Porträt Clara Zetkin - die Unbestechliche
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02. August 2022, 14:09 Uhr
Clara Zetkin war eine kluge, mutige und unbestechliche Frau. Fast 40 Jahre lang war sie Mitglied der SPD, trat vehement für die Rechte der Frauen ein und gilt praktisch als die Begründerin des Internationalen Frauentages. Ihr Leben lang wollte sie der Sache dienen. Dabei ließ sie sich weder von Lenin, Stalin, der SPD oder anderen Frauenrechtlerinnen vereinnahmen.
Fast deckungsgleich ist das Leben Clara Zetkins mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: 1857 im sächsischen Wiederau geboren, fand die Tochter eines Lehrers 1878 Anschluss an die Sozialdemokratie.
Damals - es ist die Zeit staatlicher Verfolgung unter Bismarcks Sozialistengesetz (1878 bis 1890) - entwickeln große Teile der Arbeiterschaft ein Bewusstsein als Klasse der sozialen Revolution. Sozialdemokrat sein, heißt Revolutionär sein. Revolutionäre in Deutschland, dem Geburtsland von Karl Marx, dem Land mit der dynamischsten industriellen Entwicklung Europas, verstehen sich als Speerspitze des weltweiten Kampfes um proletarische Emanzipation, gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung. 1889 ist die Parteiaktivistin Zetkin am Entstehen der "Sozialistischen Internationale" beteiligt.
Zwangsverhältnis der Kapitalverwertung
Früh entdeckte die selbstbewusste und mutige Sozialdemokratin ihr Thema, das Grundmotiv ihres Kampfes, das sie bis zum Tod begleitete: Wie ist die Emanzipation der Frau mit der Befreiung des Proletariats aus dem Zwangsverhältnis der Kapitalverwertung verbunden? Clara Zetkin, ausgehend von August Bebels Schrift "Die Frau und der Sozialismus", hat über die Antwort keinerlei Zweifel: "Die Emanzipation der Frau wie die des gesamten Menschengeschlechts wird ausschließlich das Werk der Emanzipation der Arbeit vom Kapital sein. Nur in der sozialistischen Gesellschaft werden die Frauen wie die Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen."
Wirtschaftlich abhängig
Clara Zetkins Antwort ist Abgrenzung und Programm zugleich. Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung, deren formal-rechtlichen Forderungskatalog sie zunächst ablehnt mit Vehemenz:
Mag man heute unsere gesamte Gesetzgebung dahin abändern, dass das weibliche Geschlecht rechtlich auf gleichen Fuß mit dem männlichen gestellt wird, so bleibt nichtsdestoweniger für die große Masse der Frauen die gesellschaftliche Versklavung in höchster Form weiter bestehen: ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von ihren Ausbeutern.
Zuerst Revolution!
Was ist stattdessen zu tun? "Ihre soziale Befreiung erringt sie, die Proletarierin, nicht wie die bürgerliche Frau und zusammen mit ihr im Kampf gegen den Mann ihrer Klasse, sie erobert sie vielmehr zusammen mit den Mann ihrer Klasse im Kampf gegen die so genannte bürgerliche Gesellschaft, das Gros der Damen der Bourgeoisie davon nicht ausgenommen." Zuerst also die Revolution, dann die Emanzipation der Frau! Der zweite Schritt resultiert aus dem ersten; die Reihenfolge umzukehren wäre Augenwischerei - ein Herumdoktern an Symptomen, statt das Übel an der Wurzel zu packen: am Verhältnis des privatkapitalistischen Eigentums.
Politisch heimatlos
Infolge des Wandels der deutschen Sozialdemokratie hin zu reformistischen Standpunkten nach August Bebels Tod 1913 wird die entschiedene Revolutionärin politisch heimatlos: Sozialdemokrat sein, das heißt ab jetzt eben nicht mehr, Revolutionär zu sein: Es bedeutet, die bürgerliche Gesellschaft von innen zu reformieren und dadurch zu erhalten. Während des Ersten Weltkriegs steht Nationalismus auf der Tagesordnung: Die "Proletarier aller Länder" schießen einander tot, statt ihre Unterdrücker zu bekämpfen.
