Ein brennender Wohnblock in Rostock-Lichtenhagen
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Jahrzehnte des Terrors Kontinuitäten rechter Gewalt

05. März 2020, 12:39 Uhr

Sind die "einsamen Wölfe" von Hanau und Halle Teil einer breiten rechts-terroristischen Bewegung, die in Deutschland gerade Fuß fasst? Oder wie passt diese Kulmination rechter Attentate und die gleichzeitige Serie von Ermittlungen, Razzien, Verboten und Prozessen gegen rechtsterroristische Gruppierungen zusammen? Fragen wie diese gehen aktuell nicht nur BKA und Verfassungsschutzämter nach, sondern auch Historiker und Sozialwissenschaftler.

In den letzten Jahrzehnten ist viel darüber geschrieben worden, wie Verfassungsschutzbehörden und Landeskriminalämter der Bundesrepublik vielfach ausgerechnet von jenen Leuten nach 1945 aufgebaut wurden, die im Repressionsapparat der Nationalsozialisten an entscheidender Stelle (Reichssicherheitshauptamt u.a.) mitwirkten. Wer diese "Staatsdiener" waren oder sind? Ob sie wirklich auf dem Boden der neuen Demokratie stehen? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen beginnt erst gute 20 Jahre später und zeigt, wie sich die westdeutsche Gesellschaft langsam von den frühen komplizenhaft-braunen Verbindungen emanzipiert.

1960er: Hochzeit der Rechten

Das genau in dieser Phase sich neue Formen rechter Gewalt etablieren, mag auf den ersten Blick überraschen. Doch es ist genau dieses Wechselspiel, das für emanzipatorische wie rechtsradikale Dynamik sorgt. Ende der 1960er Jahre verzeichnet die NPD plötzlich einen rasanten Mitgliederzuwachs (bis zu 50.000 pro Jahr) und sie zieht mit 9,8 Prozent der Stimmen 1968 in den baden-württembergischen Landtag ein. Mithin eine Partei, die zu diesem Zeitpunkt ganz klar eine "Rassenpolitik" in Deutschland fordert und Migration als unzulässige "Vermischung von Menschenrassen" ablehnt.

Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Bundestagswahl 1969 suchen Parteien, Verbände und Gewerkschaften erstmals die große politische Auseinandersetzung mit dieser rechtsradikalen Partei. Und widerstehen der Versuchung, sich des Problems durch einen Verbotsantrag zu entledigen. Mit Erfolg: Die NPD scheitert im Bund an der Fünf-Prozent-Hürde und zerlegt sich. Mit der Folge, dass einige ihrer radikalsten Vertreter und Unterstützer nun neue Formen der "politischen Auseinandersetzung" suchen.

Unter den Gründungsmitgliedern dieser neuen "Aktion Widerstand" getauften rechtsextremen Organisation befindet sich auch Arthur Ehrhardt, der Herausgeber des Magazins "Nation Europa". Er ist eine Art spiritus rector der neuen, sich formierenden rechtsterroristischen Bewegung der Bundesrepublik. Als im NS-Apparat bereits eingesetzter Experte (SS-Hauptsturmführer) für paramilitärische Ausbildung gibt er ihr Wissen an die Hand, welches er als Autor praxisnaher Leitfäden bereits vor 1945 entwickelt und trainiert hat. Seine Schriften "Kleinkrieg" und "Werwolf. Winke für Jagdeinheiten" erfreuen sich in der rechtsextremistischen Szene bis heute großer Beliebtheit.

Zäsur in den 1980ern: Brandsatz wird die Waffe der Wahl

Bis Ende der 1970er Jahre, so die Historikerin Barbara Manthe vom DFG-Projekt "Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland, 1970-1990", hätten Rechtsextremisten dank der Unterstützung solcher Männer wie Arthur Ehrhardt noch recht häufig mit Sprengstoff hantiert. Sendemasten gesprengt. Friedhöfe und Gedenkstätten attackiert. Doch die Alten sterben weg und Ehrhardts Geschenk an die Jugend wird 1970, ein Jahr vor seinem Tod, eine Bauanleitung für den Molotow-Cocktail sein. Der Brandsatz wird ab 1980 zunehmend die Signatur rechter, mörderischer Gewalt. Und vor dem Hintergrund einer neuen Orientierung und Zielrichtung von Hass und Gewalt.

Denn das beherrschende Thema der Rechtsextremisten ist nach 1980 der Rassismus. Galten Terrorakte vorher meist unmittelbar dem politischen Gegner, so geraten nun immer deutlicher Flüchtlinge und Migranten ins Visier. Und das in direkter Verschränkung mit einer medialen Welle, bei der rassistische Stereotype fröhliche Wiederkehr feiern.

Wie eng solche medialen Diffamierungskampagnen und rechter Terror mitunter verbandelt sind, zeigt der Fall der rechtsterroristischen Vereinigung "Deutsche Aktionsgruppen" um Manfred Roeder. 1980, auf einer Fahrt nach Hamburg, weckt ein Artikel im lokalen Abendblatt das Interesse der Rechtsextremisten. 19 Roma und Sinti sowie zehn Afghanen, heißt es dort, habe man zur "Verärgerung" der Anwohner einfach aus einem Flüchtlingslager bei Fulda nach Hamburg umgesiedelt. Und dass, wo bereits 1.500 Asylbewerber "inzwischen auf Staatskosten in Hotels und Pensionen Quartier" bezögen. Dem erregten Bürger wird noch die Adresse der anstößigen Unterkunft frei Haus geliefert. Am gleichen Abend werfen die Rechtsterroristen Molotowcocktails durchs Fenster der Asylunterkunft. Zwei Menschen sterben.

