"Stabschef" des Widerstandes Henning von Tresckow – Der Mann, der Hitler töten wollte
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05. Dezember 2016, 10:09 Uhr
Henning von Tresckow hat viele Facetten: liebevoller Familienvater, praktizierender Christ, Soldat mit preußischem Pflicht- und Ehrgefühl. In die Geschichte eingegangen aber ist der gebürtige Magdeburger als eine der wichtigsten Figuren des militärischen Widerstandes gegen Hitler. Er erkennt früher als die meisten seiner Mitverschwörer, dass der "Führer" beseitigt werden muss. Der Mann, der Hitler töten will, ist eine Lichtgestalt in dunkler Zeit.
Geboren wird Henning von Tersckow am 10. Januar 1901 in Magdeburg. Sein Vater ist ein preußischer General und Gutsbesitzer, sein Elternhaus streng protestantisch. Die Tresckows gehören zum brandenburgischen Uradel. Die Wurzeln reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück. Zahlreiche Generale hat die Familie hervorgebracht. Auch Henning, der sich früh durch sein unerschütterliches Pflichtgefühl auszeichnet, folgt der Familientradition und wird Soldat.
Erster Weltkrieg und Weimarer Republik
Mit 16 Jahren meldet sich Henning von Tresckow freiwillig zur Preußischen Armee und kämpft im Ersten Weltkrieg. Nach Kriegsende 1918 kehrt der junge Leutnant dem Militär zunächst den Rücken: Er absolviert eine Banklehre, studiert Jura und arbeitet nebenher als Börsenmakler. Dabei verdient er ein kleines Vermögen und macht mit einem Freund eine Weltreise. 1926 kehrt er als Offizier in die Reichswehr zurück. Diese ist nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages ein Hunderttausend-Mann-Heer. Die Offiziere kennen sich und bilden eine verschworene Gemeinschaft. Eine Vertrautheit, die dem späteren Widerstandskämpfer von Tresckow zu Gute kommt. Sie erklärt, warum dieser vielen Kameraden seine Gegnerschaft zu Hitler offenbaren kann, ohne verraten zu werden.
Vom Hitler-Fan zum Hitler-Gegner
Zunächst ist Tresckow jedoch selbst ein Befürworter Hitlers. Als konservativer Adelsspross steht er der Weimarer Republik äußerst kritisch gegenüber. Er begrüßt die "Nationalsozialistische Bewegung". Zur Reichstagswahl im November 1932 schreibt er an eine Bekannte: "Wir wählen A. H."
Kurz nachdem Hitler 1933 tatsächlich Reichskanzler wird, marschiert Tresckow mit seinem Regiment am "Tag von Potsdam" an Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg vorbei. Die "Schmach von Versailles", so hoffen er und seine Offizierskameraden, wird nun getilgt und die Reichswehr wieder zu einer schlagkräftigen Streitmacht ausgebaut. Doch bereits ein Jahr später kommen dem jungen Offizier Bedenken: Grund ist die Mordaktion gegen die SA-Führung um Ernst Röhm am 30. Juni 1934. Bis zu 150 Menschen werden auf Befehl Hitlers in der "Nacht der langen Messer" umgebracht, darunter auch viele Gegner des Regimes. Auch führende Kreise der Reichswehr unterstützen die Aktion gegen die SA, die sich anschickte als "Volksheer" dem "Waffenträger der Nation" Konkurrenz zu machen. Tresckow hingegen wird erstmals bewusst, dass die neuen Machthaber nichts anderes sind als eine Mörderbande mit Regierungsmandat.
Zwischen Pflichterfüllung und Gewissen
Zunächst aber schreitet Tresckows militärische Kariere mit großen Schritten voran: Die Generalstabsausbildung beendet er 1936 als Bester seines Jahrgangs. Im gleichen Jahr tritt er eine Stelle in der Operationsabteilung des Reichswehrministeriums an. In dieser Funktion erhält Tresckow erstmals Einblicke in Hitlers aggressive und gefährliche außenpolitische Zielstellung. Das sowie die Blomberg-Fritsch-Krise 1938, in deren Folge Reichswehrminister Werner von Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, Werner von Fritsch, ihren Hut nehmen müssen, lassen seine Abneigung gegen das NS-Regime weiter wachsen. Tresckow kommt in Kontakt zu oppositionellen Kreisen in Militär und Zivil, deren Ziel die Absetzung Hitlers ist.
Steile militärische Karriere
Anfang 1939 wird Tresckow zunächst Chef einer Infanteriekompanie in Ostpreußen, bevor er im August Ia (Erster Generalstabsoffizier, zuständig für Truppenführung) einer Infanteriedivision wird. Ende Oktober wechselt er in die Führungsabteilung der übergeordneten Heeresgruppe A, wo er ab März 1940 ebenfalls die Funktion des Ia begleitet. In dieser Zeit bekommt er auch die Auseinandersetzungen zwischen der Obersten Heeresleitung und Hitler mit, weil dieser - gegen den Rat der Militärs - noch im Herbst Frankreich angreifen will. Zudem knüpft er weitere Kontakte zu Vertretern der Militäropposition. Der siegreiche Frankreichfeldzug im Frühjahr 1940 beeindruckt Tresckow zunächst allerdings noch.
