Das Eichsfeld: Ein zänkisches Bergvolk und die katholische Kirche

06. Dezember 2021, 14:26 Uhr

Als arm und eigenwillig gelten die Menschen im Eichsfeld im Norden Thüringens. Und als ein Völkchen, dass seinen katholischen Glauben jahrhundertelang gegen Einflussversuche "von oben" verteidigte.

Im September 2011 besuchte Papst Benedikt XVI. das Eichsfeld und feierte vor einer Kapelle in Etzelsbach mit zehntausenden Gläubigen eine Marienvesper. Etzelsbach als Wallfahrtsort hat eine gewisse religiös-historische Bedeutung. Doch wenn man wissen will, wie das Eichsfeld kirchlich und sozial wirklich funktioniert, dann lohnt ein Besuch der kleinen Wallfahrtskirche "Klüschen Hagis". Die ehemalige Eremitenklause liegt versteckt im Tal zwischen den Dörfern Wachstedt und Martinfeld im Städtedreieck Eschwege im Westen, Heiligenstadt im Norden und Mühlhausen im Süden.

Jährliche Männerwallfahrt im Eichsfeld

Gemeinsam singen zum Gottesdienst rund 20.000 Pilger aus aller Welt bei der traditionellen Männerwallfahrt am "Klüschen Hagis" bei Wachstedt im Eichsfeld.
Männerwallfahrt am Klüschen Hagis Bildrechte: picture-alliance / dpa/dpaweb | Martin_Schutt

Klüschen Hagis hat von den 60er-Jahren bis zur Wende den Katholizismus in der Region geprägt. Jahr für Jahr trafen sich dort am Sonntag nach Himmelfahrt bis zu 20.000 Jungen und Männer zu einer Männerwallfahrt. Bei der idyllisch gelegenen Wallfahrtskirche Klüschen Hagis kam die katholische "Wagenburg-Mentalität" der Eichsfelder sehr deutlich zum Vorschein. Hier kultivierten die Eichsfelder Katholiken ihren passiven Widerstand gegen die Staatsmacht DDR. Hier wurden Predigten gegen die Jugendweihe und gegen das sozialistische Bildungswesen gehalten und deutliche Worte gegen den staatlichen Eingriff in das private Leben gefunden. Das Eichsfeld mit seiner überwiegend katholischen Bevölkerung war dafür genau der richtige Ort.

Eingebunden in die katholische Gemeinde

Die Eichsfelder betonen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl. Der katholische Glaube bildet dabei das Bindeglied. Ein Ausscheren aus den Gemeinden gab es nicht. Wer zu DDR-Zeiten seine Kinder zur Jugendweihe schickte, zog sich den Zorn der Dorfgemeinschaft zu. Wer an einem Karfreitag ein Skatturnier  organisierte, konnte sicher sein, dass er beim nächsten Gottesdienst namentlich "gewürdigt" wurde. Die Kirche hielt ihre Gemeinden zusammen, das enge dörfliche soziale Gefüge tat sein Übriges.

Der Eichsfeldplan der SED

Kurz nach der Gründung der DDR unternahm die Staatsführung einen ersten Versuch, den Sozialismus im Eichsfeld zu verankern. Die Macht der katholischen Kirche sollte gebrochen werden. Das Eichsfeld war arm. Daran setzte die SED an. Der "Eichsfeldplan" des Zentralkomitees der SED von 1959 sah einen kompletten Umbau der Wirtschaft vor. Die sozialistische Produktionsweise wurde eingeführt und mit ihr die beabsichtigten gesellschaftlichen Veränderungen für die Menschen. Schichtarbeit im VEB Baumwollspinnerei Leinefelde bedeutete, nicht mehr regelmäßig am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen zu können. Ausbildung im VEB Solidor in Heiligenstadt hatte zur Folge, dass Jugendliche in der katholischen Pfarrjugend und im sozialistischen Lernkollektiv zu Hause waren. Der Einfluss der Kirche sollte zurückgedrängt werden, so zumindest die Vorstellung der SED.

Gleiches versuchte die Staatsführung mit der Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft. Die Bodenreform und der Zusammenschluss zu größeren Landwirtschaftsbetrieben waren wirtschaftlich durchaus sinnvoll. Denn im Eichsfeld gab es kaum große zusammenhängende Flächen. Für den Eigenbedarf erhielt jeder Bauer nur noch ein handtuchgroßes Feld. Wieder wurde von "Oben" etwas aufgezwungen, und wieder leisteten die Eichsfelder Widerstand. Die Kirche machte sich zum Fürsprecher der Bauern, konnte aber die sozialistischen LPGs nicht verhindern. Die Folge war, wie häufig woanders auch, der Rückzug in den privaten und kirchlichen Raum.

