Landesgeschichte Woher die Thüringer ihren Namen haben
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03. Dezember 2023, 05:00 Uhr
Der Name der Thüringer geht auf einen Stamm der Germanen zurück, deren Königreich in der Spätantike von der Altmark bis zur Donau reicht und dessen Machtzentrum im heutigen Thüringen liegt. Sie sind Verbündete der Ostgoten, Vasallen der Hunnen und eine Vormacht außerhalb "Roms", die von den Franken vernichtet wird. Dies ist die Geschichte der alten "Toringi" und eine kurze Geschichte jenes deutschen Landes, das bis heute ihren Namen trägt.
Die heutigen Thüringer verdanken ihren Namen einem westgermanischen Stamm, der Ende des 4. Jahrhunderts die mitteldeutsche Region zwischen Harz und Altmark im Norden, Thüringer Wald und Erzgebirge im Süden sowie den Flüssen Werra im Westen und Elbe bzw. unterer Mulde im Osten bewohnt. 395 nach Christus bezeichnet der römische Militärtheoretiker Vegetius Renatus in einer Abhandlung über Pferdemedizin die in diesem Gebiet lebenden Menschen erstmals als "Toringi". Dabei lobt er die Pferde der Thüringer als besonders strapazierfähig und kriegstauglich.
Ein Name und zig Erklärungen
Worauf der Stammesname der anfangs auch als "Thoringi", "Thuringi" oder "Duringi" bezeichneten Thüringer zurückgeht, ist nicht abschließend geklärt. Lange Zeit wird eine Ableitung von den bis ins ausgehende 2. Jahrhundert in der Region nachweisbaren elbgermanischen Hermunduren angenommen.
Von Teilen der jüngeren Forschung wird das mittlerweile stark angezweifelt. Aber auch neuere Ableitungen vom germanisch-keltischen Stamm der Turonen oder dem gotischen Teilstamm der Terwingen sind umstritten. Ältere Deutungen sehen zudem im lateinischen Adjektiv "durus" (hart) oder im germanischen Donnergott Thor eine Wurzel für den Thüringer-Namen. Auch eine Ableitung vom germanischen Wort "thur" (stark, machtvoll, groß, reich) wird vermutet, was die Stärke und Größe der Thüringer betonen soll.
Im Heer des Hunnenkönigs Attila
Weniger fragenbehaftet als die Namensherkunft der Thüringer ist ihre Stammesgeschichte ab dem 5. Jahrhundert. Laut dem Bericht des weströmischen Politikers Sidonius Apollinaris werden auch die Thüringer während der Völkerwanderungszeit Anfang des 5. Jahrhunderts von den Hunnen unterworfen, denen sie fortan Heeresfolge leisten müssen.
In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern südwestlich von Paris kämpfen und verlieren thüringische Kontingente demnach im Jahr 451 an der Seite des legendären Hunnenkönigs Attila gegen ein weströmisch-germanisches Heer unter dem Heermeister Flavius Aetius (um 390-454). Nach Attilas Tod 453 und dem Ende der hunnischen Vorherrschaft in Europa bilden die Thüringer ein mächtiges Königreich. Ihr Einflussbereich erstreckt sich seit dem Ende des 5. Jahrhunderts bis zur Donau bei Passau, bis zum Main und möglicherweise sogar bis zum Niederrhein.
Vormacht außerhalb des alten Roms
Unter ihrem ersten namentlich bekannten König Bisinius steigen die Thüringer "zur Vormacht außerhalb des untergegangenen Römischen Reiches auf", wie es der Historiker Steffen Raßloff formuliert.
Neben der Pferdezucht beherrschen die Thüringer auch die Kunst, hochwertige Waffen herzustellen. Darauf weist zumindest ein beachtlicher Prozentsatz damaszierter – also hochfester und hochelastischer – Schwertklingen hin, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden werden. Die bedeutendsten Ausgrabungsstätten im alten Thüringerreich lassen dessen Zentrum im Thüringer Becken und an der mittleren Saale vermuten, ohne das daraus auf die bislang unbekannten Herrschaftssitze der Thüringer Könige geschlossen werden kann.
