Junge Generation setzt auf Zeit
Seinem Sohn Stefan geht es da anders. Er hat den Enthusiasmus seines Vaters von vor einem Vierteljahrhundert. Der junge Mann bindet sich ein Pionierhalstuch um, schlägt ein vor der Wende verlegten Schulbuches auf. Auf der ersten Seite: das Konterfei von Ceausescu. "Wissen Sie, was wir als Schüler nach der Revolution 1989 gemacht haben? Wir haben mit Genuss diese Seite aus allen Büchern herausgerissen", erzählt Munteanu. Er musste lange nach einem Original-Buch suchen, in dem Ceausescu auf Seite eins überlebt hat. Die Touristen um ihn herum schmunzeln über die Episode.
Vor ein paar Jahren hat sich Munteanu als Tourismusmanager selbstständig gemacht und ein Start-Up-Unternehmen gegründet. Sein Geschäft brummt, weil immer mehr Ausländer die rumänische Hauptstadt als Reiseziel entdecken. Fragen ihn die Touristen nach seinem Alltag als Freiberufler, gibt er unumwunden zu, dass in den staatlichen Institutionen zumeist eine kommunistische Mentalität überlebt hat. Statt als Bürger werde man "als Belästigung empfunden", so Munteanu. Jeder weiß in Rumänien, dass Schmiergeld häufig die Lösung aller Probleme ist. Doch Munteanu hat – anders als sein Vater – noch die Hoffnung, "dass sich diese Einstellung mit der Zeit rauswächst". Über zwei Millionen Rumänen haben diese Hoffnung nicht mehr. Sie sind seit der Wende nach Westeuropa gegangen. Stefan denkt nicht ans Auswandern, obwohl er jung genug ist, um sich in Westeuropa eine Karriere aufzubauen. "Warum bleiben Sie?", fragt ihn einer aus der Reisegruppe. "Weil ich neugierigen Touristen nun mal gern erkläre, wie mein Land tickt."
Über die Autorin
geboren 1971 in Hildburghausen
Studium der Journalistik und Psychologie in Leipzig und Edinburgh (Schottland)
freiberufliche Journalistin für MDR, DeutschlandRadio und eurotopics
lebt in Bukarest und Leipzig
Dieser Artikel wurde zuerst am 20.05.2015 veröffentlicht.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV 24.11.2019 | 18.00 Uhr