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Instrumente für die Welt Tango im Erzgebirge oder Wie das Bandonion die Welt eroberte
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19. Februar 2025, 12:26 Uhr
Sehnsuchtsvoll, traurig und verführerisch zugleich trägt der schwebende Ton des Bandonions die geschmeidigen Schritte und das stolze Auftreten von Tangotänzern auf der ganzen Welt ... Wie aber kommt Argentiniens Nationaltanz zu Instrumenten aus Sachsen? Und wie fügen diese sich in eine weltumspannenden Kultur, die nicht nur in Buenos Aires gelebt wird - sondern genauso in Tokio, Berlin, Paris oder Helsinki?
Inhalt des Artikels:
Vorläufer des Bandonions: Die Konzertina
"Angelina, Angelina - please bring down your concertina and play a welcome for me, ´cause I´ll be coming home from sea", sang Harry Belafonte in einem seiner bekanntesten Calypsos. Die "Konzertina" war die Urform des Instruments um das es geht. Einer der ersten, der sie ab 1830 baute, war der Chemnitzer Instrumentenbauer Carl Friedrich Uhlig. Er nannte das Instrument noch "Harmonika". Erst Carl Friedrich Zimmermann aus dem erzgebirgischen Dorf Carlsfeld begann nach der Londoner Weltausstellung von 1851 seine Instrumente als "Konzertina" zu bezeichnen.
Namensgeber Heinrich Band
Zum eigentlichen Namensgeber aber wurde der Krefelder Musiklehrer und Instrumentenhändler Heinrich Band (1821-1860). Band lernte auf einer 54-tönigen Konzertina bei Uhlig in Chemnitz. Der Instrumentenhändler importierte Konzertinas aus Sachsen und Böhmen. Nachweislich auch vom Carlsfelder Carl Friedrich Zimmermann.
Angeblich hat der Krefelder die sächsischen Instrumente verändert, den Tonumfang erweitert und die so veränderten Konzertinas unter neuem Namen vermarktet. Wahrscheinlich aber hat Band bei den sächsischen Herstellern nur marginale Veränderungen der Tonanordnung geordert. Diese Instrumente nannte er sehr selbstbewusst nach sich selbst: Bandonion.
Sicher wollte er mit der Namensgebung an die Verkaufserfolge des 1829 in Wien entstandenen Accordeon anknüpfen. Seine Erfinder nannten es damals noch Accordion. Band war auf jeden Fall ein geschickter Verkäufer. Und der neue Name kam an. Heute weiß man: Band war nie Instrumentenbauer oder Tüfftler. Die neuen größeren Konzertinas waren aus dem Erzgebirge importierte und einfach umetikettierte Instrumente aus der Fabrikation des Carl Friedrich Zimmermann. Band hat auf sein Bandonion auch nie ein Patent oder Markennamen angemeldet. Doch eines muss man ihm lassen. Er war der geschicktere Vermarkter und Verkäufer. Sein Name setzte sich durch und so ist auch die Stadt Krefeld bis heute mit dem Instrument eng verbunden.
Bandonion oder Bandoneon
Beide Bezeichnungen sind richtig. Heinrich Band nannte seine Weiterentwicklung der Konzertina "Bandonion" mit "i". Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts setzte sich international die Scheibweise mit "e" durch. Doch in der lokalen Tradition des Erzgebirges und des vogtländischen Musikwinkels schreibt und spricht man nach wie vor vom Bandonion.
Wie funktioniert ein Bandonion?
Das Instrument wurde schnell in ganz Deutschland bekannt und geschätzt. Die meisten Bandonions heute haben 72 Tasten und 144 Töne. Zwischen dem quadratischen Bass und Diskantteil spannt sich ein ziegenlederner Balg. Das Bandonion wird nicht wie ein Akkordeon umgehängt, sondern auf den Knien balancierend gespielt. Zug und Druck erzeugen jeweils andere Töne. Dieses wechseltönige Spiel zu erlernen ist nicht ganz einfach. Doch ein Spiel nach Grifftabellen ist möglich. Notenkenntnisse sind dazu nicht unbedingt nötig. Das förderte die schnelle Verbreitung des Instrumentes.
