Rechtsextremismus Rechter Terror - damals und heute

05. April 2016, 23:13 Uhr

13 Menschen starben 1980, als vor dem Eingang zur "Wiesn" in München eine Bombe explodierte. 200 weitere Personen wurden verletzt. Die Politik suchte die Täter reflexartig im linksextremen Umfeld. Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit erklärt, warum - und warum jetzt offenbar der Zeitpunkt gekommen ist, den Anschlag aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Fast 13 Jahre lang blieben die mutmaßlichen Mörder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" unentdeckt. Polizei und Justiz ermittelten jahrelang in die falsche Richtung.

München 1980

Allerdings nicht zum ersten Mal, wie ein Blick in die Geschichte der 80er-Jahre zeigt: Bei einem Bombenanschlag in München am 26. September 1980 starben 13 Menschen - unter ihnen der Attentäter selbst - und mehr als 200 weitere Menschen wurden vereletzt. Der Sprengsatz explodierte am Abend um 22:19 Uhr, als die Festbesucher nach Hause strömten. Die Leiche des Attentäters wurde ganz in der Nähe eines Abfalleimers gefunden, in dem der Sprengsatz detoniert war. Offenbar hatte der 21 Jahre alte Geologiestudent Gundolf Köhler den Sprengsatz im Moment der Explosion in der Hand. Für den damaligen Ministerpräsidenten in Bayern, den CSU-Politiker Franz-Josef Strauß, war sofort klar, in welchem Umfeld die Täter zu suchen waren: bei den Linksradikalen.

Für den Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit spiegelt diese Reaktion das Denken der damaligen Zeit wieder.

Rechter Terror wurde nicht wahrgenommen, Vorfeldorganisationen, die paramilitärische Übungen gemacht haben, wurden nicht ernst genommen, Waffenfunde wurden heruntergespielt. Das ist auch mit der Wehrsportgruppe Hoffmann passiert.

Doch schon bald war klar, dass der Attentäter Gundolf Köhler dem rechten Lager zugeordnet werden musste - ein Ausweis, der bei ihm gefunden wurde, zeigte, dass er Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war. Auch der Verfassungsschutz fand in Notizen der Gruppe Vermerke darüber, dass dass Köhler zweimal, nämlich 1977 und 1979, an Übungen der militanten Rechtsextremisten teilgenommen hatte.

Die paramilitärische Truppe trainierte mit scharfen Waffen und Militärfahrzeugen den bewaffneten Kampf. Zwar bekannte sich ihr Namensgeber Karl-Heinz Hoffmann offen zu seiner nationalsozialistischen Gesinnung. Etwa 400 Personen wurden dieser Gruppe damals zugerechnet. - Doch konservative Politiker verharmlosten die Aktivitäten der Kampfgruppe lange Zeit. Franz-Josef Strauß beispielsweise hatte noch im Januar 1980 über Bundesinnenminister Gerhart Baum gewettert, der im Januar 1980 das Verbot der Wehrsportgruppe durchgesetzt hatte:

Mein Gott, wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen battle dress spazierengeht, dann soll man ihn in Ruhe lassen.

Auch Bayerns Innenminister Gerold Tandler äußerte sich ähnlich:  

Die Erkenntnisse rechtfertigen diese Beurteilung, dass diese Gruppierung zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für die verfassungsrechtliche Grundordnung unseres Staates waren und sind.

Muss der Anschlag von 1980 neu aufgerollt werden?

Waren die Toten des Münchner Oktoberfests Opfer eines gezielten Anschlags von Rechtsextremen? Gundolf Köhler gilt bis heute offiziell als Einzeltäter, obwohl Spuren und Zeugenaussagen auf rechte Hintermänner hinwiesen. Speits Erklärung dafür, warum der Staat den Linksterroristen eine größere Beachtung schenkt als den rechten: Linksradikale greifen die Stützen der Gesellschaft an, Rechtsradikale die Außenseiter. Andreas Speit:

Die Betroffenen des Terrors sind eigentlich diejenigen, die oft in der Gesellschaft am Rande stehen oder die in der Mitte der Gesellschaft ähnlich angefeindet werden. Wo es Ressentiments gegen Obdachlose, Homosexuelle gibt, Punks, oder eben Leute mit Migrationshintergrund.

Deshalb ist der rechte Terror im kollektiven Gedächtnis nicht so präsent wie der linke - trotz höherer Todesopferzahl. Auch ihre Ziele verhehlen die Rechtsextremen nicht, so wie 1981: Klaus Ludwig Uhl von der "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands" (1981): 

Wir wollen die Demokratie beseitigen und den Rest des Besatzungsdiktats beseitigen und einen neuen nationalsozialistischen Staat errichten.

Ein Ziel, für das sie auch Waffengewalt nicht scheuen: Am 20. Oktober 1981 wollen Uhl und seine Gefährten eine Bank überfallen, um mit dem Geld den bewaffneten Kampf zu finanzieren. Beim Schusswechsel mit der Polizei sterben zwei Neonazis.

Der Banküberfall war in der Wohnung des militanten Neonazi-Führers Friedhelm Busse geplant worden. Busse wurde wegen Hehlerei und Waffen- und Sprengstoffbesitz lediglich zu drei Jahren Haft verurteilt. Er zählte bis zu seinem Tod 2008 zu den führenden Köpfen der militanten Neonazi-Szene in Deutschland.

Fremdenhass und Anschläge der 90er-Jahre

Anfang der 90er-Jahre erreichte die rechtsradikale Gewalt einen neuen Höhepunkt. Im September 1991 kam es in Hoyerswerda zu pogromartigen Zuständen: Asylbewerber und ausländische Vertragsarbeiter werden aus der Stadt vertrieben, die Neonazis feierten Hoyerswerda als "Deutschlands erste ausländerfreie Stadt".

In Rostock-Lichtenhagen belagerte 1992 ein ausländerfeindlicher Mob tagelang das Sonnenblumenhaus, in dem Asylbewerber untergebracht waren. Neonazis griffen Polizisten an und warfen Molotowcocktails. Wie durch ein Wunder gab es keine Toten.

Und in Jena?

In dieser Zeit wuchsen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt heran und wurden radikalisiert: Neonazis fühlten sich als Sprachrohr einer schweigenden Masse, beobachteten, was nach Übergriffen und Anschlägen passierte.

Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit:

Wenn nichts passiert, fühlen sie sich natürlich ermutigt, weiterzumachen. Und das führt zur Radikalisierung der Szene.

Auch in Bezug auf das Oktoberfest-Attentat wird neu ermittelt. Denn nach dem NSU-Skandal ist denkbar, was vorher unmöglich schien: Dass auch 1980 eine rechtsradikale Terrorbande für den Bombenanschlag in München verantwortlich war und Gundolf Köhler kein Einzeltäter, sondern in Neonazi-Strukturen eingebunden war. Auch wenn es immer wieder Hinweise auf Hintermänner und Organisationen gibt, laufen alle weiteren Ermittlungen ins Leere. Generalbundesanwalt Peter Frank stellt am 7. Juli 2020 die wieder aufgenommenen Ermittlungen schließlich ein.