Bauernkrieg brachte den Protestantismus ins Eichsfeld

Der Vergleich zu den Asterix-Heftchen drängt sich auf: Ganz Ostdeutschland ist sozialistisch. Ganz Ostdeutschland? Nein! Eine von unbeugsamen Katholiken bewohnte Region leistet den Eindringlingen Widerstand! Und doch: Beinahe hätte es den Katholizismus im Eichsfeld nicht mehr gegeben.

Um 1525 erhoben sich Bauern gegen Armut und Abhängigkeit von Klerus und Adel. Auch im Eichsfeld brannten Klöster. Der Mühlhäuser Thomas Münzer vertrat öffentlich die Ansicht, jeder Mensch finde auch ohne Kirche seinen Weg zu Gott. Im Zuge der Reformation wandten sich viele Eichsfelder Gemeinden von ihrem Fürsten im katholischen Mainz ab. Die fernen Mainzer Herrscher hatten das Bergland im Norden Thüringens sowieso nur als landwirtschaftlichen Lieferanten gesehen. Da kam die Lehre von Martin Luther gerade recht. Das Eichsfeld wurde eine Zeit lang protestantisch.

Es waren dann Jesuiten, die im 16. Jahrhundert in der Gegenreformation den Katholizismus wieder zurückbrachten. In der Kreisstadt Heiligenstadt kann man in der Kollegiengasse heute noch das alte Jesuitengebäude finden. Einfach dürfte es für die Patres nicht gewesen sein, gilt der Eichsfelder doch als stur. Die Regionalhistoriker Rudolf Linge und Peter Schmidt schreiben: "Zu hart ist das Land, zu verschlossen die Menschen, die es bewohnen." Der Volksmund spricht von einem "kleinen zänkischen Bergvolk". Die Jesuiten agierten geschickt: Sie bedienten sich alter Traditionen aus dem bäuerlichen Milieu, veranstalteten beispielsweise Wallfahrten und Bittprozessionen. Die bekannteste ist heute noch die Palmsonntagsprozession in Heiligenstadt. Am Sonntag vor Ostern werden im Gedenken an den Einzug Jesu in Jerusalem überlebensgroße Figurenbilder aus dem Kreuzweg durch die Stadt getragen.

Kulturkampf Eichsfeld gegen Preußen

Diese Mentalität des "zänkischen Bergvolks" sollte 200 Jahre später auch der preußische Staat zu spüren bekommen. Nach den Napoleonischen Kriegen kam das Eichsfeld zu Preußen, und das war protestantisch. Die preußischen Beamten versuchten nun den Katholizismus an allen Fronten zu bekämpfen. Doch die katholischen Eichsfelder widersetzten sich den protestantischen Preußen. Ein Kulturkampf. Wegen dieses Widerstands schloss Preußen das Eichsfeld von Infrastrukturmaßnahmen aus. Die Folge war eine Verarmung der Region. Besonders hart traf es die Orden und die katholischen Schulen. Überliefert ist, dass in Heiligenstadt zeitweise kein religiöses Leben mehr stattfand, weil sämtliche Pfarrer in preußischer Festungshaft saßen.

Widerstand aus dem Eichsfeld

Der Kulturkampf wird von Historikern als Wendepunkt in der Eichsfelder Geschichte gesehen. In dieser Zeit bildete sich das Selbstverständnis von einem katholischen Bollwerk gegen den Staat heraus. Es war weniger aktiver Widerstand, als eher passives, stures "nicht Bewegen", was auch später die sozialistischen Machthaber manchmal an den Rand der Verzweiflung trieb - immer dann, wenn sie merkten, dass sie mit dem staatlichen Repressionsapparat gegen die "stille" Vereinbarung der Eichsfelder, gegen diesen Staat zu sein, nicht ankamen.

Nach der Wende CDU-Hochburg

Nach der Wende von 1989/90 entwickelte sich das Eichsfeld zu einer politisch sicheren Bank für die Christliche Demokratische Union. Die CDU hatte schon zu DDR-Zeiten einen gewissen Einfluss, der nach Wende in politische Übermacht mündete. 90-Prozent-Ergebnisse sind bei Kommunal- und Bürgermeisterwahlen für die Union keine Seltenheit.

Das Eichsfeld ist noch immer katholisch geprägt, aber das moderne Leben hat Einzug gehalten. Viele Eichsfelder pendeln nach Hessen zur Arbeit. Junge Menschen verlassen die Region. Die Identifikation über den Widerstand gegen den sozialistischen Staat ist verloren gegangen. Jetzt kommt der Papst, was manche katholischen Eichsfelder zu der Aussage hinreißt, den Besuch habe man sich als "katholischster Landstrich unter all den anderen in Ostdeutschland verdient".