Signal einer neuen Welt
Folglich erscheint der Revolutionärin Clara Zetkin die russische Oktoberrevolution 1917 wie ein Lichtblick in finsterer Nacht, Signal einer neuen Welt der Gleichheit und Emanzipation. Sie wird Kommunistin, arbeitet im Spartakusbund, und ist 1919 - nach dem Scheitern der deutschen Novemberrevolution - eines der ersten Mitglieder der jüngst gegründeten KPD. Dort, in den Reihen der kommunistischen Partei, verläuft ihre zweite politische Karriere. Dort stößt sie auf Zustimmung und Unverständnis und sogar auf Ablehnung ihrer Position zum Frauenproblem.
Abgedrängt in die zweite Reihe
Denn auch die KPD der Weimarer Republik ist vor allem und zuerst eine Männerpartei. Einst populärste sozialistische Theoretikerin in Geschlechterfragen, sieht sich die Funktionärin und Frauenrechtlerin bald in die zweite Reihe gedrängt. Zwar ist sie von 1920 bis 1933 Reichstagsabgeordnete der KPD, gibt eine Zeitschrift heraus, ist Mitglied des Zentralkomitees und gehört dem Exekutivkomitee der "Kommunistischen Internationale" an. Aber schon im Dezember 1928 halten ihr Genossen ihre sozialdemokratische Vergangenheit vor und schicken Clara Zetkin, wie die Biografin Tânia Puschnerat schreibt, "in die innere Emigration. Krank, isoliert und kontrolliert von KPD wie Komintern, war sie aus der geistigen Verbannung nie mehr aufgetaucht." Überdies steht die unabhängig denkende Frau ideologischen Vorgaben kritisch gegenüber. Spätestens Ende der 1920er-Jahre wirft der stalinistische Terror seine Schatten voraus. Die große alte Dame der deutschen Linken ist nur noch Aushängeschild. Ihr Einfluss tendiert gegen Null, mit dem nahen Ende der deutschen Arbeiterbewegung als eigenständige politische Kraft.
Disziplinierte Parteisoldatin
Stalin, dessen Herrschaftsstil sie nicht goutiert und der sie nicht mag, pflegt vor Befehlen an seine deutsche Satellitenpartei keine Expertinnen für Frauenfragen zu Rate zu ziehen. Dennoch, bis zur finalen Krankheit ist die Rebellin disziplinierte Parteisoldatin: Vor dem letzten deutschen Reichstag vor der Machtübernahme der Nazis verliest sie als Alterspräsidentin eine Rede, die andere für sie geschrieben haben. Im Juni 1933 stirbt Clara Zetkin in Archangelskoje bei Moskau, wo sie bereits zwischen 1924 und 1929 wohnte. Ihre Urne wird an der Kremlmauer beigesetzt.
Zerschlagene Träume
Clara Zetkin ist rechtzeitig gestorben. Manches spricht dafür, dass Stalins Terror auch sie getroffen hätte. Dass die deutsche Arbeiterbewegung, die ihr Leben gewesen ist, von den Nazis zerschlagen war, musste sie gerade noch registrieren. Die siegreiche deutsche Revolution der Proletarier blieb aus, und mit ihr die im Zetkinschen Verständnis wahre Emanzipation der Frau. Weil es den ersten Schritt nicht gab, konnte es auch den zweiten niemals geben.
Herkunft und frühe Jahre
Clara Josephine Eißner, die spätere Clara Zetkin, kommt am 5. Juli 1857 in Wiederau, nahe Rochlitz im Königreich Sachsen, zur Welt. Ihr Vater ist Lehrer und Kantor, und sympathisiert mit den Idealen von 1848. Claras Mutter engagiert sich in der bürgerlichen Frauenbewegung.
