Umgang mit sozialistischen Denkmälern DDR-Erbe: "Man kann Denkmäler auch mit Farbe bewerfen - aber man sollte sie nicht auslöschen"
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03. Juli 2020, 05:00 Uhr
Weltweit werden im Kampf gegen Rassismus Denkmäler gestürzt, die an die koloniale Vergangenheit erinnern. Das erinnert auch an den Denkmal-Sturm auf Marx, Engels, Lenin & Co., als die Mauer fiel und die Sowjetunion zusammenbrach. Auch in Deutschland ist die Diskussion darüber neu entfacht, wie mit einstigen Helden der Geschichte umzugehen ist. Der Historiker Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, ist dafür, Denkmäler im Stadtbild zu erhalten. Warum, erklärt er im Interview.
Herr Prof. Sabrow: In Gelsenkirchen wurde gerade ein Lenindenkmal aufgestellt. Ein Politikum, denn Lenin auf dem Sockel kannte man nur aus der DDR. Wie sieht denn die Geschichtswissenschaft heute Lenin?
In der Geschichtswissenschaft streiten wir uns darüber, ob Lenin als unmittelbarer Vorarbeiter Stalins zu sehen ist oder Antipode. Für beides gibt es gute Argumente. Manche sagen: Nein, den Terror gab es nur im Bürgerkrieg und nur übergangsweise. Als Historiker wissen wir aber, dass alle Gesellschaftsexperimente ihre Eigendynamik entwickeln. Und so sehen wir doch auch sehr viele Übereinstimmungen, die der Stalinismus vom Leninismus nur übernehmen und weiter brutalisieren musste, um ihn in den Terror des Gulag zu überführen. Diese letztere Interpretation hat sich heute durchgesetzt. Die erstgenannte Sicht des schuldigen Revolutionärs, der der Gute wollte und das Schlechte bewirkte, ist eher in die Denkwelt früherer Jahrzehnte zu setzen.
Wie wurde nach der Wende mit DDR-Denkmälern umgegangen?
Es gab kein einheitliches Vorgehen. Aber insgesamt hat man versucht, sich der Relikte einer abgeschafften Herrschaft zu entledigen. Das Denkmal von Lenin am Leninplatz 1991 im Friedrichshain abzubauen, zu demontieren, den Kopf zu vergraben im märkischen Sand, das war von hoher symbolischer Kraft. Aber wie das so ist, wenn Politik Symbole angreift, muss man damit rechnen, dass die Geschichte diese Symbole zurückholt. Der Kopf Lenins wurde 2017 wieder ausgegraben, er ist jetzt in der Spandauer Zitadelle. Also ein Denkmalssturz heißt nicht, dass die Beschäftigung mit den Personen endet.
Wozu waren Denkmäler in der DDR da?
Sie dienten der Herrschaftslegitimation und über sie wurde versucht, die herrschende Weltanschauung in der Öffentlichkeit sichtbar zu verankern. Es gab sehr unterschiedliche Denkmäler. Ein Denkmal in Berlin-Mitte für den ABV, also den Abschnittsbevollmächtigten der Volkpolizei, er wird umringt von einer Frau und einem Mann. Ob das Gespräch der aufmerksam machenden Denunziation gilt oder dem freundlichen Austausch von Bürger und Ordnungsmacht, das lässt das Denkmal offen. Wir haben Marx und Engels in der Mitte Berlins - Manifestationen der Herrschaftsideologie in ihrer Geschlossenheit.
Ich bin sehr dafür, Vergangenheitszeichen im urbanen Stadtbild zu bewahren, aber zugleich auch zu kommentieren. Man kann Denkmäler verehren, aber auch mit ihnen spielen.
Aber in Ost-Berlin standen auch die Monumente früherer Zeiten, die wie Scharnhorst und Gneisenau in die Zeit des nationalen Kurses passen. Und später, zu Beginn der 1980er Jahre, kam dann auch Friedrich der Große als Reiterstandbild zurück unter die Linden - die DDR unter Honecker versuchte ihre Legitimation zu erweitern und entdeckte ihr preußisches Erbe.
Die meisten der DDR-Denkmäler existieren noch. Was transportieren sie heute?
Sie zeigen Zeitschichten und diese Zeitschichten sind kostbar. Eine liberale Gesellschaft kann und muss es sich leisten, auch die Ecken und Kanten ihrer Vergangenheit in die Gegenwart hineinragen zu lassen. Sie sind Teil einer überholten, aber überkommenen historischen Entwicklung. Wäre die Zeitschicht, von der sie zeugen, noch mächtig und hätten wir es mit dem dogmatischen, die Diktatur legitimierenden Marxismus-Leninismus des Staatssozialismus als politischer Option zu tun, dann würden Sie mich entschlossen gegen seine Propagierung argumentieren hören. Aber gerade weil die Gelsenkirchener Leninstatue eine Vergangenheit repräsentiert, die außer den skurrilen Aufstellern und ihrer Retropartei niemand mehr zurückhaben will, können wir uns leisten, auch mit Leninplätzen und Erinnerungstafeln an Aufenthaltsorten liberal umzugehen und an ihnen die Verwandlung von Denk- in Mahnmälern zu erfahren.
Was halten Sie für einen sinnvollen Umgang mit Denkmälern?
Ich bin sehr dafür, Vergangenheitszeichen im urbanen Stadtbild zu bewahren, aber zugleich auch zu kommentieren. Man kann Denkmäler verehren, aber auch mit ihnen spielen, man kann auch mit Farbbeuteln gegen ihre Aussage protestieren. Aber man sollte sie tunlichst nicht auslöschen, sofern sie ein Mindestmaß an Mehrdeutigkeit und Betrachtungsbreite haben und sie schon lange Zeit unbehelligt den öffentlichen Raum bevölkert haben. Am besten kann man sie mit Erklärungstafeln versehen, dann bleiben sie, was mir für eine Erinnerungskultur am wichtigsten erscheint: Dass sie die Vergangenheit nicht zu einem verlängernden Spiegel der Gegenwart verkürzen, sondern die Anstöße aus der Vergangenheit in die Gegenwart vermitteln. Vor dem Reiterstandbild Cosimos de Medici in Florenz stehenzubleiben, heißt nicht, sich mit der Zurschaustellung von politischer Macht zu identifizieren. Sondern auf eine fremde Zeit, ihren Kunstsinn, ihr Weltverständnis zu schauen, die ästhetische Nähe ebenso wie den historischen Abstand zu spüren.
Über dieses Thema berichtet MDR in "Exakt - Das Nachrichtenmagazin": TV | 24.06.2020 | 20:15 Uhr