Sänften als Vorläufer des heutigen Nahverkehrs in Dresden
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05. Juni 2018, 14:04 Uhr
Es gab eine Zeit, da existierten in Dresden noch keine befestigten Straßen, höchstens einige grobe Kopfsteinpflaster und unbefestigte Wege, über die die Kutschen rumpelnden. Ansonsten waren Schlaglöcher und Pfützen der Alltag. Das war besonders ärgerlich für Hofbeamte und Bessergestellte. Sie liefen in ihren kostbaren Kleidern Gefahr, vom aufspritzenden Pfützenwasser beschmutzt zu werden. Daher verwendeten Sie gern einen Tragesessel, eine sogenannte Portechaise.
Diese Portechaisen können zurecht als Vorläufer des Nahverkehrs gelten. Das galt übrigens für viele europäische Städte – und sicherten Arbeitsplätze. Die Träger solcher Sitzsänften waren hauptberuflich tätig und es mussten kräftige Männer sein, hatten sie doch bis 100 kg schwere Personen ohne Pause bisweilen über die Strecke von ein bis zwei Kilometer zu tragen.
Affenkästen und Fettschlepper
Der Volksmund verspottete die Portechaisen bisweilen, aufgrund des Gewichts der zu tragenden Personen, als "Affenkasten" und "Fettschlepper". Getragen wurden sie von sogenannten Porteuren oder Portechaisern, in Wien und München hießen sie "Sesseltrager", in Dresden nannten sie sich, etwas vornehmer, Ratssänftenträger oder auch Ratschaisenträger. Allerdings waren Portechaisen nicht immer selbstverständlicher Bestandteil des Dresdner Stadtbildes. Im 16. Jahrhundert waren sie zunächst in ligurischen Städten entwickelt worden, so in Genua, das für seine verwinkelten und steil auf- und abgehenden Gassen bekannt war. Und auch wenn andernorts solche Verhältnisse nicht herrschten, gelangte die Portechaise dennoch zu einer großen Verbreitung, eroberte "das vierbeinige Thier", wie es einmal genannt wurde, nach und nach die europäischen Städte, um hier als Nahverkehrsmittel zu dienen.
Taxivorläufer für Besserverdienende
Die Hauptverbreitungszeit war das 17. bis späte 18. Jahrhundert, die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts brachte dagegen bereits den Niedergang dieses Transportmittels. In Sachsen beschränkte sich indes der Gebrauch der Portechaise anfangs nur auf den Hochadel: Im Jahre 1655 schenkte der König von Spanien dem Fürstenhause Sachsen eine rotsamtene Portechaise mit goldenen Postamenten und "Chrystallscheiben"; sie wurde noch 1783 auf der Dresdener Rüstkammer verwahrt. Ab 1705 dann standen Portechaisen in Dresden – mit offizieller obrigkeitlicher Lizenz – für Jedermann und Jederfrau als Taxivorläufer zur Verfügung, freilich vor allem für Besserverdienende, wie Hofbeamte, Ärzte, Adelige, aber auch kranke und altersschwache Personen. Auf diese Weise entstand noch ein neuer Beruf: Der Portechaisenunternehmer.
Akzeptanzprobleme in der Gründungsphase
Der Start allerdings war schwer, weil vielfach noch die soziale Akzeptanz fehlte, so hieß es z.B. aus Nürnberg: "Niemand wollte sich anfangs derselben bedienen, der Unternehmer ließ sich daher selbst durch die Stadt hin und her tragen. Die Leute liefen scharenweise mit, spotteten und nannten es Sünde, dass ein Mensch des andern Esel würde, man warf sogar mit Kot und Steinen darnach." Irgendwann aber was das Eis gebrochen. Jetzt konnte man es sich leisten, auch in Dresden die neuartige "gehende Kunst-Maschine", genoss die "Schwebefahrt in der Lufft alß fliegend" - und die neidischen Blicke der Ärmeren, die zu Fuß gehen mussten. 1719 dann entstand die Korporation der Dresdener Hofportechaisenträger, eine Art Berufsverband, 1744 standen in Dresden 24 mietbare Portechaisen zur Verfügung, sie warteten an öffentlichen Plätzen. Außerdem wurden Reglements erlassen; die Dresdner Rats-Chaisen-Ordnungen des 18. Jahrhunderts sind gedruckt überliefert. Zusammen mit den neuen Berufen entstanden auch neue Kriminelle, so die hochstapelnden "Tragpreispreller". Sie ließen sich von A nach B tragen und gaben, als es ans Bezahlen ging, falsche vornehme Namen und Adressen an – und verschwanden. Ging die Rechnung dorthin, konnte kein solcher Name dort festgestellt werden, die Träger blieben auf ihren Kosten sitzen.
Pferdekutschen verdrängten Portechaisen
Das Ende der Portechaise wurde mit der zunehmenden Befestigung der innerstädtischen Wege, sowie dem neuzeitlichen Städte- und massenhaften Kutschenbau eingeläutet. Jetzt konnten Mietkutschen über breitere "Kunststraßen" schneller und bequemer fahren. Zudem wuchsen die Städte und damit wurde leicht die Reichweite der Portechaisen überschritten, zumal stets nur eine Person transportiert werden konnte. 1878 wurde in Dresden schließlich der öffentliche Portechaisenbetrieb eingestellt. Doch schon für das Jahr 1856 sind Quellen überliefert, in denen man die Portechaise in Dresden bereits als "antediluvianisch" bezeichnet hatte, d.h. als "vorsintflutlich". So amüsierte sich Hedwig von Bismarck, die in Dresden als Backfisch einen alten Geheimrat besuchte, schon 1852 über den Anblick einer Portechaise. Für sie war sie "ein in Dresden noch übliches Beförderungsmittel aus Urväterzeit. Tante Lottchen und ich begleiteten den Geheimrat in den Hausflur, um ihn einsteigen zu sehen und waren allerdings beide mehr dadurch belustigt, als er."
Wer indes jetzt noch etwas gelten wollte, ließ sich nicht mehr gemächlich tragen, sondern sattelte auf die Mietkutsche um und folgte dem Zug der Zeit des 19. Jahrhunderts, dessen "neue Göttin" den Namen "Beschleunigung" trug.
Über dieses Thema berichtet MDR Zeitreise auch im TV: 05.06.2018 | 21:15 Uhr