1872 siedelt die Familie nach Leipzig über, auch, um Clara eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Clara schließt in Leipzig ein Studium als Fachlehrerin für moderne Sprachen ab. 1878 tritt sie der "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" bei, ab 1890 heißt diese Partei SPD.
1882 geht Clara gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem russischen Emigranten Ossip Zetkin, ins Exil - zunächst nach Zürich, dann nach Paris. Dort nimmt sie den Namen ihres Lebenspartners an. Zwei Söhne gehen aus der Verbindung hervor.
Ab 1890 zurück in Deutschland, arbeitet Clara als Übersetzerin und gibt wenig später die Frauenzeitschrift "Gleichheit" heraus. 1899 stirbt Ossip Zetkin. Clara heiratet den 24-jährigen Kunstmaler Friedrich Zundel. Verheiratet ist das Paar bis 1928. Von 1907 an leitet Clara Zetkin das Frauensekretariat der SPD und wirkt als internationale Sekretärin der "Sozialistischen Fraueninternationale". Bis 1917 ist sie Mitglied des SPD-Parteivorstands. "Sie war eine brillante und geschätzte Rednerin", schreibt die Zetkin-Biografin Florence Hervé, "manchmal hörten ihr 1500 Menschen zu."
1915 organisiert Clara Zetkin die "Internationale Konferenz sozialistischer Frauen gegen den Krieg". Sie gehört zu den wenigen SPD-Politikern, die sich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegen die Kriegspolitik des Kaiserreichs stellen. Dafür landet die unbeirrte Agitatorin mehrfach im Gefängnis.
Dass sich ihr Ehemann, Friedrich Zundel, bei Kriegsausbruch freiwillig meldet, ist für Clara ebenso eine Enttäuschung wie die Haltung der SPD-Führung und der überraschend nationalistisch gestimmten Arbeitermassen insgesamt.
Enthusiasmus und Ernüchterung
Die russische Oktoberrevolution begrüßt Clara Zetkin begeistert. Ab 1919 KPD-Mitglied, sind die Ereignisse in Russland für sie der Hoffnungsstrahl nach den desillusionierenden Erlebnissen der Kriegszeit. 13 Jahre lang, bis 1933, ist sie KPD-Abgeordnete im Deutschen Reichstag, zum Schluss Alterspräsidentin.
Dort, schon stellen die Nazis die stärkste Fraktion und ist ein Hermann Göring Reichtagspräsident, hält Clara Zetkin am 30. August 1932 ihre letzte parlamentarische Rede. Das tut sie, laut Redetext, "in der Hoffnung, trotz meiner jetzigen Invalidität das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongress Sowjetdeutschlands zu eröffnen."
Diese Aussage, wahrscheinlich wurde sie ihr von Moskauer Redenschreibern in den Mund gelegt, betrachten manche auch heute als antidemokratische Selbst-Diskreditierung: Gilt doch der Reichstag der Weimarer Republik, obwohl ab Beginn der 1930er Jahre unter starkem nationalsozialistischem Einfluss, bis zur Machtübernahme durch die Nazis immer noch als demokratische Institution.
Bezüglich der späteren Schaffensjahre in Deutschland und in der Sowjetunion vertreten Historiker zum Teil unterschiedliche Positionen. Einerseits entfaltete Clara Zetkin beachtliche Aktivität - unter anderem als Vorsitzende der "Internationalen Roten Hilfe" -, andererseits war sie in bedeutsame Entscheidungsprozesse vermutlich kaum noch einbezogen. Laut Auskunft der KPD-Abgeordneten Maria Reese lebte Clara Zetkin in der Sowjetunion bereits parteipolitisch isoliert.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Ostfrauen" 25.02.2010 | 22.05 Uhr