Der Dichterfürst Das außerordentliche Leben Johann Wolfgang von Goethes

(1749-1832)

22. September 2010, 13:04 Uhr

"Je mehr ich's überdenke, je lebhafter empfinde ich die Unmöglichkeit, dem, der Goethe nicht gesehen noch gehört hat, etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf zu schreiben." (F.H. Jacobi an Christoph Martin Wieland, 27.8.1774)

Als Johann Wolfgang von Goethe im November 1775 auf Einladung des Herzogs Carl August in Weimar eintraf, war sein Leben bereits von vielfältigen Tätigkeiten geprägt: Als Sohn einer seit Generationen angesehenen Juristenfamilie beugte er sich auf Wunsch seines Vaters dieser Tradition. Er selbst wollte lieber Maler werden, nahm aber widerstrebend als 16-Jähriger das Jurastudium in Leipzig auf, das er 1771 in Straßburg beendete. Bis zu seinem Eintreffen in Weimar war der inzwischen promovierte Dr. jur. als Rechtsanwalt in seiner Geburtsstadt Frankfurt niedergelassen.

1774: Die Leiden des jungen Werther

Daneben war Goethe bereits als Schriftsteller tätig. "Die Leiden des Jungen Werther" mit der Darstellung einer unbedingten Liebe erschien 1774 vor dem Hintergrund einer persönlichen Liebeserfahrung Goethes. Mit der Thematik traf Goethe den Geist der damaligen Zeit, wie ein Zitat des Hauptmanns von Knebel beim Eintreffen Goethes in Weimar belegt: "Wie ein Stern, der sich eine Zeitlang in Wolken und Nebel verborgen hatte, ging Goethe auf. Jedermann hing an ihm, sonderlich die Damen. Er hatte noch die Werthersche Montierung (Herren bevorzugten gelbe Westen, blaue Fräcke und halbhohe Stiefel) und viele kleideten sich darnach. Er hatte noch von dem Geist und den Sitten seines Romans an sich, und dieses zog an. Sonderlich den jungen Herzog, der sich dadurch in die Geistesverwandtschaft seines jungen Helden zu setzen glaubte."

Weimar: Abgelegene Provinz - aber mit Theater

Portrait von Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach
Anna Amalia Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Vom Herbst des Jahres 1775 an verbrachte Goethe sein Leben in Weimar, wenn auch mit etlichen Unterbrechungen und nicht immer voll Vergnügen über diesen Ort. Dennoch bot die Einladung des gerade 18-jährigen Regenten von Sachsen-Weimar-Eisenach die ersehnte Möglichkeit, der Enge seines Frankfurter Elternhauses zu entfliehen. Auch wenn Weimar am Ende des 18. Jahrhunderts eher provinziell geprägt war, geographisch abgelegen und verkehrsmäßig ungünstig lag, so konnte es sich bei all diesen Mängeln doch eines Vorzugs rühmen: Anna Amalia, Mutter des jungen Herzogs und selbst Regentin, hatte sich um Kunst und Kultur verdient gemacht. Im Jahr 1771 hatte sie ein eigenes Hoftheater gegründet.

Zudem bot sich für Goethe die Aussicht auf eine eigenständige Existenz. Ihm wurden die Leitung der damaligen Herzoglichen Bibliothek und die Oberaufsicht über die wissenschaftlichen Institute des Herzogtums übertragen. Im April 1776 wurde er schließlich zum Geheimen Legationsrat und zum Mitglied des fürstlichen Rats von Sachsen-Weimar-Eisenach, des höchsten, unmittelbar dem Herzog unterstehenden Regierungsorgans, ernannt.

Poesie auf Bestellung

Neben diesen Aufgaben war er in den ersten Weimarer Jahren auch dazu aufgerufen, als "Maître de plaisir" poetische Gebrauchstexte für den Hof zu liefern. Aus dieser Zeit stammt das Drama "Iphigenie auf Tauris", in dem Goethe das politische Problem ansprach, das ihn im Zeitalter der Aufklärung am meisten bewegte: die gerechte Macht. "Iphigenie" ist die optimistische Abbildung eines fürsorglichen Haus- und Landesvaters mit einer gemäßigten Politik. Gegenüber Charlotte von Stein äußerte Goethe im Jahr 1779 die Hoffnung: "Wenn nur die Fürsten seyn könnten wie Bürger (...)". Zusätzlich wünschte Goethe sich eine Veränderung der streng geregelten Verhaltensmuster am Hof. Selbst mit der von ihm verwendeten "Sturm und Drang"-Sprache, die er in Weimar benutzte, propagierte er am Hof sein Ideal vom einfachen, natürlichen Menschsein. Auch die Weimarer begannen davon zu träumen, dass mit Goethe "neben einem so weisen, scharfsichtigen Fürsten bei Ihnen ein Goldenes Zeitalter" beginnen könne. Dennoch blieb der Herzog, wenn auch als Regent aufgeklärt, als Mensch doch ein Kleinstaatfürst.

Zu den weiteren Diensten Goethes zählt die Reisebegleitung Carl Augusts, die jedoch bald durch Goethes Beziehung zu Charlotte von Stein beeinträchtigt wurde. Zwischen den beiden entwickelte sich bereits zu Beginn der Weimarer Jahre eine intensive emotionale Beziehung, der jedoch durch die Ehe Charlottes mit dem herzoglichen Oberstallmeister Grenzen gesetzt waren. Einen regen Briefverkehr führten sie dennoch, der um zahlreiche Liebesgaben von Goethe erweitert wurde. Die Ehe Charlottes änderte nichts an Goethes Empfindungen für sie. Dies führte soweit, dass er seinem Gönner die Gefolgschaft verweigerte, um nicht von Charlotte getrennt zu sein. Der Fürst sah dies nicht gern, folgte aber dem höfisch-aristokratischen Gebot und legte die Spannungen nicht öffentlich dar.

