Elbe-Day am 25. April 1945: Ein Handschlag geht um die Welt
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25. April 2024, 05:00 Uhr
Dieses Foto ging um die Welt: Als sich am 25. April 1945 US-Soldaten und Rotarmisten auf den Trümmern der Torgauer Elbbrücke die Hände reichen, wird Welgeschichte geschrieben. Der Handschlag mahnt bis heute zu Frieden. Die Stadt Torgau erinnert jedes Jahr mit Gedenkveranstaltungen und einem Festwochenende im April mit einem bunten Kulturprogramm an die historische Begegnung.
Das Foto, welches US-Soldaten und Rotarmisten auf der zerstörten Elbbrücke bei Torgau kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zeigt, steht symbolisch für die Unterwerfung des nationalsozialistischen Deutschlands. Und auch für die Aufteilung des Landes in Besatzungszonen. Die erste Begegnung zwischen den Alliierten fand jedoch nicht in Torgau, sondern im Städtchen Strehla, 30 Kilometer südöstlich, statt.
Der amerikanische Leutnant Albert Kotzebue hatte am Morgen des 25. April 1945 mit fünf Soldaten eine Erkundungsfahrt vom amerikanischen Hauptquartier in Wurzen aus unternommen. Einige Tage zuvor hatten die Amerikaner an der Mulde halt gemacht, so wie es ihr Oberkommandeur Eisenhower mit den Sowjets vereinbart hatte. Die Rote Armee stoppte, wie verabredet, an der Elbe. Ein unkontrolliertes Zusammentreffen der Kriegsparteien sollte verhindert werden. Deshalb lag ein Korridor von 30 bis 40 Kilometern zwischen ihnen.
Strehla war ein Leichenfeld
Auf seiner Mission sollte Leutnant Kotzebue erkunden, ob sich im Korridor noch Wehrmachtssoldaten aufhalten. Zum Erkundungstrupp gehörte auch der Deutsch sprechende Joseph "Joe" Polowsky. "Mit einem Segelboot überquerten sie die Elbe", beschreibt der Historiker Uwe Niedersen die Begegnung. Als sie in Strehla auf der Ostseite des Flusses ankamen, standen die Amerikaner inmitten von 300 Leichen: Frauen, Kindern, alten Menschen. "Jeder erkannte, dass dies nicht der Ort für eine historische Begegnung war", so Niedersen.
In Torgau wird Geschichte geschrieben
Statt Strehla ging deshalb Torgau in die Geschichte ein. Denn ein zweiter Erkundungstrupp, geleitet vom amerikanischen Leutnant William Robertson, sollte die Flüchtlingsströme östlich von Leipzig erkunden. Unterwegs traf Robertson auf ehemalige britische Kriegsgefangene, die berichteten, dass die Russen am östlichen Elbufer angelangt seien. Robertson und seine Leute beschlossen, bis nach Torgau zu fahren. Dort bastelten sie aus einem Bettlaken eine improvisierte US-Flagge, mit der Robertson von einem Turm des an der Elbe gelegenen Schlosses Hartenfels schwenkte.
Erste Begegnung unter Schüssen
Ein paar Stunden zuvor waren die sowjetischen Soldaten allerdings mit einem weißen Tuch, das Deutsche auf der Westseite der Elbe hochhielten, getäuscht worden. Sie befürchteten eine Falle und schossen auf den Turm. Einem russisch sprechenden Amerikaner gelang es schließlich, sich mit den Soldaten auf der anderen Elbseite zu verständigen. Dort war eine sowjetische Patrouille unter der Leitung von Oberleutnant Alexander Silwaschko unterwegs. Er kam mit seinen Leuten ans Flussufer. Von beiden Seiten kletterten amerikanische und sowjetische Soldaten auf die zerstörte Brücke und trafen sich am Brückenkopf. Die historische Begegnung an der Elbe war vollzogen.
