20 Jahre Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur "Lebensleistung der Ostdeutschen stärker würdigen"

17. Oktober 2018, 12:42 Uhr

Vor 20 Jahren hat die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ihre Arbeit aufgenommen. Nun ändert sich ihr Fokus. Sie will schauen, was schiefgelaufen ist bei der Wende. Darüber hat MDR-ZEITREISE mit dem stellvertretenden Geschäftsführer der Stiftung, Dr. Robert Grünbaum, gesprochen.

Im 460-seitigen Bericht der Bundesregierung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nimmt Ihre Stiftung gerade einmal drei Seiten ein. Was kann so eine kleine Stiftung in dem Riesenkomplex DDR-Vergangenheitsbewältigung ausrichten?

Robert Grünbaum: Natürlich ist das ein sehr großer Komplex und die Bundesstiftung Aufarbeitung ist vor allem eine große Förderinstitution der Bundesrepublik. Wir haben in den zurückliegenden 20 Jahren mit 48 Millionen Euro rund 3.300 Projekte in ganz Deutschland gefördert. Das sind Ausstellungen, Filme, Publikationsvorhaben, Tagungen. Also ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die eine Aufarbeitung dezentral und regional vielfältig ermöglicht haben. Letztlich geht es darum, dass die geförderten Projekte unserem Stiftungsauftrag entsprechen, nämlich die Menschen in ganz Deutschland für eine Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte zu interessieren.

Gibt es Leuchtturmprojekte, zu denen die Bundesstiftung viel beigetragen hat?

Wir haben die Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin maßgeblich unterstützt - das herausragende, unabhängige Archiv zur Oppositionsgeschichte der DDR. Das könnte ohne die Bundesstiftung nicht existieren. Außerdem wird die Umweltbibliothek Großhennersdorf von uns seit vielen Jahren regelmäßig unterstützt. Auch die Geschichtswerkstatt Jena und die dort herausgegebene Zeitschrift "Gerbergasse" zählt zu unseren wichtigen Förderprojekten.

Gibt es Punkte, an denen die Aufarbeitung der SED-Diktatur noch hakt?

Aufarbeitung kann ja nie zu Ende sein. Es wächst immer wieder eine neue Generation heran, die in die Schulen kommt und ihre ganz eigenen Fragen zur Geschichte hat, die natürlich beantwortet werden müssen. Das ist etwas, womit wir uns immer wieder aufs Neue beschäftigen müssen. Eine andere Frage ist das Thema der Transformationszeit. Die Zeit Anfang der 1990er-Jahre rückt zunehmend in den Mittelpunkt, wenn man sich die Entwicklungen derzeit in Ostdeutschland anschaut. Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass vieles auf die Geschichte der deutschen Teilung, auf die DDR-Geschichte zurückzuführen ist, aber dass wir uns auch viel stärker anschauen müssen, was ist den Menschen passiert, wie hat sich die Gesellschaft entwickelt in den 1990er Jahren. Das ist ein Thema, das zukünftig in den Fokus rücken wird.

Rückt die Aufarbeitung der SED-Diktatur damit in den Hintergrund?

Nein, sie bekommt ein anderes Gewicht. Sie wird viel stärker historisiert und als ein Teil einer länger zurückliegenden Geschichte betrachtet.

Was ist denn falsch gelaufen bei der Wende, Ihrer Meinung nach?

Für den gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 gab es ja kein Drehbuch, es gab kein historisches Vorbild, wie man eine Diktatur in eine Demokratie einfach mal so umwandelt. Über Nacht sind für Millionen von Menschen Gewissheiten weggebrochen. Und das hat in den 1990er-Jahren zu Existenz- und Verlustängsten geführt. Die können wir bis heute in Ostdeutschland beobachten, weil die Menschen so stark von dieser Zeit geprägt sind.

Was hätte man anders machen können?

Vielleicht hätte man die herausragende Lebensleistung der Ostdeutschen, nämlich 40 Jahre in einer Diktatur gelebt zu haben und dann einen gesellschaftlichen Umbruchsprozess sondergleichen bewältigt zu haben, in den zurückliegenden 30 Jahren stärker würdigen müssen. Wir Ost- und Westdeutschen haben uns noch nicht ausreichend unsere Geschichten erzählt und einander zugehört, um voneinander zu wissen. Darauf will die Bundesstiftung Aufarbeitung in Zukunft ihren Fokus legen.

Die Bundesstiftung Aufarbeitung arbeitet mit vielen Ländern zusammen, vor allem in Osteuropa. Polen, die Ukraine oder Rumänien sind darunter. Warum wenden sich diese Staaten an Sie?

Wir befinden uns in einer sehr interessanten und speziellen Situation als Deutsche. Wir müssen uns mit der Geschichte von zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert auseinandersetzen. Mit der Diktatur der Nationalsozialisten auf der einen Seite. Und der kommunistischen Diktatur in der DDR, die 40 Jahre lang existierte, auf der anderen Seite. Es ist in den vergangenen 30 Jahren eine europaweit einzigartige Aufarbeitungslandschaft in Deutschland entstanden, die für viele Länder Mittel- und Osteuropas so etwas wie ein Vorbild geworden ist. Hier agieren wir als Ideengeber. Wir empfangen zivilgesellschaftliche  Akteure aus den Ländern, aber auch Regierungsdelegationen, die sich darüber informieren wollen, wie man einen gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozess in Gang bringen kann.

Wie lange braucht man denn eine Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur noch?

Geschichtsaufarbeitung kennt kein Verfallsdatum. Unsere Stiftung wird es also sicher noch weitere 20 Jahre geben – mindestens. 

Info: Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde 1998 auf Initiative einer Enquete-Kommission des Bundestages ins Leben gerufen. Sie hat den Auftrag, die Aufarbeitung der Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR zu befördern. Das geschieht vor allem durch die finanzielle Unterstützung von Projekten bundesweit. Dazu gehören SED-Opfer-Verbände, aber auch Museen wie die "Runde Ecke" in Leipzig.

Zur Person: Dr. Robert Grünbaum ist seit 2001 stellvertretender Geschäftsführer der Bundesstiftung Aufarbeitung. Er ist 1967 in Leipzig geboren, hat in Mannheim unter anderem Politikwissenschaften studiert und an der TU Chemnitz promoviert. Er beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte der Friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit.   

Über dieses Thema berichtet MDR SACHSEN auch im: Radio | 22.12.2017 | 13:30 Uhr

(ela)