Geschichte der Läuterung eines Holocaustleugners
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17. Januar 2023, 11:22 Uhr
"Stets gern für Sie beschäftigt". Mit dieser lapidaren, einen Geschäftsbrief abschließenden Formel aus dem Jahr 1942, empfängt der Erinnerungsort "Topf&Söhne" seit 2011 seine Besucher. Und führt damit bereits mitten hinein in die Geschichte dieses Erfurter Traditionsunternehmens, dass für die SS die Schlüsseltechnologie des Massenmords und der Massenvernichtung an europäischen Juden entwickelte. Im Sinne des Aufbaus einer für ganz normal gehaltenen Geschäftsbeziehung. Worin sie im Detail bestand, blieb bis zum Ende der DDR gut verborgen.
Am 11. April 1945 erreichen die amerikanischen Truppen das Lager des KZ Buchenwald. Damit sind sie zum ersten Mal unmittelbar mit der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten konfrontiert. In den Brennkammern des Krematoriums liegen Leichenreste. Davor Berge von Asche und Knochenstücke. Zehntausende Menschen hat die SS vor Ort in den Öfen, auf denen das Logo "Topf & Söhne" prangt, einäschern lassen, um die Spuren ihrer Verbrechen unbemerkt zu beseitigen. Wie viel die Ofenbauer selbst von diesen Verbrechen wussten, ob sie gar beteiligt waren an der Planung? Das versuchen Spezialeinheiten der amerikanischen Armee in Erfurt, 20 Kilometer vom Tatort in Buchenwald entfernt, herauszufinden. Nachdem die Amerikaner aus dem Gebiet abgezogen waren, versuchten es die sowjetischen Truppen.
Debatte um die "Auschwitzlüge"
Nachdem sich einer der Firmeninhaber den Ermittlungen durch Suizid entzogen hat, nehmen sowjetische Offiziere 1946 andere leitende Mitarbeiter fest und verurteilen sie 1948 in Moskau zu 25 Jahren Straflager wegen Beihilfe an "Verbrechen an der Zivilbevölkerung und gefangenen Rotarmisten". Die Akten zum Fall "Topf & Söhne" verschwinden. Die Rolle des Unternehmens wird öffentlich nicht weiter thematisiert. Bis in den 1980er Jahren plötzlich eine ganz neue, unabhängige wissenschaftliche Erforschung beginnt. Angestoßen durch eine von Antisemiten weltweit angestoßene Debatte um die sogenannte "Auschwitzlüge".
Holocaustleugner: Vom Umgang mit einer Zumutung
Vom Verbrechen des Holocaust zeugen unzählige Quellen und Zeitzeugenberichte. Dennoch unternehmen Antisemiten und erklärte Anhänger nationalsozialistischer Ideologie in den 1980er Jahren einen folgenreichen Generalangriff. Sie behaupten plötzlich, technische Untersuchungen hätten gezeigt, dass es in Auschwitz niemals Gaskammern gegeben habe. Die Tatsache, dass Millionen Menschen systematisch mit Zyklon B vergast und anschließend sofort verbrannt wurden, sei eine monströse Geschichtslüge.
Ihr Kronzeuge ist der amerikanische, selbsternannte Gaskammerexperte Fred Leuchter – Autor des sogenannten "Leuchter-Reports". 1988 erstellt er im Auftrag des in Kanada vor Gericht stehenden Holocaustleugners Ernst Zündel ein "Gutachten", dass folgenden Beweis antreten soll: Gaskammern sowie millionenfachen Mord habe es in Auschwitz nie gegeben. Leuchter "beweist" dies auf eine perfide Weise, indem er Gesteinsproben, die er bei einem Besuch in Auschwitz aus einer von der SS 1945 zerstörten Gaskammer aufsammelt und "nachweist", dass sie keine Blausäure (also Spuren eines Einsatzes von Zyklon B) enthalten.