Die Sowjets auf den Fotos werden bestraft
Die Begegnung an diesem bedeutsamen Tag wurde fotografisch festgehalten. Das Bild jedoch, welches als symbolisches Zeitdokument in die Geschichte einging, entstand erst einen Tag später. Die Aufnahme des für den "American News Service" tätigen Fotografen Allan Jackson zeigt zwar einen Handschlag, es sind aber nicht die Soldaten um Robertson und Silwaschko, die darauf zu sehen sind. Stattdessen zeigt es die US-Soldaten John Metzer, Delbert Philpott und Thomas Summers, die Namen der Sowjetsoldaten sind nicht überliefert.
"Sogenannte historische Aufnahmen", so spottete ein sowjetischer Reporter über die Aufnahmen, die am Tage darauf die Titelseiten vieler Zeitungen auf der ganzen Welt zierten. Für die sowjetischen Soldaten hatte die Begegnung fatale Folgen. Denn sie passte nicht in das Bild ihres Oberbefehlshabers Stalin. Die beiden Befehlshaber der Roten Armee, Kapitän Neda und Major Larionow, wurden zur Strafe aus der Partei ausgeschlossen.
"Schwur von Torgau"
Joseph "Joe" Polowsky, Dolmetscher und Sohn jüdischer Auswanderer aus der Ukraine, gehörte zum Trupp von Leutnant Albert Kotzebue in Strehla. Er nahm den sogenannten Schwur von Torgau, das Versprechen von amerikanischen und sowjetischen Soldaten, der Menschheit fortan Kriege zu ersparen, zeitlebens ernst. Drei Jahre lang forderte er, der nach dem Krieg als Taxifahrer arbeitete, die Vereinten Nationen dazu auf, den 25. April zum Weltfriedenstag zu erklären. Vergebens. Er wandte sich mit seinem Anliegen auch an mehrere amerikanische Präsidenten und wurde, zusammen mit anderen Kriegsveteranen, von Nikita Chruschtschow im Kreml empfangen. 1960 besuchte er den historischen Ort erneut, ein Jahr später sogar den DDR-Staatschef Walter Ulbricht. In seiner Heimat wurde sein Einsatz aber kritisch gesehen. So verfolgte ihn Senator McCarthy wegen "unamerikanischer Umtriebe". Den Kalten Krieg der Supermächte konnte auch Polowsky nicht aufhalten. Jedes Jahr hielt er auf der Michigan Avenue Bridge in Chicago in Erinnerung an den "Elbe-Day 1945" eine Mahnwache ab.
Letzter Wunsch: Bestattung in Torgau
Polowskys letzter Wunsch war ein Begräbnis in Torgau, "als letztes Friedenszeichen über die Gräben des Kalten Krieges hinweg", erzählt der Torgauer Günter Schöne. Er hat das Leben des ungewöhnlichen Weltkriegsveteranen in seinem Buch "Joe Polowsky - Brücke zwischen den Welten" festgehalten. "Joe starb am 16. Oktober 1983, ohne zu wissen, ob sein letzter Wunsch erfüllt werden würde", so Schöne. Honecker selbst habe Tage später sein Einverständnis zu dem politisch höchst heiklen Begräbnis gegeben. Am 26. November 1983 wurde Joseph Polowsky in Torgau bestattet. Neben amerikanischen Diplomaten und einigen US-Kriegsveteranen geleiteten nur wenige Torgauer Polowsky auf seinem letzten Weg, denn die Staatssicherheit schirmte das Begräbnis ab.
Was ist der "Elbe-Day"?
Seit einigen Jahren wird mit dem "Elbe-Day" an den historischen Tag erinnert. Es ist eine Gedenkfeier mit Volksfestcharakter. In den letzten Jahren reisten die letzten lebenden Veteranen aus Russland und den USA an und setzten gemeinsam einen Kranz auf der Elbe aus. "Wenn unsere Regierungen so wie wir Veteranen zusammenhalten würden", so der ehemalige GI Chester Yastremski anlässlich des "Elbe-Days" 2015, "dann hätten wir eine andere Welt".
Dieser Artikel erschien erstmals im März 2018.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 25. April 2020 | 19:00 Uhr