind definitiv keine Lehrmeister in Demokratie gewesen, sondern sie haben ein autoritäres Element der DDR eher fortgeführt. Und da ist in dieser Phase etwas vertan worden, wo man in den Praktiken aber auch in den Krisen schon viel früher etwas hätte lernen können. Da sind 15 Jahre ins Land gegangen, die fehlen heute!
Zur Person Hannes Heer Geboren 1941 in Wissen/Sieg. Studium der Geschichte und Literatur. 1968 Staatsexamen an der Universität Bonn. Wegen seiner Aktivität im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) keine Zulassung als Referendar zum Schuldienst. Nach einem Aufbaustudium in Volkswirtschaft Arbeit als freier Rundfunkautor, Dokumentarfilmer, Dramaturg und Regisseur u.a. am Schauspielhaus Hamburg. 1993 bis 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und Leiter des Ausstellungsprojektes "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 -1944". Veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegserinnerung. Lebt als Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher in Hamburg.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR extra: Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten | 05. Februar 2020 | 12:35 Uhr