Thomas Krüger und die Demokratie
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20. Oktober 2015, 17:30 Uhr
Im Bundestagswahlkampf 1994 macht Thomas Krüger zum ersten Mal auf sich aufmerksam - mit einem Paukenschlag. Nackt posiert er auf einem Wahlplakat und wirbt unter dem Motto "Eine ehrliche Haut" für sich und seine Partei, SPD. Heute ist es ruhiger um ihn geworden, aber Interesse an der Politik wecken will er immer noch. Seit dem Jahr 2000 leitet Thomas Krüger die Bundeszentrale für politische Bildung.
Sommer 1994, Bundestagswahlkampf. Thomas Krüger ist 35 Jahre alt, Senator für Jugend und Familie in Berlin. Für die SPD will er in den Bundestag einziehen - und zwar mit einem großen Knall. Für ein Wahlplakat lässt er die Hüllen fallen, posiert ungeniert nackt. Das sorgt zwar bundesweit für einen großen Medienrummel - doch den erwünschten Erfolg bringt es nicht. Das Direktmandat gewinnt seine Konkurrentin Christa Luft von der PDS, Thomas Krüger zieht über einen Listenplatz seiner Partei in den Bundestag ein. Das "Nacktplakat" lässt sich allerdings nicht abschütteln, bis heute wird er darauf angesprochen, es hat sich eingebrannt in das öffentliche Gedächtnis.
Das ist wahrscheinlich so eine Entscheidung, die nicht mehr zurück zu drehen ist. Das brennt sich ins Gedächtnis ein, wenn man als Politiker zur ersten Mal blank zieht. Die Not war damals groß, das heißt, ich hab damals in einem Wahlkreis kandidiert, in dem eigentlich theoretisch und auch praktisch keine Chancen hatte. Die Frage ist: Wie kriegt man die Leute wach gerüttelt und 'ne politisch zugespitze Situation organisiert. Ich hab den Wahlkreis natürlich nicht gewonnen gegen meine Gegenkandidatin, die letzte DDR Wirtschaftsministerin Krista Luft, habe es aber immerhin, geschafft den Leuten zu vermitteln, dass sie nur die Wahl zwischen zwei Leuten haben.
Der Weg zum Nacktplakat
Das Thomas Krüger einmal in aller öffentlichkeit blank zieht - im Jahr 1976 ist das noch in weiter Ferne. Krüger absolviert eine Ausbildung zum Facharbeiter für Plast- und Elastverarbeitung, studiert anschließend Theologie wie der Vater, wird Vikar. Er spielt in freien Theatergruppen und engagiert sich bei "Kirche von unten". Die Massenflucht 1989 macht ihn betroffen, er fährt regelmäßig zu Montagsdemonstrationen nach Leipzig. Doch er will nicht ausreisen - Thomas Krüger will etwas ändern.
Beginn der politischen Karriere
Während die DDR-Führungsriege am 7. Oktober 1989 sich selbst und den 40. Republikgeburtstag feiert, fährt Thomas Krüger ins brandenburgische Dörfchen Schwante. Dort gründet er mit anderen Bürgerrechtlern eine neue Partei, die "SDP". Ihre Ziele sind Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit – ein demokratischen Sozialismus, in dem sich die Bürger wohl fühlen. Einen Monat später fällt die Mauer. Die frisch gegründete SDP will sich schon im Januar 1990 in SPD umbennenn - doch Krüger, der im Osten geblieben ist, wehrt sich dagegen. Er will, dass die Partei erst einmal laufen lernt, bevor sie von den westdeutschen Sozialdemokraten geschluckt wird. Die Umbenennung kommt trotzdem: Noch im gleichen Jahr vereint sich die Ost-Partei mit der West-SPD.
Es gab sofort Ärger, weil eine Partei zu gründen, die nicht Teil der nationalen Front war, das war -wenn man so will- die größtmögliche Infragestellung der DDR. Und den Ärger hat man dann auch sofort zu spüren bekommen. Das waren die Tage, an denen sich wahrscheinlich sehr viel entschieden hat, auch ob in der DDR die friedliche Revolution mit Gewalt niedergeschlagen wird oder ob sich, wenn man so will, das System mehr oder weniger ergibt - und so kam es ja dann auch.
Krüger lernt, sich mit demokratischen Entscheidungen auseinanderzusetzen und findet eine neue Aufgabe: Er wird Stadtrat für Inneres in Ostberlin. Als ehemaliger Bürgerrechtler muss er alte Seilschaften aufarbeiten - für Krüger eine Mammutaufgabe. Er schläft nicht mehr als vier, fünf Stunden die Nacht.
1991 übernimmt er wird er Senator für Jugend und Familie in Berlin. Drei Jahre später zieht er in den Bundestag ein. 1988 dann die Zäsur: Krüger nimmt eine Erziehungspause. Plötzlich steht Windeln wechseln und Kinderarzt auf dem Programm, eine Zeit, die ihm persönlich viel gebracht hat. Im Juli 2000 kehrt er zurück auf das Parket und übernimmt die Bundeszentrale für politische Bildung. Eine Institution, die er sich in den 1980er Jahren gewünscht hätte, die Seminare anbietet, Hintergundwissen darlegt und Quellen auswertet. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ein Anliegen, das sich mit dem von Thomas Krüger aus dem Jahr 1994 deckt: Sie will Interesse an Politik und Zusammenhängen wecken - wenn auch nicht unbedingt mit Nacktplakaten.
Die Serie: "Tapetenwechsel - Prominente über 25 Jahre Mauerfall" 1989 begann für die Ostdeutschen ein neues Leben. Was sich bei Prominenten wie Achim Mentzel, Winfried Glatzeder oder Ute Freudenberg verändert hat und welche Rolle ihre Herkunft spielt, erzählt unsere GMD-Serie.