Konzertina, Bandonion, Akkordeon?
Alle drei sind Handzuginstrumente. Bei allen drei Instrumenten werden durch das Drücken von Tonknöpfen oder Tasten mechanisch Ventile geöffnet, durch die ein Luftstrom fließt, der dann ein metallenes Stimmplättchen zum Schwingen bringt. Im Unterschied zum Akkordeon besitzt das Bandoneon keine mechanisch voreingestellten Akkorde, sondern nur Einzeltöne. Zweiter wesentlicher Unterschied: Konzertina und Bandonion sind Dualtoninstrumente. Zug und Druck des Balges erzeugen beim gleichen Knopf unterschiedliche Töne. Anders beim Akkordeon. Der Ton bleibt stets gleich. Beim Akkordeon ist das Tastenfeld abgewinkelt.
Carlsfeld schreibt Musikgeschichte
In einem kleinen Haus im erzgebirgischen Carlsfeld begann Carl Friedrich Zimmermann, ein Schüler des Chemnitzer Instrumentenbauers Uhlig, Konzertinas zu bauen. Später auch unter dem Namen Bandonion. Vom Zimmermannschen Haus ist heute nur noch der Türsturz vom Eingang des Hauses erhalten. Er ist heute Teil eines Bandoniondenkmals hinter der Kirche von Carlsfeld.
1864 wanderte Zimmermann aus. Nach Amerika. In Philadelphia begann er erneut mit einer Intrumentenfabrikation. Seine Fabrik aber verkaufte er an seinen Werkmeister Ernst Ludwig Arnold. Nach den Initialien des neuen Fabrikbesitzers wurde die Bandonionfabrik kurz ELA genannt.
AA: Die Weltmarke aus Carlsfeld
Zum Gott-Vater der Bandonionbaukunst aber sollte sein Sohn Alfred Arnold werden. Was Silbermann für die Orgelbaukunst oder Stradivari für den Violinenbau, das ist Alfred Arnold für das Bandonion. Sein Doppel-A wurde zur Weltmarke. Seine Instrumente sind bis heute der Maßstab für Wohlklang und mystischen Zauber des Bandonions. In Argentinien sprach man kurzerhand von der besten Erfindung der Deutschen.
Um 1900 gründeten sich in Deutschland unendlich viele Bandonionorchester. Das Carlsfelder Werksorchester war nur eines von hunderten Spielvereinigungen. Ende der 1920er-Jahren gab es in Deutschland fast 1.000 Bandonionorchester mit weit über 13.000 Mitgliedern. Mehr Vereine hatte fast nur noch der Deutsche Fußball-Bund.
Die Entstehung des Tangos
In Argentinien, in den Armenvierteln und billigen Unterhaltungslokalen des Hafens von Buenos Aires hatte sich am Ende des Jahrhunderts ein neuer Tanz entwickelt: der Tango.
In den Kneipen trieben sich Hunderte von Männern aus ganz Europa herum. Viele enttäuscht von der neuen Welt und voll melancholischer Erinnerungen an die Heimat. Mit den wenigen Prostituierten tanzten sie den neuen traurig-erotischen Tanz. Eine der poetischsten Umschreibungen des Tanzes heißt: Tango – das ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann. In den ersten Jahren spielte man die Tangomelodien noch ohne Bandonion.
Erst um die Jahrhundertwende kam es mit Seeleuten und deutschen Auswanderern nach Südamerika. In diese Welt passte der wehmütige Klang des Bandonions, als hätte der Tango nur auf diesen Ton gewartet. Schnell wurde das Instrument zur wichtigsten Stimme eines jeden Tangoorchesters und blieb es auf den Straßen von Buenos Aires bis heute.
