"Nationale Alternative" und Weitlingstraße Die Geschichte der "Nationalen Alternative"

11. Juli 2018, 11:26 Uhr

Zu den ersten Neonazi-Gruppen, die sich in den neuen Bundesländern etablieren können, gehört die "Nationale Alternative" (NA). Am 31.01.1990 wird sie in der Berliner Wohnung des Rechtsextremisten Bernd Lutz gegründet. Nach Einschätzung des Kriminologen und Extremismusforscher Bernd Wagner beginnt damit "ein neues Kapitel in der Geschichte des deutschen Rechtsextremismus". Die "Nationale Alternative" ist die erste rechtsextremistische Partei, die sich in der DDR formieren kann. Ihre Gründungsmitglieder sind bereits Jahre vorher durch brutale Attacken auf politisch Andersdenkende aufgefallen. Bereits 1986 wurde gegen Mitglieder der späteren Kernmannschaft der "Nationalen Alternative" wegen Waffen- und Sprengstoffbesitz ermittelt. 1990 gelingt den Neonazis ein großer Coup: Ihre Partei wird in das Parteienregister der Volkskammer der DDR aufgenommen.

Die Neonazis etablieren sich im Osten

Der Verfassungsschutz ordnet die "Nationale Alternative" Michael Kühnen zu, der als erster Neonaziführer im Osten handlungsfähige Strukturen etablieren kann.

Neben der "NA" in Ostberlin verfügt Kühnen mit der "Deutschen Alternative" in Cottbus und Dresden über zwei mitgliederstarke Organisationen. Am 18.03.1990 bündelt sich die Szene in der Bundeshauptstadt. Die Nationale Alternative, die Deutsche Alternative und die neuheidnisch ausgerichtete Neonazi-Organisation "Wotans Volk" schließen sich zum Aktionsbündnis "Berliner Block" zusammen. Ihr Ziel ist eine erfolgreiche Teilnahme an den ersten Gesamtberliner Wahlen. Finanziert wird die "Nationale Alternative" durch eher spärliche Mitgliedsbeiträge und einen lukrativen Handel mit Militaria aus dem Zweiten Weltkrieg. Während es die Gruppe im Zuge der Medienaufmerksamkeit versteht, rund 600 Anhänger zu gewinnen, bleibt den Neonazis der politische Erfolg verwehrt. Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus werden mit weniger als 0,1 Prozent der Stimmen zum Desaster, für die Partei der Anfang vom Ende. Der vernichtenden Wahlniederlage folgen interne Querelen. 1992 zerfällt die "Nationale Alternative". Während ein Teil der Mitglieder in anderen rechtsextremen Parteien wie der FAP oder der "Nationalistischen Front" ein neues Zuhause findet, gleitet eine beträchtliche Gruppe der Neonazis ins kriminelle Milieu ab.

Die Berliner Hausbesetzung durch Neonazis: Das Projekt Weitlingstraße

1990 besetzen Neonazis ein Haus in der Türschmiedstraße im Bezirk Berlin-Lichtenberg. Da das Gebäude der Berliner Bezirksverwaltung gehört, bietet die Wohnungsverwaltung den Rechtsextremisten ein Ausweichobjekt an: Die Weitlingstraße 122. Im Gegensatz zu vielen Medienberichten ist dieses Haus nie besetzt worden. Im Gegenteil: Zwischen den Neonazis und der Stadt wird ein regulärer Mietvertrag geschlossen. Das Datum der Unterzeichnung ist der 20. April 1990, ausgerechnet am Geburtstagsdatum Adolf Hitlers. Danach dringen die Neonazis in weitere Häuser der Weitlingstraße ein. In Berlin versuchen Neonazis auf einem Flugblatt, eine sogenannte "Bürgerinitiative Wohnraumsanierung" (WOSAN) zu etablieren. Der Gebäudekomplex in der Weitlingstraße wird zur Parteiadresse der "Nationale Offensive" (NA). Von hier aus kontrollieren die Neonazis den Bezirk und attackierten regelmäßig Ausländer und anders Denkende. Gleichzeitig organisierte die NA Wehrsportübungen.

Aufgabe der Abwehr ist es, sämtliche Gegner zu erfassen und zu bekämpfen. In jederGruppe sind ein bis zwei Mann für die Abwehr abzustellen. Abwehrarbeit geht, bis aufeinzelne Ausnahmefälle, vor anderen Aufgaben. Folgende Gruppierungen, Organisationen und Einzelpersonen sind als unsere Gegner zu betrachten: Hauptinteresse: militanteAutonome, linksradikale Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen, z. B.Punks, Grufties, Red-Skins, linke Intellektuelle und Parteien [...] Abwehrarbeit hat nachfolgenden Gesichtspunkten zu erfolgen: Feststellung von Aufenthaltsorten der Gegner und Wohnungen, Treffpunkte, Demos usw., fotografisches Festhalten und Katalogisierungder Zielpersonen, Einleitung von nachfolgenden Schritten zur Bekämpfung, Ausschaltungund Überwachung.

Die "Leitlinien" der "Nationalen Alternative" zur Abwehr

Als die Polizei am 27. April 1990 die Häuser in der Weitlingstraße 117, 119 und 122 stürmt, beschlagnahmt sie zahlreiche Waffen und Propagandamaterial. Noch im selben Jahr werden die Gebäude geräumt. Nicht wenige der Rechtsextremisten bleiben im Stadtgebiet. Fortan sind Kneipen und Cafés im Umfeld der Weitlingstraße ihre neuen Treffpunkte.


Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 11.07.2018 | 10:30 Uhr

Literaturtipp Bernd Wagner: Handbuch Rechtsextremismus, Reinbek bei Hamburg 1994, S.121 f.

Verfassungsschutzbericht des Bundes 1990, S. 117 f.

Mehr zur Weitlingstaße: Claudia Luzar/Bernd Wagner/Dierk Borstel/ Gabriel Landgraf: Rechtsextremismus in der Weitlingstraße: Mythos oder Realität, Berlin 2006, S.9 f.