Goethe wird zum Geheimrat ernannt

Trotz der Abkühlung des Verhältnisses zu Carl August wurde Goethe im Alter von 30 Jahren zum Geheimrat ernannt, der "höchsten Ehrenstufe die ein Bürger in Teutschland erreichen kann", so Goethe an Charlotte, am 7. September 1779. Er blieb aber ein Außenseiter und Sonderling, es fehlte ihm, wie er es selbst ausdrückte, an "Leichtigkeit", an der Möglichkeit des Sich-Mitteilens in persönlichen Gesprächen.

Goethe und der Straßenbau

Als Weimarer Beamter war Goethe vor allem für die Wiederbelebung des eingestellten Silberbergbaus in Ilmenau und des Wegebaus eigenständig verantwortlich. Die Kommission für Realisierung des Wegebaus wurde ihm 1779 übertragen, eine Aufgabe, die für das abgeschiedene Herzogtum eine besondere Bedeutung hatte. Anfangs befleißigte er sich größter Sparsamkeit und beanspruchte teilweise weniger Mittel als ihm bewilligt wurden, änderte aber seine Vorgehensweise so sehr, dass am Ende des Geschäftsjahres 1785/86 der Etat vollkommen überzogen und der Wegebau nicht fertig gestellt werden konnte. 1782 wurde der Dichter als oberster Beamter des Finanzwesens in den Stand des Kammerpräsidenten erhoben. Gemäß Goethes aufklärerischen Ideen, dass ein guter Fürst, der sich um sein Land kümmert, keine Soldaten brauche, nahm er eine einschneidende Reduzierung des Militärs vor. Es verblieben 136 Soldaten - ein Potential, das die räumlich voneinander getrennten Ländereien des Gebietes Sachsen-Weimar-Eisenach nie hätte verteidigen können.

Neben seiner wenig erfolgreichen Beamtentätigkeit war das erste Jahrzehnt des Weimarer Aufenthaltes für Goethe zumindest literarisch eine fruchtbare Zeit: außer Gedichten entstanden die Erstfassungen der "Iphigenie" und des "Torquato Tasso", und er begann, an seinem Roman "Wilhelm Meisters theatralische Sendung" zu schreiben. Aus seiner missglückten Amtszeit zog er die Konsequenz und floh im September 1786 nach Italien.

Flucht nach Italien

Tatsächlich vermittelte Italien Goethe ein freieres Lebensgefühl:

Ich finde hier die Erfüllung aller meiner Wünsche und Träume, wie soll ich den Ort verlassen, der für mich allein auf der ganzen Erde zum Paradies werden kann

Goethe in Rom, 1787.

Angeregt durch die Begegnung mit der Kunst der Antike und Renaissance, konzentrierte er sich ganz auf die bildende Kunst und die Literatur. Weimar wollte Goethe aber dennoch nicht gänzlich hinter sich lassen und hoffte auf den Mäzenaten Carl August: Mit der Neufassung des "Torquato Tasso" konnte Goethe das Interesse des Herzogs erneut wecken, und so war es ihm möglich, im Juni 1788 als Schriftsteller und Reisebegleiter des Fürsten nach Weimar zurückzukehren. Hier lernte er auch die bürgerliche Christiane Vulpius kennen und lieben. Die Enttäuschung seiner Brieffreundin Charlotte von Stein darüber war so groß, dass der Briefwechsel zwischen Goethe und ihr nach elf Jahren ein Ende fand.

Die nicht standesgemäße Hochzeit

Aber auch das weitere gesellschaftliche Umfeld Goethes zeigte wenig Verständnis für die Bindung des Schriftstellers zu der standesgemäß ihm untergeordneten Vulpius. 1806 heiratete er Christiane Vulpius, die Frau, mit der zusammen er seinen 1789 geborenen Sohn August hatte.

1791 übernahm Goethe die Leitung des Weimarer Hoftheaters, in dem er neben seinen eigenen Werken insbesondere die Dramen Friedrich von Schillers aufführte, der 1789 in Jena als Geschichtsprofessor tätig war und zehn Jahre später selbst nach Weimar übersiedelte. Obwohl Goethe in dieser Hinsicht sehr glücklich war, fühlte er sich in Weimar nicht mehr wohl. Im Vergleich zu Italien war die kleine Stadt Weimar provinziell. Sein Schaffen geriet ins Stocken, eine Krise, die sich mehr als ein Jahrzehnt hinzog. Goethe begann sich nun verstärkt für Naturwissenschaften zu interessieren, vor allem für die Optik.

Eine literarische Hochphase trat erst am Ende des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts wieder ein. Bis zu seinem Tod am 22. März 1832 entstanden unter anderem "Faust I" und "II" und die "Wahlverwandtschaften", aber auch autobiographische Schriften. Goethe arbeitete darüber hinaus an verschiedenen Zeitschriften. Vier Tage nach seinem Tod durch einen Herzinfarkt wurde Johann Wolfgang von Goethe in der Weimarer Fürstengruft beigesetzt.

Literaturtipps: Friedenthal, Richard, Goethe. Sein Leben und seine Zeit, München 1995

Hohoff, Curt, Johann Wolfgang v. Goethe. Dichtung und Leben, München 1999

Schulz, Karlheinz, Goethe. Eine Biographie in 16 Kapiteln, Stuttgart 1999

Seehafer, Klaus, Mein Leben ein einzig Abenteuer, Berlin 1998