Polizei: Oft kein rassistisches Motiv gefunden

Im konkreten Fall stößt man schnell auf die Täter und stellt sie 1982 vor Gericht. In anderen Fällen gehen Staatsanwaltschaften und Polizei dem Verdacht einer rassistischen bzw. rechtsradikalen Straftat nie nach. Die systematische Erforschung solcher, bislang ungeklärter Fälle, hat im Zuge der Beschäftigung mit den rechten Gewalt-"Signaturen" (Brandanschlag mit ausschließlich migrantischen Opfern) gerade erst begonnen. Ausgelöst durch das 2011 enttarnte NSU-Netzwerk, dass die Spur einer Serie von rassistischen Morden verschleiern konnte, weil sich die Ermittler u.a. aufgrund einer diskreditierenden Berichterstattung über das "Milieu" der Opfer sicher waren: Eine politisch motivierte Straftat könne keinen Falls vorliegen, sondern eher ein Fall des organisierten Verbrechens.

NSU: Nach dem Debakel

Warum Polizei und Verfassungsschutz hier so radikal versagt haben? Diese Frage hat zumindest der Wissenschaft Auftrieb gegeben. Und ebenso Betroffene rechtsradikaler Gewalt wie Angehörige von Opfern darin bestärkt, die von der Forschung als "institutionelle Rassismus" beschriebene Ermittlungspraxis viel stärker zu hinterfragen.

Mit Erfolg. So weist die Journalistin und NSU-Expertin Heike Kleffner darauf hin, dass das BKA 2017 endlich neue Richtlinien erlassen hat beim Verdacht auf politisch motivierte Kriminalität. Bei der polizeilichen Ermittlung und Würdigung aller Umstände seien die Betroffenen von nun an unbedingt mit einzubeziehen. Bis zur Jahrtausendwende, so Kleffner, habe man migrantische Opfer und deren Aussagen und Hinweise zum Tathergang konsequent ignoriert. Und, wie der Fall NSU gezeigt hat, mitunter sogar kriminalisiert.

Waffen und Projektile als neue Signatur rechten Terrors

Während in den Ermittlungseinheiten - forciert durch solche neuen Vorgaben - die Sensibilität für die Wahrnehmung rechtsextremistischer Gewalttaten wächst, beobachten die Wissenschaftler auf der anderen Seite eine Modernisierung des Terrors von Rechts. Bei der jüngsten Welle rechtsextremistischer Gewalt (seit 2015) wurden in dichter Folge pogromartige Angriffe vorbereitet (Freital, Bautzen, Chemnitz) und deuten vielerorts entdeckte und über Jahre (z.T. mit Hilfe von Polizei- und Armee-Angehörigen) angelegte Waffenleger auf eine seit Jahren praktizierte strukturelle Verflechtung hin.

Dass rechtsextreme Polizisten Entscheidungsbefugnisse hatten bei der Zuteilung von Waffenscheinen (siehe Fall der Terror-"Gruppe S."), aktenkundige Rechtsextremisten bis hin zu Reichsbürgern Waffen erhalten haben und behalten dürfen, rechte Netzwerke unter Polizisten nur durch zufällig entdeckte Chats zutage traten (Hessen), sich jüngst gar neue transatlantische Verbindungen auftun (siehe die Kontakte der amerikanischen rechten Terrorgruppe "Atomwaffen Division" nach Plauen und Eisenach) - all das sorgt für Beklemmung.

Zahl der Rechtsextremen wächst

Zumal, wenn leitende Beamte und Stellen bekunden, die Gefahr wächst. Durch "unstrukturiertes Personenpotenzial", wie es Verfassungsschutzbehörden nennen. Dahinter verbergen sich (aktuell) unorganisierte Neonazis, wie der mutmaßliche Lübcke-Attentäter Stephan Ernst, als auch Hooligans, Kampfsportler und anderes "Bodenpersonal" eines möglichen Umsturzversuchs von Rechts. Die Gesamtzahl dieser Personen sei 2019 auf 13.500 angewachsen.

Und sie wird - nach aktuellen Prognosen des BKA etwa - kaum sinken. Im Gegenteil. BKA-Chef Holger Münch hat erst jüngst dem Deutschland-Radio gegenüber verkündet, dass seine Behörde dabei sei, ein neues Instrument zur Gefährlichkeitseinschätzung von Rechtsextremisten zu entwickeln. Dabei sollen unter anderen Psychologen und Sozialwissenschaftler typische Verhaltensweisen herausarbeiten und biographische Radikalisierungsmuster. Für den Bereich des islamistischen Terrorismus gebe es das alles schon seit Jahren. Doch bis dieser Werkzeugkasten auch dem Rechtsextremismus-Abwehrzentrum zur Verfügung steht, können, so der BKA-Chef, noch Jahre vergehen.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch TV: MDR um 2 | 21.02.2020 | 14 Uhr