Scheintod
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"Lebendig begraben" Die Angst vor dem Scheintod

28. Oktober 2020, 10:45 Uhr

Die Angst vor dem Lebendig-begraben beschäftigt die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert. Woher kam diese Angst? Wie versucht man, Tote von Scheintoten zu unterscheiden?

Die Angst vor dem Lebendigbegraben beschäftigt die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert enorm. Einerseits befeuern Erzählungen und Berichtesammlungen die Angst vor dem Scheintod. Es sind Geschichten über Menschen, die für tot befunden, in ihren Gräbern oder Gruften wieder zu Bewusstsein kommen und jämmerlich verenden.

Es gibt aber auch Geschichten über zufällig Gerettete, wie den Ingolstädter, der von Posaunenklängen im Sarg erwacht, oder die reiche Dame, der ein Grabräuber einen wertvollen Ring vom Finger schneiden will und sie dabei erwacht. Diese Geschichte ist bekannt aus 19 deutschen Städten, aber auch aus London.

Das Thema Scheintod beschäftigt Gelehrte aller Art, Mediziner wie Wilhelm Christoph Hufeland aus Weimar oder Philosophen wie den Münchner Schriftsteller Karl von Eckartshausen: Was kennzeichnet das Leben, was den Tod? Fragen, die besonders in Zeiten von Krieg oder Pestilenz besonders dringlich waren - immer dann, wenn plötzliche viele Menschen starben und begraben werden mussten: Dann musste schnell darüber entschieden werden, wer auf den Friedhof kam - oder eben noch nicht.   

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Ein Skelett, was auf dem Bauch liegt. Wie ist das möglich? Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wandernde Gebeine, wachsende Haare, Geburten im Sarg

Gräber wurden zu dieser Zeit noch nicht sehr tief ausgehoben. So konnte es passieren, dass zum Beispiel nach starkem Regen Leichenteile oder Knochen an die Erdoberfläche gespült wurden. Das führte zu Geschichten über scheinbar wandelnde Tote. Unwissen förderte die Angst der Menschen. Unwissen über chemische Prozesse, die nach dem Tod im Körper ablaufen, wie der Fäulnisprozess, bei dem Gase den Körper aufblähen, oder das anhaltende Wachstum von Haaren, Hand- und Fußnägeln nach dem Tod. Funde von Föten oder Säuglingen in Gräbern von Frauen befeuerten die Phantasie der Menschen. Sogenannte Sarggeburten in Särgen toter Frauen, bei deren Verwesungsprozess durch Gase im Bauch Kontraktionen der Gebärmutter verursachten und so das Ungeborene austrieben: All das war der Allgemeinheit unbekannt, verbreitete sich durch Erzählungen weiter und schürte die Angst.  

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Geschichten über scheinbar wandelnde Tote sorgten Ende des 18. Jarhunderts für viel Aufregung. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Wahre Geschichten", die Angst machen

Eine Quelle für Berichte über Scheintote ist die Berichtesammlung des französischen Arztes Jean-Jacques Bruhier. 1745 veröffentlicht, wird sie in zahlreiche andere Sprachen übersetzt. In Deutschland veröffentlicht zum Beispiel Karl von Eckartshausen 1798 "Geschichten und Begebenheiten von lebendig begrabenen Personen". Der Münchner Hofrat schildert 25 Fälle vermeintlich Toter in Gruften und Särgen. Darin die Geschichte über ein nicht namentlich genanntes Klostergewölbe, in dem tote Mönche vier Tage bis zur Beerdigung lagen. Nachdem das Kloster verkauft wurde, fand sich im einstigen "Todtengewölbe“ an einer Wand folgende Aufschrift:

Domine, miserere mei! A Vivendibus derelictus, in manos tuas commendo spiritum. Fracto sunt vires meae, clmans non audior, fame morior. Veh mihi morienti! 1735. – (Herr erbarme dich meiner! Von den Lebenden verlassen, empfehle ich meinen Geist deinen Händen. Meine Kräfte sind dahin. Den Rufenden hört man nicht. Ich sterbe Hungers. Schöpfer erhöre mich! Schon ist der dritte Tag. Weh mir Sterbendem! 1735)

Die Sammlung enthält auch Geschichten von geretteten "Toten". Darunter ist die eines Mannes aus Ingolstadt, der kurz bevor der Sarg in die Erde gelassen werden sollte, aus selbigem heraus sprang. Er soll Eckartshausen zufolge folgendes berichtet haben:

Stufenweise verlor ich meine Kräfte. Kein Glied vermochte ich zu bewegen. Die Zunge versagte mir den Dienst. Meine Augen sahen, meine Ohren hörten, ich fühlte, war mir meiner selbst bewußt. Ich litt unaussprechlichen Schmerz, als man mir die untere Kinnlade gegen die obere drückte. (…) Ich musste mich in den Sarg einschließen lassen, und den entsetzlichen Tod immer näher kommen sehen. Doch Dank sey den Männern mit Posaunen. Der durchdringende Schall dieses Instrumentes erschütterte mein ganzes Wesen. Mit einemmale fiel es wie eine schwere Last von mir und ich konnte mich bewegen. (…)

Ingolstädter Scheintoter

Wie man sicherstellte, dass der Tote tot war

Als sicheres Anzeichen für Leben oder Tod galt die Atemtätigkeit. So versuchte man diese nachzuweisen: Mit einem Spiegel, einer Kerze oder einer Feder unter der Nase, oder einer Schüssel Wasser, die auf die Brust gestellt wurde. Man setzte auch auf schmerzhafte Reize, wie Nadeln unter einen Zehennagel treiben, Trompetenstöße ins Ohr spielen, Riechsalz unter die Nase halten, den Schlund kitzeln, brennenden Siegellack auftragen, die Haut mit einem Glüheisen testen oder das Herz akkupunktieren. In Österreich-Ungarn wurde Toten bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts von einem Arzt gar ein Dolch ins Herz gestoßen, oder die Pulsadern geöffnet, um sicherzugehen, dass niemand als Scheintoter begraben wurde.

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Um nicht ausversehen Menschen zu begraben, die noch leben, wurden in unzähligen Schriften und Büchern Methoden erarbeitet wie man den Tod sicher fest stellen kann. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Kein Begräbnis vor der Fäulnis

Als wegweisend entpuppt sich der ärztliche Ansatz: Reglose so lange als scheintot zu betrachten, bis sich sichtbare, und allgemein als solche anerkannte, Zeichen des Todes einstellten, wie die Leichenfäulnis. Zu diesem Zweck wurden Leichenhäuser eingerichtet, in denen Tote unter ständiger Aufsicht, angeschlossen an "Rettungsapparate", bis zu ihrem Begräbnis ruhten. Das erste Leichenhaus wurde 1792 in Weimar errichtet.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch TV: MDR THÜRINGEN - Das Radio | 03.10.2020 | 18:37 Uhr