Alliierte des Ostgotenkönigs Theoderich
Enge familiäre Bindungen der thüringischen Königsfamilie bestehen zu dem verwandten Stamm der Langobarden im heutigen Niederösterreich. 507 oder 510 heiratet der Thüringer-König Herminafrid (vor 485-534) zudem die Nichte des mächtigen Ostgotenkönigs Theoderich des Großen (451/456-526), der über Italien und die alten römischen Provinzen Noricum, Pannonien und Dalmatien herrscht.
Das Thüringerreich ist damit in ein Bündnissystem gegen das expansiv vordrängende Frankenreich der Merowinger eingebunden. Mit dem Tod Theoderichs 526 und dem Untergang seines Reiches im Folgejahr zerfällt das Schutzbündnis. Nun gerät auch Thüringen ins Visier der Franken.
Untergang des Thüringerreichs
Im Jahr 531 unterliegen die Thüringer in einer vernichtenden Schlacht an der Unstrut dem Heer der Frankenkönige Theuderich und Chlothar (um 495-561). Bischof Gregor von Tours berichtet in seiner 573 bis 575 verfassten "Geschichte der Franken", dass an der Unstrut "so viele Thüringer niedergemacht [wurden], dass das Bett des Flusses von der Masse der Leichname zugedämmt wurde und die Franken über sie, wie über eine Brücke, an das jenseitige Ufer zogen". König Herminafrid entkommt zunächst mit seiner Familie und kann in entlegenen Reichsteilen neue Kräfte sammeln.
Seine elfjährige Nichte Radegunde (um 520-587) und ihr Bruder werden jedoch ins Frankenreich verschleppt. 534 wird Herminafrid unter Verbürgung seiner Sicherheit an den fränkischen Königshof nach Zülpich am Niederrhein gelockt und dort ermordet. Radegunde wird 540 zur Hochzeit mit Chlothar gezwungen. Nachdem der Frankenkönig zehn Jahre später ihren Bruder ermorden lässt, flieht sie in den Schoß der Kirche und gründet das Nonnenkloster von Poitiers. In Frankreich wird Radegunde bis heute als Heilige verehrt.
Bestandteil des Frankenreichs
Mit dem Tod von König Herminafrid verliert Thüringen – nunmehr auf seine heutige Dimension geschrumpft – endgültig die politische Selbständigkeit. Die Abhängigkeit vom Frankenreich wird durch eine jährliche Tributzahlung von 500 Schweinen symbolisiert.
Fränkische Herzöge sollen die Oberhoheit über Land und Leute sichern. Ab dem späten 6. Jahrhundert wird die Region durch fränkische Siedlungen und Burgen enger an das Frankenreich gebunden, worauf Ortsnamenendungen auf -hausen und -heim wie (Bad) Frankenhausen oder Sondershausen hindeuten. Dennoch geht die lokale Macht der fränkischen Herzöge in Thüringen ab dem ersten Viertel des 8. Jahrhunderts zunehmend wieder an die einheimische Herrschaftsschicht über.
"Kernraum" Ottonischer Macht
Mit dem Machtantritt der sächsischen Ottonen im mittlerweile Ostfränkischen Reich 919 wird Thüringen, wo die Ottonen zahlreiche Königspfalzen unterhalten, ein "Kernraum königlicher Zentralgewalt" (Steffen Raßloff). Ungeachtet dessen setzen die Thüringer Großen in zahlreichen Auseinandersetzungen mit ostfränkisch-deutschen Königen und Kaisern ihre gemeinsamen Interessen durch.
