Rekosntruktion der ottonischen Monumentalkirche in eine Luftbild der Klosteranlage
Vor tausend Jahren war die Kirche eines der größten Gebäude der Region. Bildrechte: Museum Kloster und Königspfalz Memleben

In Unstrutörtchen Memleben sterben gleich zwei deutsche Herrscher Memleben - Herrscherherzen und rätselhafte Kirchen

08. Mai 2023, 10:54 Uhr

Gleich zwei deutsche Herrscher sterben in Memleben: Mit Otto dem Großen der wichtigste Kaiser des Mittelalters. Zu ihrem ewigen Gedenken wird ein Benediktinerkloster gegründet und eine monumentale Kirche errichtet, die mit dem karolingischen Dom in Köln konkurriert. Geblieben ist von all dem fast nichts. Erst in den letzten Jahren wird die buchstäblich verschüttete Bedeutung Memlebens wieder entdeckt und ausgegraben.

Kaisertor heißt bis heute ein zehn Meter hoher und gut zwei Meter starker Mauerrest mit einer rundbogigen Durchfahrt direkt an der Memlebener Ortsdurchfahrt. Ein Überbleibsel des einstigen Königshofes, der Pfalz, so glaubt man bis in die 1930er-Jahre.

Kirche statt Kaiserpalast

Dann bringen Ausgrabungen eine faustdicke Überraschung an Tageslicht: Das Tor gehört nicht zu einem Kaiserpalast, sondern ist Überbleibsel einer gewaltigen Kirche: 82 Meter lang, knapp 40 Meter breit, zwei Chöre, ein dreischiffiges Langhaus.

In Memleben haben wir einen Bau, der hier in Mitteldeutschland gar nicht hineinpasst, weil wir hier keine entsprechenden Vorbildbauten haben

Leonhard Helten, Professor für Kunstgeschichte und Archäologie Uni Halle

Doch es gibt Menschen, die kennen prächtige Kirchen und prunkvolle Paläste. Kaiser Otto II. hat sie in Rom und Ravenna gesehen, seine Frau und Mitregentin Theophanu kommt aus dem glanzvollen Byzanz. Sie machen aus Memleben den zentralen Erinnerungsort für ihre Dynastie. Denn hier an der Unstrut hat Otto II. seine Herrschaft angetreten, hier sind Vater und Großvater gestorben.

Eine kleine Gruppe Menschen steht 2022 auf den ausgegrabenen Mauerresten einer großen Kirche in der Sonne. 32 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Kommen die Kaiser zum Sterben nach Memleben?

Der erste sächsische König, Heinrich, ist bereits schwer krank, als er im Frühsommer 936 vom Harz nach Memleben zieht und hier am 2. Juli 936 stirbt. 77 Jahre später reist sein Sohn Otto der Große nach Memleben und ist zwei Tage später tot. Historischer Zufall oder hat der Ort für die Ottonen eine besondere Bedeutung? Sachsen-Anhalts Landesarchäologe Harald Meller kann es sich vorstellen, "dass Memleben ein Ort ist, den sie bei gesundheitlichen Beschwerden oder Problemen aufsuchten."

Reiterstatue Kaiser Otto
Kaiser Otto der Große schuf die Voraussetzungen für die Entstehung des deutschen Reiches und gilt als bedeutendster Kaiser des Mittelalters. Bildrechte: Kulturhistorisches Museum Magdeburg/Charlen Christoph

Die Körper der Herrscher bleiben nicht in Memleben. Heinrich wird nach Quedlinburg überführt, Otto nach Magdeburg. Doch Ottos Herz, so erzählt es der Chronist Thietmar von Merseburg, wird in einer Marienkirche in Memleben bestattet. Vermutlich sind auch Heinrich das Herz und die übrigen Innereien entnommen und in einer Kirche beigesetzt worden.

Memleben wird Gedenkort der Ottonen

Nach dem Vorbild des Doms von Karl dem Großen in Köln lassen Otto und Theophanu einen monumentalen Kirchenbau errichtet. Benediktiner werden an die Unstrut geholt, reich mit Gütern und Privilegien ausgestattet. Bis in alle Ewigkeiten sollen sie die Erinnerung an Otto den Großen wachhalten. Doch eigenartiges geschieht hinter den Klostermauern: Nach nur hundert Jahren beginnen die Mönche eine neue Kirche zu bauen. Ein Dutzend Schritte nordöstlich der Monumentalkirche. Deutlich kleiner ist der neue Bau. Memleben hat seinen privilegierten Status verloren, auch große Teile seines Besitzes eingebüßt. Der neue Kaiser Heinrich II., Urenkel Otto des Großen, fördert stattdessen Bamberg.

Kirchenruinen, keine Pfalz und kein Herz   

Luftbild - Memleben, Grundriss Benediktiner Kirche
Die Grabungen der letzten Jahre zeigten erst die überragende Bedeutung der Kirche. Bildrechte: Museum Kloster und Königspfalz Memleben

Ein halbes Jahrhundert halten die Benediktiner die Memoria für die Ottonen aufrecht, dann wird das Kloster in der Reformation aufgelöst. Die spätromanische Kirche aus dem 13. Jahrhundert verfällt. Von der älteren Monumentalkirche stehen nur noch Reste der südlichen Langhauswand, ein Mauerklotz im Inneren und das vermeintliche Kaisertor. Als Kirche ist sie völlig vergessen. Spurlos verschwunden sind auch Kaiserpfalz und die Marienkirche mit Ottos Herz.

Memleben wird als Memorialort wiederentdeckt

Hobbyhistoriker und Archäologen suchen seit hundert Jahren nach Pfalz, Ottos Herz und Gründen, warum die große Kirche aufgegeben und durch einen kleineren Neubau ersetzt wurde.

Ganz lange ist man davon ausgegangen, dass die Kirche des 10. Jahrhunderts nie fertiggestellt wurde.

Andrea Knopik, Leiterin des Museums „Kloster und Kaiserpfalz Memleben“

Eine Theorie, die 2018 ins Wanken gerät, als bei Ausgrabungen rund 20 Meter von der Kirche entfernt ein Altarweihestein entdeckt wird. In romanischen Großbuchstaben steht dort, das die Kirche geweiht wurde. Im vorigen Jahr entdecken die Archäologen einen Kreuzgang und Bestattungen. Eine davon in der Monumentalkirche.

Die Datierung, Mitte zwölftes bis Mitte dreizehntes Jahrhundert, hat uns die wichtige Information geliefert, dass nämlich diese Kirche zu dem Bestattungszeitpunkt definitiv stand und in Nutzung war.

Andrea Knopik, Leiterin des Museums „Kloster und Kaiserpfalz Memleben“

Noch spektakulärer ist indes ein kleiner Mauerrest, zwei, drei Meter von der Kirchenmauer entfernt. Ist das etwa ein Teil jener Marienkirche, von der Thietmar von Merseburg und Widukind von Corvey erzählen und in der das Herz Otto des Großen bestattet wurde? Mit dem Bau der Monumentalkirche wird erst 979 begonnen. Die Marienkirche, in der die Innereien bestattet wurden, muss ein anderer Bau sein, unbekannt bis heute. Ebenso wie die Kaiserpfalz. Es wird weitergegraben. Memleben steht erst am Anfang seiner Entdeckung, Wiederentdeckung als wichtiges Zentrum der ottonischen Erinnerungskultur.

Blick auf eine Grabung
Der kleine Mauerrest in der Bildmitte ist älter als Kirche. Was hier stand, muss noch herausgefunden werden. Bildrechte: LDA Sachsen-Anhalt/Holger Grönwald