Nach der Jahrhundertwende kam der Tanz auch nach Europa - in die Salons und Unterhaltungslokale von Paris, London und Berlin. Ein Modetanz, der es trotz oder gerade wegen seiner Verruchtheit bis in die besten Kreise schaffte. Eine weltweite Renaissance erlebte die Tangomusik mit dem sogenannten Tango Nuevo Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Der bekannteste Vertreter dieser konzertanten Variante des Tango war Astor Piazzola (1921-1992). Und natürlich spielte auch Piazzola stets auf Instrumenten von Alfred Arnold aus Carlsfeld.
Exportschlager AA-Bandonions aus Carlsfeld
Die Firma Arnold in Carlsfeld wuchs. Neue Fabrikgebäude wurden errichtet. Die Bandonionfabrik wurde zum wichtigsten Arbeitgeber im Dorf. Man exportierte in die ganze Welt. Zur Blütezeit wurden bis zu 600 Bandonions pro Monat hergestellt. Bis 1945 verkaufte man allein nach Argentinien und Uruguay über 30.000 Instrumente. Noch heute stammen die meisten in Argentinien gespielten Bandonions aus dem Vogtland und dem Erzgebirge.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Firma Arnold in Carlsfeld enteignet und ging auf im Volkseigenen Betrieb der Klingentaler Harmonikawerke. 1964 wurde die Bandonion-Produktion gänzlich eingestellt. Das Bandonion wurde zunehmend vom viel leichter zu erlernenden Akkordeon verdrängt und geriet fast in Vergessenheit.
Nach 1989 verfielen die Produktionsstätten. In Argentinien aber strahlte noch immer der Ruhm des Alfred Arnold aus Carlsfeld. Liebhaber pilgerten nach dem Fall der Mauer in das kleine Dorf auf den Spuren des Meisters. Man besuchte sein Grab und die alten Produktionsstätten.
Neustart für das Bandonion
Es brauchte Zeit bis man sich auch im Vogtland und im Erzgebirge der eigenen Traditionen wieder besann. In den 90er-Jahren gab es erste Bandoniontreffen in Carlsfeld. 2001 gründete sich im Ort ein neuer Bandonionverein.
2002 gründete Anja Rockstroh im benachbarten Klingenthal, der bekannten Instrumentenbaustadt im Vogtland, eine neue Bandonionfabrik. Sie sicherte sich sogar die Rechte am Markennamen Alfred Arnold. Seitdem stellt die kleine Manufaktur wieder hochwertige Instrumente in der Tradition Alfred Arnolds her. Bandionvirtuosen aus der ganzen Welt spielen nun auch wieder auf neuen Instrumenten aus dem Musikwinkel.
Und die Bandonion- und Concertinafabrik Klingenthal bemüht sich auch um den Nachwuchs. Zusammen mit der ebenfalls aus Klingenthal stammenden und heute in Frankreich lebenden Professorin für Bandonionspiel Yvonne Hahn, brachte die Firma zwei neue Unterrichtsbücher zum Erlernen des Instrumentes heraus. 2019 gründeten sie den Verein „Bandonion4Friends“. Der Verein will in Projekten mit Kindern und Jugendlichen, mit Schulen und Musikschulen dem Instrument auch in Deutschland zu neuer Popularität verhelfen.
Und auch in Carlsfeld werden seit 2007 wieder Bandonions gebaut. Ein junger Mann aus dem Dorf, Robert Wallschlägem, gründete an historischer Stätte, dem letzten erhaltenen Gebäude der Arnoldschen Fabrik, seinen Meisterbetrieb für Handzuginstrumente. Noch heute baut und restauriert er in der Tradition Alfred Arnolds.
Wallschleger setzt sich außerdem engagiert für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein. Mit Erfolg. Seit Jahren sind die jungen Bandonionspieler aus Carlsfeld fester Bestandteil des Dorflebens. Und natürlich waren sie auch im Sommer 2023 bei der Einweihung der neuen Bandonion-Skulptur in Carlsfeld dabei. Denn aus diesem Dorf zog einst das Instrument hinaus in die Welt.
Dieser Artikel erschien erstmals am 2. Februar 2025 und wurde am 19. Februar 2025 ergänzt.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Sachsenspiegel | 13. Juni 2023 | 19:00 Uhr