So gelingt es ihnen 1002 bei einer Versammlung auf dem Jenaer Kirchberg gegenüber dem letzten Ottonen-König Heinrich II. (973/978-1024), die Abschaffung des von den Franken eingeführten "Schweinezinses" zu erreichen. Nach dem Machtwechsel zu den rheinfränkischen Salier-Königen 1024 bauen die thüringischen Adelsgeschlechter ihre Machtposition im Land weiter aus, was die später besonders extreme Kleinstaaterei Thüringens mitbegründet.
"Glanzzeit" unter den Ludowingern
Eines der thüringischen Adelsgeschlechter, die davon besonders profitieren, sind die ursprünglich aus dem Rhein-Main-Gebiet stammenden Ludowinger. Sie werden 1131 mit der neu geschaffenen Würde der Landgrafen von Thüringen ausgestattet, um im Auftrag des Königs den Landfrieden zu sichern und die höchstrichterliche Gewalt auszuüben.
Auch wenn es neben den Ludowingern noch andere mächtige Adelsgeschlechter gibt, so gilt ihre Herrschaftsepoche doch bis heute als Thüringens "mittelalterliche Glanzzeit" (Steffen Raßloff). 1246 wird mit Heinrich Raspe (1204-1247) sogar ein Thüringer Landgraf zum deutschen König erhoben. Mit dessen Tod 1247 erlischt jedoch das Ludowinger-Geschlecht im Mannesstamm. Nach einem blutigen Erbfolgekrieg fällt die Landgrafschaft Thüringen an die Markgrafen von Meißen aus dem Hause Wettin, die ihre Macht im Land in der Folge kontinuierlich ausbauen können.
Sächsische Herzogtümer und andere Kleinstaaten
Die politische Eigenständigkeit der Landgrafschaft Thüringen endet schließlich mit dem Tod von Landgraf Friedrich dem Einfältigen 1440. Fortan werden die thüringischen Besitzungen der Wettiner, die seit 1423 auch die Herzöge bzw. Kurfürsten von Sachsen stellen, immer fester mit dem wettinischen Herrschaftskomplex verschmolzen. Die höherrangige Herzogswürde von Sachsen überträgt sich dabei auf die durch spätere Erbteilungen entstehenden Herzogtümer der wettinischen Ernestiner in Thüringen.
In der Endphase des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918) besteht Thüringen aus acht verschiedenen Herrschaften sowie preußischen Territorien, von denen keine einzige das Wort Thüringen im Namen führt. Die wichtigsten sind dabei die ernestinischen Herzogtümer Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha und Sachsen-Meiningen sowie das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, dass sich seit 1903 offiziell sogar nur noch als Großherzogtum Sachsen bezeichnet.
Land Thüringen entsteht neu
Erst mit der Abdankung der bis dahin regierenden Fürsten im Zuge der Novemberrevolution 1918 und dem Zusammenschluss ihrer ehemaligen Territorien zum Land Thüringen 1920 entsteht Thüringen nach fast 500 Jahren wieder als politisches Gebilde. Nach seiner vorübergehenden Auflösung 1952 in der DDR entsteht Thüringen im Zuge der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 als Land bzw. Freistaat neu. Die alten Thüringer, die 1.500 Jahre zuvor auf dem Landesterritorium ihren Siedlungs- und Herrschaftsschwerpunkt hatten, gehören damit neben Sachsen, Bajuwaren (Baiern) und Chatten (Hessen) zu jenen wenigen germanischen Stämmen bzw. Stammesverbänden, die einem heutigen deutschen Bundesland ihren Namen gegeben haben.
Literaturhinweise
- Raßloff, Steffen: Geschichte Thüringens, München 2010.
- Schmidt, Berthold: Die Thüringer. In: Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden, Band II: Die Stämme und Stammesverbände in der Zeit vom 3. Jahrhundert bis zur Herausbildung der politischen Vorherrschaft der Franken, Berlin/Ost 1986, S. 502-547.
- Springer, Matthias: Die Sachsen, Stuttgart 2004, S. 57-96.