1943 Kampf um die Lenin Büste Der Lenin von Eisleben - Eine Rettungsgeschichte mit Haken
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09. November 2021, 14:28 Uhr
Es ist der Stoff, aus dem sozialistische Legenden entstehen: Noch während des zweiten Weltkriegs, so heißt es, bewahren Kommunisten und sowjetische Zwangsarbeiter eine riesige Lenin-Büste vor dem Einschmelzen. Sie widersetzen sich damit einem Befehl der Nazis, stellen den Koloss auf den Marktplatz und verehren ihn fortan. Doch diese Rettungsgeschichte hat einen Haken.
Der Eislebener Bahnhof 1943: Während die Rote Armee den Siegeszug der deutschen Wehrmacht im Osten stoppt, trifft in Eisleben ein Zug mit Schrott aus dem sowjetischen Kriegsgebiet ein. In den Hüttenöfen der Mansfeld AG, der so genannten Krughütte, soll die Fuhre für Rüstungszwecke eingeschmolzen werden. Zwischen Kirchenglocken, Schiffsschrauben und Granathülsen findet sich in dem Wagen aber auch eine Überraschung: Eine über drei Meter hohe und neun Tonnen schwere Bronze-Statue. Sie ist ein Denkmal für den russischen Revolutionsführer von 1917, Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als "Lenin". Helmut Gehlmann, damals Lehrling auf der Krughütte, erinnert sich an den Fund:
Ich habe es so in Erinnerung, dass er auf dem Rücken gelegen hat. Im Profil war er zu erkennen, (...) mit seiner typischen Mütze, die er hatte. Erklärt haben uns das die ehemaligen Mitglieder der KPD und der SPD, die ja wussten, wer Lenin war.
Geschaffen hat die Statue der russische Bildhauer Matwej G. Maniser. Ursprünglich steht sie in der russischen Stadt Puschkin. Als die Wehrmacht die Stadt 1943 erobert, demontieren die Truppen das Denkmal. Wie anderes Buntmetall soll es eingeschmolzen und weiterverarbeitet werden. Dieser Plan wird jedoch vereitelt, so die jahrzehntelange Annahme.
Die Lenin-Legende von Eisleben
Hüttenwerker und sowjetische Ost-Arbeiter sollen die Statue unter Schrott und Kohle versteckt haben. Der amtierende Bürgermeister Robert Büchner soll sogar den Betriebsleiter mit einer Waffe bedroht haben, damit das Denkmal nicht eingeschlossen wurde. Als 1945 die Russen in Eisleben einrücken, wird die Statue dann auf dem Marktplatz ausgestellt. Diese Legende zur Rettung des Lenin-Denkmals kursiert bis in die Fünfzigerjahre in der Region. Als sowjetische Zeitungen das Heldenepos aufgreifen und ausschmücken, handelt auch die SED-Führung. Das Institut für Marxismus-Leninismus schickt seine Forscher nach Eisleben. Sie sollen Namen und Gesichter der Retter finden.
Aber die befragten Hüttenarbeiter, darunter auch Helmut Gehlmann, reden Tacheles: Die Lenin-Statue habe die letzten Kriegsjahre neben zwei anderen historischen Skulpturen überdauert, auf dem Bauch liegend und für jeden sichtbar. Dennoch hält die SED-Forschung an der Heldengeschichte fest - sie passt einfach zu gut ins antifaschistische Bild der DDR. Bei einer zweiten Befragung werden unbrauchbare Zeugen aussortiert, einige wenige zu den Rettern stilisiert. Das Abschlussprotokoll wird für alle Publikationen verbindlich, das Denkmal zum Symbol der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Generationen von Schulkindern lernen es vor Ort oder in ihren Büchern kennen.
Statue überlebt durch Zufall
Erst nach der Wende beginnt die Legende zu bröckeln. Nach umfangreichen Recherchen findet der Autor Andreas Stedtler aus dem Mansfelder Land heraus, dass es Zufall war, dass die Lenin-Statue überlebte. Schlichtweg zu groß sei sie für den Schmelzofen auf der Krughütte gewesen. Und erst als sich 1945 abzeichnete, dass die Rote Armee in Eisleben einmarschieren werde, erinnerte man sich wieder an den Bronze-Lenin.
"Man muss den Initiatoren dieser Aufstellung schon ein unheimliches politisches Kalkül nachsagen. In der Nacht vor dem Einmarsch der Roten Armee, genau da, wo die auch vorbeikommen, ein Lenin-Denkmal aufzustellen, ist schon ein Geniestreich, keine Frage."
Fast 46 Jahre steht das Lenin-Denkmal in Eisleben. 1991 wird es abmontiert. Eingeschmolzen wird es freilich nicht: Seither steht es im Deutschen Historischen Museum in Berlin.
Buchtipp
Andreas Stedtler:
"Die Akte Lenin. Eine Rettungsgeschichte mit Haken"
192 Seiten, Halle: Mitteldeutscher Verlag 2006,
ISBN: 3-89812-329-4,
Preis: 16,00 Euro.
Lenin – Eine Kurzbiografie Wie viele russische Revolutionäre stammt Wladimir Iljitsch Uljanow aus einer Intellektuellenfamilie. Am 22. April 1870 wird er in Simbirsk geboren und besucht bis 1887 das örtliche Gymnasium. Im gleichen Jahr wird sein älterer Bruder Alexander wegen eines geplanten Attentats auf den Zaren gehängt. Von 1887 bis 1891 studiert Uljanow Jura in Samara. Dort ist er bereits revolutionär aktiv. 1893 siedelt er nach St. Petersburg über. Dort gibt es erste Kontakte zu führenden Sozialdemokraten. 1895 wird Uljanow erstmals verhaftet, sitzt zwei Jahre im Gefängnis und bringt dann drei Jahre in der sibirischen Verbannung nahe des Flusses Lena zu. Die Vermutung, dass sein Kampfname Lenin (etwa: der von der Lena) auf diese Zeit zurückgeht, ist nicht belegt. Ab 1900 ist Lenin im Exil in Westeuropa und setzt 1903 sein Konzept einer Kaderpartei auf dem zweiten Kongress der SDAPR in London durch. Die Partei spaltet sich daraufhin in Menschewiki und Bolschewiki. 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, lebt Lenin in der Schweiz. Im April 1917 reist er nach Petrograd. Nach dem erfolgreichen bolschewistischen Oktoberputsch ruft Lenin die Räterepublik aus. 1918 bis 1920, während des russischen Bürgerkriegs, stabilisiert Lenin die Herrschaft der Kaderpartei und schaltet andere Parteien aus, darunter auch Menschewiki und Sozialrevolutionäre. 1921, als Bauernaufstände und Arbeiterproteste blutig niedergeschlagen werden, ruft Lenin eine neue Wirtschaftspolitik aus, um den Lebensstandard zu heben. 1922 und 1923 erleidet er Schlaganfälle und beobachtet hilflos Stalins Aufstieg. Am 21. Januar 1924 stirbt Lenin in Gorki bei Moskau.