Holocaustleugner schlagen weltweit Kapital aus "Leuchter-Report"
Ein billiger Trick, den das Gericht als Entlastung nicht akzeptiert und der dennoch zieht. Vor allem in Sachen antisemitische PR. Denn mit der technischen Seite des Verbrechens hat sich die Wissenschaft bis dato kaum befasst. Erst 1994 treten Wissenschaftler den Gegenbeweis an und widerlegen Leuchter in allen Punkten. In der Zeit dazwischen nutzen zahllose Holocaustleugner die Lücke unter Aufbietung aller Mittel aus, um weltweit Kapital daraus zu schlagen.
So wird noch im März 1994 der NPD-Chef Günter Deckert vom Bundesgerichtshof in einem Strafverfahren vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Seine zustimmende Präsentation des Leuchter-Reports, mithin also die Leugnung des Holocausts, erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung nicht. Bloße Leugnung der Morde an den Juden genügten nicht. Zusätzlich müsse eine Identifizierung mit dem Nationalsozialismus erkennbar sein.
David Irving: Umdeutung und Erfindung von Quellen
Dass man ja nur auf Lücken in der Forschung hinweisen wolle, mit dieser Strategie verschaffen sich Holocaustleugner plötzlich Gehör. Ihr großes Vorbild: David Irving, der 1989 für die britische Ausgabe des Leuchter-Reports ein Vorwort schreibt und die Aussagen daraus auf unzähligen Tagungen propagiert. Bis dahin war Irving als britischer Historiker ohne Ausbildung und Bestsellerautor mit skandalträchtigen Monografien zur Militärgeschichte des Zweiten Weltkriegs bekannt. Das Spiel mit der Umdeutung und Erfindung von Quellen hat er wie kein anderer perfektioniert. Erst nach 2000 wird er in einem aufsehenerregenden, mehrjährigen Londoner Verfahren der Lüge und massiven Geschichtsfälschung überführt. Zu einem Zeitpunkt, als die Erforschung des Holocaust neue Fahrt aufgenommen hat. Jedoch auf Umwegen.
Jean-Claude Pressac und die Suche nach der Täterschaft
1989 präsentiert ein bis dato unbekannter Historiker neue Akten und Forschungsergebnisse zur Geschichte und zum Bau der NS-Vernichtungsanlagen: Jean-Claude Pressac. Als Erster hat er Pläne, Bauunterlagen und die Geschäfts- Korrespondenz zwischen der SS-Zentralbauleitung in Auschwitz eingehend studiert. Und seinen eigenen Forschungsansatz komplett revidiert. Denn auch Jean-Claude Pressac, Apotheker bei Paris und passionierter Hobby-Historiker, ist ursprünglich Leugner des Holocaust. Die Lüge von der technischen Nicht-Machbarkeit dieses monströsen Verbrechens saugt er auf und versucht sie auf seine Art zu beweisen. Bis er nach Auschwitz fährt und eine Läuterung durchlebt.
Anfangs war es ein großer Schock für mich. Das geht vielen so, die nach Auschwitz kommen. Aber ich war so stark betroffen, dass ich mich fast umgebracht hätte vor Scham. Denn was ich dort erfahren habe, war ein richtiger Schlag für mich.
Pressac begreift sofort, dass das, was er vor sich hat die detaillierten Baupläne der Vernichtung sind. Erstellt in Zusammenarbeit mit einer Firma, von der er vorher kaum etwas wusste: "Topf & Söhne" in Erfurt. Eine Firma, die zu DDR-Zeiten als VEB "Erfurter Mälzerei- und Speicherbau", die Vergangenheit begraben hat und auch Thüringer Archivare nicht an das hoch-toxische Werksarchiv heranließ. Erst mit der Reprivatisierung ist der Weg frei. Und Jean-Claude Pressac ist der Erste, der beim neuen Besitzer anklopft.
