Walter Ulbricht: Vom Exilanten zum Parteichef
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06. Dezember 2021, 12:29 Uhr
Am 30. April 1945 betrat Walter Ulbricht nach zwölf Jahren im Exil in Moskau deutschen Boden. Der KPD-Funktionär und die nach ihm benannte "Gruppe Ulbricht" sollten die politische Verwaltung in der Sowjetischen Besatzungszone neu organisieren. Die Schlüsselpositionen in den Verwaltungen besetzten sie mit KPD-Politikern. Die Aufbaumission glückte und Ulbricht festigte seine Rolle. In nur wenigen Jahren schaffte er es vom Exilanten an die Spitze der DDR.
Walter Ulbricht, der 1893 in Leipzig geboren wurde, war bereits als Jugendlicher vom sozialistischen Grundgedanken überzeugt. Mit 15 Jahren trat er in die Sozialistische Arbeiterjugend ein und war knapp zehn Jahre später Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Nach und nach stieg Ulbricht zum KPD-Funktionär auf, war im Sächsichen Landtag und im Reichstag vertreten und wurde schließlich Mitglied des Politbüros des ZK der KPD. Doch 1933 war vorerst Schluss: Die Nationalsozialisten schrieben ihn zur Fahndung aus. Ulbricht floh nach Paris, später nach Moskau, und unterstützte die Exil-Organisation der KPD aus der Sowjetunion heraus.
Die "Gruppe Ulbricht" kehrt heim
Während der Zeit des Nationalsozialismus im sowjetischen Exil geschult, kehrte Ulbricht am 30. April 1945 an der Spitze einer Gruppe aus zehn deutschen Kommunisten nach Deutschland zurück. Als "Gruppe Ulbricht" in die Geschichte eingegangen, bestand ihre Aufgabe zunächst vorrangig in der Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht beim Aufbau neuer Strukturen in Berlin. Dazu gehörte die Lebensmittelversorgung, Gründung von Zeitungen, Rundfunksendern oder Gewerkschaften und Parteien. In der Folge wurden Schlüsselpositionen der neu aufgebauten Verwaltungen mit kommmunistischen Politikern besetzt. Ulbrichts Credo dabei:
Es muss alles demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!
Walter Ulbrichts Aufstieg zur Macht nach 1945
Als sich auf dem Vereinigungsparteitag am 21./22. April 1946 die KPD und die SPD zur SED zusammenschlossen, rückte Ulbricht zunächst in die zweite Reihe. Die Parteiführung übernahmen zunächst Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl. Was nicht heißen sollte, dass Ulbricht keinen Einfluss mehr auf die Politik in der SBZ hatte. So war er beispielsweise stellvertretender Vorsitzender der SED und bis 1951 SED-Abgeordneter des Landtags von Sachsen-Anhalt. Ulbricht war demnach stets als Funktionär in den höchsten Parteiorganen der SED sowie hohen Verwaltungspositionen vertreten.
Walter Ulbricht: Eine Laufbahn mit vielen Ämtern
Ulbricht war bis 1973 als Mitglied des Parteivorstandes und des SED-Zentralkomitees. Bis 1950 war er im Zentralsekretariats des Parteivorstandes und gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der SED. Von 1949 bis 1973 war er Mitglied des Politbüros des Parteivorstandes bzw. ZK der SED, später dann Erster Sekretär des ZK und ab Juni 1971 als Vorsitzender der SED. Im Bereich Verwaltung ist er 1946/47 Mitglied des Rechts- und Verfassungsausschusses, 1948/49 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Volksrates, ab 1949 der Provisorischen Volkskammer bzw. der Volkskammer, 1949 Stellvertreter gewsen. Ab 1955 war er Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates sowie 1960 bis 1971 Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates.
Ab Mitte 1948 bekam die SED-Führung aus Moskau die Anweisung Säuberungen in ihrer Partei vornehmen. Walter Ulbricht leitete die Kampagne und war als ideologischer "Erneuerer" für die Wandlung der Partei zuständig. Die "Partei neuen Typus" sollte frei von Anhängern der Sozialdemokratie und des Titoismus sein und an das stalinistische Parteimodell der KPdSU angelehnt sein. Andersdenkende wurden aus der Partei ausgeschlossen und zum Teil strafrechtlich verfolgt. Auch Wolfgang Leonhard, ehemaliges Mitglied der "Gruppe Ulbricht", wurde Opfer dieser Säuberungen und flüchtete als SED-Dissident in die BRD.
In der Folgezeit wurde die Partei nach sowjetischen Vorbild umstrukturiert und Ulbricht ab 1950 Generalsekretär des ZK (1953 umbenannt in Erster Sekretär des ZK der SED). Dieses Amt war das höchste in der DDR, somit konnte Ulbricht über nahezu jeden Bereich des gesellschaftlichen Lebens in der DDR bestimmen. So verkündete er den Kurs zum "Aufbau des Sozialismus" und erließ eine Reihe von Maßnahmen, die jedoch zum Absinken des Lebensstandards und einer Versorgungskrise führten. Die wachsende Unzufriedenheit der DDR-Bürger gipfelte im Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, der von Sowjetarmee und der Volkspolizei brutal niedergeschlagen wurde.
Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953
Durch den Arbeiteraufstand schien Ulbrichts Aufstieg gestoppt. Er musste sich unter dem Druck der Ereignisse und der sowjetischen Genossen von einer Reihe von Maßnahmen verabschieden. So wurden die Preiserhöhungen von Lebensmitteln und Fahrkarten zurückgenommen, der Kampf gegen die Kirche eingestellt und die Zwangsenteignung von Betrieben und Bauernhöfen auf Antrag rückgängig gemacht. Ulbrichts Machtfülle und politische Existenz hingen in diesen Tagen am seidenen Faden. Doch Ulbricht ging letztendlich sogar gestärkt aus diesen Auseinandersetzungen hervor, wobei die Unterstützung der sowjetischen Parteiführung eine entscheidende Rolle spielte. Mit deren Hilfe gelang es ihm, seine politischen Gegner aufzuhalten und gleichzeitig durch taktisch geschicktes Verhalten, indem er teilweise selbstkritisch auftrat, neue Verbündete zu finden.
Walter Ulbricht: Fast unbegrenzte Macht in einer Person vereint
Nach Stalins Tod änderte sich auch das Selbstverständnis Ulbrichts. Hatte er bisher einen eigenen deutschen Weg des Sozialismus abgelehnt, strebte er diesen nun geradewegs an. Der von der Sowjetunion geschulte Kaderkommunist, entwickelte sich schrittweise zum eigenständig wirkenden deutschen Politiker mit dem Ziel, die Zentralgewalt von Partei und Staat auszubauen. Mit Wilhelm Pieck stand ihm, wenn auch kaum noch handlungsfähig, eine Person im Wege, an der er nicht vorbei kam. Nach dessen Tod am 7. September 1960 jedoch war der Weg für Ulbricht frei.
Mit dem maßgeblich von ihm 1960 initiierten Gesetz über die "Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik" schuf er sich ein Gremium der "Über-Macht", als dessen Vorsitzender er sich dem Zugriff des Politbüros fast völlig entzogen hatte. Damit war Ulbricht auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt. In seiner Person vereinte er drei Funktionen: Erster Sekretär des ZK der SED, Vorsitzender des Staatsrates der DDR sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates (seit 11.2.1960). Damit bündelte er nahezu sämtliche Entscheidungsfragen von 16 Millionen Menschen in einer Hand. Ein Aspekt, der gut zehn Jahre später zum erbitterten Streitpunkt werden sollte.
Walter Ulbrichts Abstieg
Ulbricht konnte nun seinen, nach Stalins Tod begonnenen, eigenständigen deutschen Weg gehen. Das bescherte ihm in den Folgejahren so manche parteiinternen Schwierigkeiten und letztendlich seinen Sturz. Auch sein selbstbewusstes Auftreten gegenüber den sowjetischen Freunden mag für diese eine große Rolle gespielt haben, seinen Sturz zu unterstützen.
Gespaltene Meinung: Politiker über Walter Ulbricht
"Möge das Schicksal es verhindern, daß dieser Mensch einmal an die Spitze der Partei kommt. Man muß ihm nur in die Augen schauen, um zu wissen, wie hinterhältig und ehrlos er ist." (Clara Zetkin)
"Und wir alle, die wir den Frieden lieben, lieben dich, Walter Ulbricht, den deutschen Arbeitersohn." (Johannes R. Becher)
"Ulbricht ist und bleibt ein Bürokrat." (Ernst Thälmann)
Ulbricht geriet mehr und mehr ins Abseits, und die Opponenten - Honecker, Stoph, Hager, Mittag u.a. - gewannen mit sowjetischer Unterstützung die Oberhand. Nachdem die Opposition schon nach und nach die Gefolgsleute Ulbrichts unter teils fadenscheinigen, zumeist jedoch ideologischen Begründungen abgelöst hatten, plante sie unter Führung Honeckers den Sturz Ulbrichts. Hierbei sollte jedoch in der Öffentlichkeit keinesfalls der Eindruck eines Putsches entstehen. Man wollte Ulbricht von sich aus bewegen, um Entlastung als Erster Sekretär zu bitten. Am 3. Mai 1971 trat er offiziell aus Alters- und Gesundheitsgründen als Erster Sekretär der SED zurück, behielt aber seine Funktion als Vorsitzender des Staatsrates. Erich Honecker stufte das Amt des Staatsratvorsitzenden jedoch als repräsentatives Organ ohne Enscheidungskraft herab. Walter Ulbricht starb am 1. August 1973 im Alter von 80 Jahren.