Theoretisch gut - praktisch unpraktisch
Allen Fortschritten zum Trotz - bei der Planung des zweiten Weimarer Totenhauses entpuppte sich manch gut gedachte als Flop. Der Thüringer Arzt Dr. Carl Schwabe gibt 1834 in einer Schrift die Entwicklung der Leichenhaus-Architektur. Zu vermeiden seien mehrgeschossige Bauten wie in Weimar, da die Verwesungsgerüche aus dem Erdgeschoss die Luft der oberen, privaten Räume des Leichenwächters verpesteten. Der Rettungsapparat gehöre ins Erdgeschoss, wie hätte der gerade dem Tod Entkommene die enge Treppe hochgeschafft werden sollen? Auch die Stube, die Piece, im Untergeschoss für Sektionen war zu klein und finster für solche Arbeiten. Kurios aus heutiger Sicht und später von Schwabe moniert: Bei Vollbelegung wären acht Tote - achtzig Finger - mit Schnüren an zwei Weckapparate angeschlossen. Im Falle des Falles hätte der Totenwächter suchen müssen, welcher Tote sich gerührt hatte. - Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Die Weckapparate in Weimar wurden kein einziges Mal ausgelöst.
Vertrauensstifter: Rettungsapparat und Totenbuch
Die wichtigsten, weil vertrauenschaffendsten Inventarstücke war jedoch der sogenannte Rettungsapparat und das Totenbuch. Zum Rettungsapprat gehörten neben Riechsalzen und einem Bett, auch Fingerhüte für jeden Finger eines Toten,welche über Schnüre mit Weckapparaten verbunden waren. Neu war, dass der Leichensaal mit einem Totenbuch ausgestattet war. Unter einer fortlaufenden Nummer wurde jeder eingelieferte Mensch registriert, Name, Tag und Stunde, zu der er ins Leichenhaus gebracht wurde, Zeugnis des Arztes, dass sichere Todeszeichen vorhanden waren und die Leiche begraben werden konnte. Das Datum für die Beerdigung und die Beglaubigung waren nur vom Arzt auszufüllen. So sollte verhindert werden, dass der Totenwächter eigenmächtig Tote zur Beerdigung freigab.
Gesetze gegen das Lebendigbegraben
Dass "todtscheinende Menschen nicht zu frühzeitig begraben werden" wird inzwischen vielerorts, auch 1792 in Sachsen, zur Staatssache. Der spätere König Friedrich August gibt per Gesetz vor, dass die Toten nun "erst nach 72 Stunden" und nur mit "untrüglichen Kennzeichen" der "eintretenden Fäulnis" zu begraben sind.
Gemindert, aber nicht ausgerottet: Die Angst vor dem Scheintod
Die Einrichtung des Leichenhauses brachte eine generelle Änderung im Umgang mit dem Tod und den Verstorbenen mit sich.
Das hiesige Publikum hat wohl vorzüglich durch diese Einrichtung volles Vertrauen zu der ganzen Leichenhausanstalt gewonnen,
stellte Carl Wilhelm Schwabe 1834 fest. Friedhofsanlagen gewannen so generell an Ansehen und der Schrecken des Todes wurde gemildert. Das Leichenhaus wurde zum Ort, an dem Angehörige in Würde Abschied nehmen und trauern konnten.
Der Angst vor dem Scheintod und dem Lebendig begraben werden, wurde von Weimar ausgehend, erfolgreich bekämpft, allerdings nicht ausgerottet. Auch heute gibt es immer wieder Meldungen über Totgeglaubte, die in Leichenhäusern erwachen. Sie rufen den gleichen Schauder hervor, wie bei den Erzählungen und Berichten aus anderen Jahrhunderten. Schließlich ist der Gedanke, scheintot begraben zu werden, zeitlos beängstigend.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Radio: MDR THÜRINGEN - Das Radio | 03.10.2020 | 18:37 Uhr