Moralische und militärische Bedenken
Ein deutlicher Stimmungswechsel tritt mit dem Beginn des Russlandfeldzuges am 22. Juni 1941 ein. Für Tresckow, mittlerweile Erster Generalstabsoffizier der Heeresgruppe Mitte, ist Hitlers Überfall auf die Sowjetunion "militärischer Wahnsinn" und die "Amateurstrategie" eines Mannes, dem er jedwede Fähigkeit zum Feldherren abspricht. Überdies lehnt Tresckow die verbrecherische Kriegführung im Osten, wo die Einsatzgruppen von SS und SD im Rücken der Front einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung führen, kategorisch ab. Dazu gehört auch der sogenannte Kriegsgerichtsbarkeitserlass, der es deutschen Offizieren überlässt, Straftaten von Zivilpersonen gegen die Truppe zu ahnden und Flüchtende zu erschießen. Tresckow bemüht sich mehrfach vergeblich beim Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Generalfeldmarschall Fedor von Bock, der zugleich sein Onkel ist, die Aussetzung des Befehls zu erreichen.
Konkrete Anschlagsplanungen
Die "planmäßige Ausrottung von Menschen" durch das NS-Regime im Osten, aber auch die unersetzbaren Verluste und Rückschläge der Wehrmacht etwa vor Moskau 1941 bewirken, dass sich Tresckow zu einem maßgeblichen Akteur des militärischen Widerstands entwickelt. Seit 1942 befasst er sich auch aktiv mit Anschlagsgedanken, versammelt vertraute Offiziere um sich und knüpft Kontakte zu zentralen Figuren des zivilen Widerstands, wie etwa dem Leipziger Ex-Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler. Tresckow und seine Kameraden beschäftigen sich mit verschiedenen Plänen, Hitler zu erschießen oder in die Luft zu jagen. Im März 1943 nutzen er und sein Ordonanzoffizier Fabian von Schlabrendorff einen Besuch Hitlers im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte bei Smolensk, um eine als Congnac-Flaschen-Box getarnte Haftmine in Hitlers Flugzeug zu schmuggeln. Die Bombe geht wegen der extremen Kälte nicht hoch und Schlabrendorff fliegt hinterher, um das verräterische Paket wieder in Empfang zu nehmen.
Treibende Kraft der Umsturzpläne
Ab Juli 1943 ist Tresckow neben Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg die treibende Kraft der Umsturzpläne, die im Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 münden. Tresckow, seit November 1943 Generalstabschef der 2. Armee und seit Juni 1944 Generalmajor, hat in dieser Position genügend Einsicht in die militärische Gesamtlage. Diese ist nach der Vernichtung der Heeresgruppe Mitte im Zuge der sowjetischen Sommeroffensive 1944 - 250.000 deutsche Soldaten sind gefallen, gefangen oder vermisst - auch im Osten desaströs. Auch im Westen ist die Lage ernüchternd, seitdem Anfang Juni Briten und Amerikaner erfolgreich in der Normandie gelandet sind.
Putsch gegen Hitler
Die katastrophale militärische Gesamtlage ist ein wesentlicher Grund für die Entschlossenheit Tresckows, den Putsch "coute que coute" (koste es, was es wolle) zu wagen. Bereits im Sommer 1943 hat er dafür gemeinsam mit Stauffenberg den militärischen Einsatzplan des Ersatzheeres "Walküre", der ursprünglich bei Fremdarbeiter-Aufständen in der Heimat greifen sollte, im Sinne der eigenen Putschplanungen umgearbeitet. Diese sehen nach der Beseitigung Hitlers und der gesamten NS-Führung eine vorübergehende Militärdiktatur und die Abwendung einer militärischen Niederlage, unter anderem durch Friedensverhandlungen mit den Westalliierten vor. Für den Putsch selbst kann Tresckow von seinem Stabsquartier in Ostpolen lediglich ein Bataillon zur Unterstützung bereitstellen. Er selbst erfährt erst am Nachmittag des 20. Juli, dass das Attentat auf Hitler im "Führer-Hauptquartier Wolfsschanze" gescheitert ist.
Selbstgewählter "Heldentod" an der Ostfront
Tresckow, der nicht riskieren will, bei den zu erwartenden Untersuchungen unter Folter seine Kameraden in Gefahr zu bringen, zieht die Konsequenzen. Am Morgen des 21. Juni geht er an die Front und jagt sich mit einer Gewehrgranate in die Luft. Der "Heldentod" des Generalmajors wird als Partisanenüberfall dargestellt. Tresckows Leichnam wird am 27. Juli 1944 ohne militärische Ehren auf dem Familiengut Wartenburg beigesetzt.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Fernsehen: Geschichte Mitteldeutschlands | Hitler – Ein Attentat und die Drahtzieher aus Magdeburg | 31. Juli 2016 | 20:15 Uhr