Drittes Reich Lebensborn: Sex für Führer, Volk und Vaterland
Hauptinhalt
07. Dezember 2021, 12:02 Uhr
Um die Lebensborn-Heime ranken sich immer noch wilde Gerüchte: Waren es Bordelle für potente SS-Männer, die dort mit arischen blonden Frauen Sex haben sollten? Die Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff sprach 2014 in ihrer "Dresdner Rede" von "Kopulationsheimen" der Nazis. Tatsächlich waren es rassistische Zuchtanstalten, aus denen eine neue "arische Elite" hervorgehen sollte. Der Lebensborn e.V. wurde am 12. Dezember 1935 von SS-Chef Himmler gegründet.
Es war eine der wahnhaften Ideen der Nationalsozialisten: Durch Züchtung wollte man eine arische Rasse hervorbringen. Besonders SS-Chef Heinrich Himmler war davon besessen. Am 12. Dezember 1935 gründete er in Berlin den Lebensborn e.V. mit dem Ziel: "Rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers […] anzunehmen ist, dass gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen, für diese Kinder zu sorgen, für die Mütter der Kinder zu sorgen", wie es in der Satzung heißt.
Getauft mit dem SS-Dolch
Das erste Lebensborn-Heim wurde am 15. August 1936 in Steinhöring in Oberbayern eröffnet. Weitere sollten folgen, überall in Deutschland. Es waren bestens ausgestattete Entbindungs- und Erziehungsheime. Auch in Österreich und später im besetzten Norwegen, Belgien, Frankreich und Luxemburg wurden solche Heime eingerichtet. Hier sollten deutsche Frauen dem "Führer" Adolf Hitler "arischen" Nachwuchs in großer Menge schenken. Besonders unverheiratete Frauen, die von einem "arischen" Mann schwanger waren, konnten in diesen Heimen ihre Kinder zur Welt bringen und in den ersten Monaten nach der Geburt betreuen. Hochrangige Funktionäre schoben ihre schwangeren Geliebten in diese Heime ab, ohne dass die Ehefrauen davon etwas mitbekamen. Ein eigenes Standes- und Meldeamt garantierte, dass die Geburt geheim gehalten wurde. Denn eine uneheliche Geburt galt damals als Schande. Außerdem versprach Himmler, für alle "ehelichen und unehelichen Kinder guten Blutes, deren Väter im Krieg gefallen sind", würden nationalsozialistische Vormünder gefunden.
Die Lebensborn-Heime waren aufgrund des Stigmas der uneheligen Geburt abgelegen und streng von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Auch deshalb entstanden Gerüchte über rauschende Sex-Orgien, bei denen stramme SS-Männer ihrer Lust freien Lauf lassen konnten. Denn die Anwohner dieser Heime sahen dort ständig schwangere Frauen und Uniformierte ein- und ausgehen.
In deutschen und österreichischen Lebensborn-Heimen kamen 11.000 Babys auf die Welt. Es gab ein spezielles "Taufritual": Den Neugeborenen wurde ein silberner SS-Dolch auf den Körper gelegt, als Zeichen dafür, dass sie von nun an zur "arischen" Gemeinschaft gehören. Oft wurden die Kinder zur Adoption freigegeben und vor allem in stramm nationalsozialistische Familien vermittelt.
Nazis als Kinderräuber
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die SS-Männer des Lebensborn-Vereins auch in den besetzten Ländern aktiv. Sie verschleppten rücksichtslos Kinder aus Mittel- und Osteuropa, die in den Augen der Rassenfanatiker "gutes Blut" besaßen, weil sie blond und blauäugig waren.
Diese Kinder wurden brutal aus ihren Familien gerissen und gegen den Willen ihrer Eltern in deutsche und österreichische Lebensborn-Heime gebracht. Dort wurden sie "eingedeutscht": Aus Kostja wurde Konstantin, aus Barbara Bärbel und aus Roman Herrmann. Immer wieder wurden die Kinder untersucht, nach Augenabstand, Nasenbreite, Schädelform. Wenn die Kinder ihre Heimatsprache benutzten, also beispielsweise polnisch sprachen, wurden sie bestraft und geschlagen. Die ursprüngliche Identität sollte ausgelöscht werden. Deshalb wurden in den Lebensborn-Heimen auch die Geburtsorte und -daten der Kinder gefälscht und die alten Unterlagen vernichtet.
An den Wochenenden kamen kinderlose Ehepaare in die Heime, suchten sich Kinder aus und gingen mit ihnen spazieren. Mit gefälschten Geburtsurkunden wurden die geraubten Kinder in deutsche Familien vermittelt, vor allem an überzeugte Nationalsozialisten. Es waren tausende Kinder, die auf diese Weise geraubt worden sind und deren Kindheit auf diese Weise ausgelöscht wurde. Genaue Zahlen sind bis heute nicht bekannt, die Angaben schwanken zwischen 50.000 und 200.000 Fällen.
Die schwierige Suche nach den geraubten Kindern
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges suchten überlebende Eltern ihre gestohlenen Kinder. Die Anfragen wurden oft über das Internationale Rote Kreuz gestellt. Ein langwieriger und komplizierter Prozess begann. Denn alle Unterlagen, welche die Identität der geraubten Kinder bestätigen konnten und ihren alten Namen enthielten, waren von den Nationalsozialisten vernichtet worden. Wurden sie gefunden, hatten die Kinder inzwischen neue Namen und fühlten sich aufgrund der Erziehung als Deutsche. Nun waren sie hin- und hergerissen zwischen den leiblichen Eltern und den Adoptiveltern, bei denen sie jahrelang gelebt haben. Viele fühlten sich der alten Heimat entfremdet, waren nationalsozialistisch erzogen worden und verstanden die alte Sprache nicht mehr.
Lebenslänglich Lebensborn
Die meisten von ihnen leben bis heute in Deutschland, ohne die Details ihrer Vergangenheit zu kennen. Sie sind traumatisiert, leiden zeitlebens unter Verlustängsten und haben Schwierigkeiten, Beziehungen und Bindungen einzugehen. Von den insgesamt 250.000 Kindern, die während des Krieges ihren leiblichen Eltern entrissen und geraubt wurden, sind gerade einmal 25.000 in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Viele Lebensborn-Kinder vermeiden es, über ihre Herkunft zu sprechen. Sie fürchten die Macht der Mythen, die sich um die Organisation ranken und die ein schlechtes Licht auf die Mutter, den Vater und auch auf sie selbst werfen.
Über dieses Thema berichtete MDR ZEITREISE auch im: TV | 22.08.2017 | 21:15 Uhr