Noch vor dem Ende der Untersuchungen stirbt Pressac
Mithilfe der Akten, Pläne und Geschäftsbriefe, die er Mitte der 90er-Jahre mit nach Frankreich nimmt, weist er als Erster nach, wie tief das Unternehmen ins Vernichtungswerk der SS verstrickt ist. Mit Bernhard Post, dem Leiter des Hauptstaatsarchivs Thüringen, macht er folgendes aus: Wenn er seine Forschungen abgeschlossen hat, kehren alle brisanten Akten nach Thüringen zurück. Es kommt anders. 2003 stirbt Jean-Claude Pressac. Doch noch auf dem Totenbett übermittelt er die Nachricht. Post möge so schnell es geht kommen, das Archiv abzuholen.
Da ein gutes Verhältnis zur Gedenkstätte Buchenwald besteht, habe ich mich mit Prof. Knigge beraten: Was tun wir? Und er sagte: Du bekommst von mir einen Fahrer und einen VW-Bus. Und dann sind wir praktisch einen Tag später losgefahren und haben die Akten geholt, in den VW-Bus geladen. Das war ein halber Bus voller Papiere.
Grundstein für den Erinnerungsort "Topf & Söhne"
Die Sammlung Pressac ist heute Teil des Archivs in Weimar und ein wichtiger Grundstock für den 2011 eröffneten Erinnerungsort "Topf&Söhne". Ein beeindruckender wie verstörender Ort. Zeigt er doch, wie wenig es brauchte, um eine Firma samt Belegschaft auf einen neuen Zweig des Geschäfts einzuschwören: den Bau von Vernichtungsanlagen.
Nur zwei Prozent des Umsatzes machte die Firma "Topf & Söhne" mit dem SS-Geschäft. Und doch legten sich ihre Ingenieure dafür mächtig ins Zeug. 1939 etwa entwickelte Oberingenieur Kurt Prüfer ölbeheizte, transportable Öfen, mit denen in Dachau und Buchenwald auf der technischen Grundlage von Kadaver-Verbrennungsanlagen Leichen schnell und kostengünstig verbrannt werden konnten. Drei Jahre später hat die SS für ihn eine neue, viele größere Herausforderung parat. In Auschwitz-Birkenau will man künftig über 4.700 Personen pro Tag einäschern. Auch das: kein Problem. Die Firma hilft, wo sie kann:
In diesen Großkrematorien, von den Häftlingen auch als Todesfabriken bezeichnet, waren bei zweien diese Gaskammern, die bis zu 2.000 Menschen fassen konnten, im Keller. Und die konnten nicht auf natürlichem Wege entlüftet werden. Und da hat Topf&Söhne wissentlich auch Entlüftungsanlagen geliefert. Und damit sich noch unmittelbar an der Optimierung des Tötens beteiligt.
Millionenfachen Mord als ganz normaler Geschäftsauftrag
Bleibt die große Frage: Warum? Kein Hass, kein ausgeprägter Antisemitismus ist die Antwort. Es ist viel banaler: Prämien. Umsatzbeteiligungen reichen, um die Ingenieure zu locken. Untereinander ist der Ehrgeiz sogar so groß, dass zwei von ihnen noch miteinander konkurrieren, um einen "kontinuierlich arbeitenden Leichenverbrennungsofen für Massenbetrieb" auf den Weg zu bringen. Die doppelte Kapazität, 9.000 Leichenverbrennungen pro Tag hätte er ermöglicht. Er wird nie gebaut. Gerade diese monströse Beiläufigkeit, mit der Unternehmensführung und Belegschaft die Beihilfe zum millionenfachen Mord als ganz normalen Geschäftsauftrag begreifen, verstört zutiefst. Und führte mit dazu, dass der Kampf um den Erinnerungsort "Topf&Söhne" in Erfurt fast zwei Jahrzehnte lang dauerte:
Da war wirklich eine Abwehr da, dieses Thema sich in die Stadt zu holen. Es war ja in der Stadt. Aber es wieder auszugraben. Man hat vielleicht auch gedacht, es ist übertrieben. Und dann hat die Forschung bewiesen: Es war tatsächlich so. Die wussten alles, die waren dort. Die haben Probeverbrennungen, die haben Probevergasungen durchgeführt. Das hat die Sache verändert.
Dieser Artikel wurde 2019 erstmals veröffentlicht.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 22. Januar 2023 | 22:20 Uhr