20. Februar 1945 Als die Bomben Meuselwitz zerstörten
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20. Februar 2024, 12:40 Uhr
Die letzten Kriegsmonate waren eine Zeit der großen Zerstörung. Städte wie Dresden und Magdeburg werden massiv bombardiert. Aber auch kleinere Städte werden damals schwer getroffen. Manchmal nur durch einen "dummen" Zufall – wie etwa Meuselwitz in Thüringen. Der schwärzeste Tag in der Geschichte Meuselwitz' ist der 20. Februar 1945.
Noch bis Ende 1944 sind die meisten mitteldeutschen Städte von großflächigen Zerstörungen im Bombenkrieg verschont geblieben. Die Angriffe nehmen in den letzten Kriegsmonaten dann aber massiv zu. Die Flieger der Westalliierten beherrschen jetzt den Luftraum über Mitteldeutschland. Nicht wenige Orte werden zum Trümmerfeld. Das Schicksal der Kleinstadt Meuselwitz in Thüringen entscheidet sich am 30. November 1944. Es ist der Tag, an dem Meuselwitz erstmals ins Visier der US-Bomberpiloten gerät. Der Grund ist banal.
"Stau" über den Wolken
Meuselwitz ist eine Art Gelegenheitsziel für die Alliierten. Das eigentliche Ziel der US-Luftflotte sind die Treibstoffwerke in Tröglitz bei Zeitz - die Werke sind nur knapp neun Kilometer Luftlinie von Meuselwitz entfernt. Die NS-Kriegsindustrie produziert dort Flugbenzin für die deutsche Luftwaffe. Die Bomben am 30. November verfehlen dieses Ziel. Offenbar nur deshalb, weil es zu einem regelrechten "Stau" über den Wolken kommt – zu viele Flugzeuge sind in der Luft unterwegs.
So hängt der erste große Bombenangriff auf Meuselwitz schlicht vom Zufall ab. Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller beschreibt die geänderte Angriffsstrategie:
Wenn man zwei Wellen mit 700 oder 500 oder auch über 1.000 Bombern einsetzte, dann konnte es sein, dass aufgrund von Störungen alliierte Besatzungen ihre Bombenlast nicht ans Ziel bringen konnten und diese natürlich entsorgen mussten, weil sie mit denen nicht in Großbritannien auf ihrem Fliegerhorst hätten landen können. Also warfen sie die Bomben geradewegs sozusagen auf dem Rückflug auf ein halbwegs vermeintlich lohnendes Ziel - und wenn es eine Großmolkerei gewesen ist. Und so geriet beispielsweise auch Meuselwitz ins Visier.
54 Tonnen - 500 Bomben - treffen Meuselwitz
In Meuselwitz gelten die Treffer keiner Großmolkerei, sondern einer Rüstungsfabrik im Norden der Stadt. Polnische und russische Zwangsarbeiterinnen bauen dort Panzerfäuste für die deutsche Wehrmacht. Sie sind dem Bombenangriff schutzlos ausgeliefert.
Bomberpiloten konnten nicht wissen, wie viele Häftlinge, Zwangsarbeiter sie möglicherweise auch treffen bei ihren Bombardements. Das ist ihnen auch nicht gesagt worden. Da handeln Militärs ja eiskalt und nüchtern, ohne das moralisch zu bewerten. Ihre Aufgabe ist es den Gegner zu vernichten und niederzuringen und nichts anderes.
Fast 54 Tonnen, 500 Bomben, laden Kampfflugzeuge über der Kleinstadt ab, zerstören deren nördliche und östliche Viertel. 87 Menschen kommen ums Leben. Etwa die Hälfte sind Zwangsarbeiterinnen. Für die Menschen in Meuselwitz ist das der erste von insgesamt zwei verheerenden Luftangriffen.
Den schwärzesten Tag in ihrer Geschichte erlebt die Stadt knapp drei Monate später, am 20. Februar 1945. Wieder wird Meuselwitz eher durch Zufall zum Ziel. Das geplante Hauptziel des Nachtangriffs der britische Royal Air Force ist das Treibstoffwerk Böhlen südlich von Leipzig, das wie die Werke in Tröglitz oder Leuna Benzin aus Kohle herstellt. Die Westalliierten wollen damit die deutsche Luftwaffe treffen, der Achillesferse der deutschen Kampfkraft im Krieg.
Angriffsziel nicht gefunden - Meuselwitz als "Zweitziel"
Wegen Orientierungsschwierigkeiten in der Dunkelheit und starker Flakabwehr verfehlen die britischen Bomber ihr Ziel Böhlen weitgehend. So kommt es zu Angriffen auf Zweitziele, zu denen auch Meuselwitz gehört. Wieder haben die Meuselwitzer Pech, denn wieder liefert ein "dummer" Zufall den Grund für die Bombardierung. Nahezu auf die gesamte Stadt fallen die Bomben, 140 Tonnen werden abgeworfen. Ein Großteil der historischen Bebauung wird vernichtet. Zwei Luftangriffe reichen, um 85 Prozent der Gebäude zu zertrümmern oder zu beschädigen. Damit ist Meuselwitz kurz vor Kriegsende fast vollständig zerstört.
Meuselwitz in Schutt und Asche
Mehr als 1.000 Bomben gehen während des Krieges über der Kleinstadt nieder - davon mehr als die Hälfte am 20. Februar 1945. Auch wenn auf Meuselwitz, verglichen mit anderen Thüringer Städten, zahlenmäßig weniger Bombenlast fällt, müssen doch überall in der Stadt Menschen Furchtbares erleben. Dieser schwarze Tag, an dem nur 15 Prozent der Gebäude unversehrt bleiben, brennt sich tief in das Gedächtnis der Stadt ein.
Bedeutende und das Stadtbild prägende Bauten, wie das Schloss, werden schwer beschädigt und später abgerissen. Die historisch gewachsene Innenstadt mit ihrer vielfältigen Bebauung geht im Krieg weitestgehend verloren. Gebäude, die Meuselwitz über Jahrhunderte ausgemacht haben, gibt es heute nicht mehr. Nur die Orangerie wird in den 1950er-Jahren grob wiederaufgebaut und erst nach der Wende vollständig restauriert.
Der Artikel war erstmals 2020 online.
Dieses Thema im Programm: 1945 - Unsere Städte: Der Bombenkrieg | 04. Februar 2021 | 22:15 Uhr