Umweltfreundliche Heiztechnik Wie ein frierender König Dresden zum Vorreiter der Fernwärme machte
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05. Februar 2022, 05:00 Uhr
In den großen Städten sind sie oft zu sehen - die dicken grauen Rohre der Fernwärmeleitungen. Das erste europäische Fernwärmesystem entsteht vor mehr als 120 Jahren in Dresden, weil König Albert bei der Andacht in der katholischen Hofkirche friert. So entwickeln die Dresdener große Pläne und werden Vorreiter für klimafreundliche Heiztechnik in Europa.
Die Morgenmessen in der katholischen Hofkirche mögen das Herz des Königs erwärmen, doch den königlichen Körper kühlen sie gnadenlos aus. An eine Heizung hat der italienische Baumeister Gaetano Chiaveri nämlich nicht gedacht, als er die Kirche errichtet. Alle Ideen, nachträglich Öfen einzubauen, scheitern. Neben dem Brandschutz spielt eben auch die Optik eine Rolle: Ein Schornstein an der Kirche würde den Canaletto-Blick stören. Undenkbar für die Dresdener. Und so fröstelt der Hof weiter, bis Mitte der 1890er-Jahre die Fachzeitschrift "Der Rohrleger und Gesundheitsingenieur" über eine amerikanische Erfindung berichtet: In New York werden Häuser mit Dampfleitungen geheizt. "Anfangs hat man aber angenommen, dass das nur über wenige Hundert Meter realisierbar ist", erzählt Claus Mißbach, der ein Buch über die Dresdener Strom- und Wärmegeschichte geschrieben hat. Den pensionierten Wärmetechniker beeindruckt die Komplexität der Technik, die in Dresden zu der damaligen Zeit genutzt wurde:
Hier in Dresden ist man erstmals den Weg gegangen, Dampf 1.000 bis 1.200 Meter zu transportieren. Das ist im europäischen Maßstab die erste komplexe Fernwärme-Lösung.
Was ist Fernwärme?
Fernwärme ist keine Erfindung der Neuzeit: Bereits die Römer transportierten heißes Wasser durch Rohre zu Gebäuden, um sie damit zu heizen. Anfang des 19. Jahrhunderts kam die Fernwärme auch in Europa an und Dresden entwickelte sich zum Vorreiter der umweltfreundlichen Technologie. Fernwärme bedeutet, dass die Wärme über Rohrleitungsnetze von Heizkraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung über "Verteilstationen" in unterschiedliche Haushalte geliefert wird.
Kein Geld für Innovation: Große Pläne scheitern
Die Dresdener denken groß und zukunftsweisend: Das Kraftwerk soll nicht nur Hofkirche, Schloss, Zwinger, Hoftheater, Albertinum, Kunstakademie, Ständehaus und Polizeipräsidium heizen, sondern auch erleuchten. Der Dresdener Oberbaurat Julius Temper schlägt vor, "mit dem Fernheizkraftwerk ein gemeinsames Elektrizitätswerk zu verbinden." Schließlich brauche man die Wärme vor allem am Morgen, wenn die Räume kalt sind, "während der größte Lichtverbrauch in den Abendstunden eintritt, dass man also im vorliegenden Falle eine Dampfkesselanlage [...] doppelt ausnutzen kann." Eine Art Kraft-Wärme-Kopplung, doch damals kannte niemand den Begriff. Tempers Pläne stoßen auf Widerstand: Die Landtagsabgeordneten wollen kein Geld für den Bau zur Verfügung stellen.
Der Hof muss nachbessern und argumentiert im nächsten Anlauf nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch. Tausend Öfen und Kamine könnte man im Schloss, Zwinger und Albertinum einsparen. Die Rauch- und Rußbelastung würde damit sinken, ebenso die Brandgefahr. 1898 lassen sich die Abgeordneten umstimmen und bewilligen dem Hof drei Millionen Mark für den Bau eines Fernheizkraftwerkes.
1898: Anstoß für das erste Fernwärmekraftwerk
1895 besuchte König Albert die Morgenmesse. Dabei war ihm so kalt, dass er sich beheizte Räume wünschte. Doch der Sächsischen Landtag lehnte den ersten Antrag ab und es vergingen fünf weitere Jahre, bis die neuartige Wärmeversorgung in Dresden in Betrieb genommen werden konnte.
Altstadtpanorama und ein "malerisches" Kraftwerk
Nur wohin damit, ohne den berühmten Canaletto-Blick zu stören? Die Rettung kommt von den Dresdener Künstlern: Sie haben kein Geld, um ein Grundstück mit einem Künstlerhaus zu bebauen, welches ihnen von König Johann 1861 geschenkt wurde. Der Hof kauft das Grundstück am Theaterplatz wieder zurück. Die Architekten William Lossow und Hermann Vieweger entwerfen einen Bau im Stil der Neorenaissance, der in nichts an ein Kraftwerk erinnert. "Es ist ein Gebäude, das sehr abwechslungsreich ist, sehr bewegt, sehr malerisch, wenn man so will", schwärmt Kunsthistorikerin Claudia Quiring, Kustodin für Baugeschichte am Stadtmuseum Dresden, über die Bauweise des Kraftwerkes. Mit seinen verspielten vier- und achteckigen Türmchen mit Krönchen obendrauf und den Ziergiebeln gleicht das Kraftwerk eher einem Märchenschloss als einer Fabrik.
Es ist im Prinzip eine große Querhalle, die gekreuzt wird und dann in der Mitte am Kreuzungspunkt diesen riesigen Turm nochmal aufbaut, fast unerwartet. Aber irgendwo muss dann natürlich der Schornstein auch hin.
Besonders gelungen ist die Gestaltung des Schornsteins. Die Bilder zeigen einen 60 Meter hohen Turm, der sich aus der Mitte des Gebäudes erhebt. Treppen winden sich aus der Außenfront hoch bis zu einer Aussichtsplattform. Gekrönt wird der Turm von einer eisernen Laterne. Eleganter ist ein Rauchabzug wohl nie versteckt worden. Und noch etwas wird perfekt getarnt: die Dampfleitungen zu Albertinum, Ständehaus, Hofkirche und Schloss. Die Rohre und auch die Elektroleitungen sind in einem unterirdischen Kanal unter der Brühlschen Terrasse verlegt. Noch heute liegen dort die Fernwärmerohre für die Dresdener Innenstadt.
1899: William Lossow und Herman Viehwegger gewinnen Architekturwettbewerb um Kraftwerk
Die renommierten Dresdener Architekten William Lossow und Hermann Viehweger gewinnen den Wettbewerb um die Gestaltung des Fernwärmekraftwerkes und beginnen 1899 mit dem Bau. Im Dezember 1900 wird die drei Millionen Mark teure Anlage in Betrieb genommen. Um sich an der Silhouette der Stadt und dem "Canaletto-Blick" zu orientieren, erhält das Fernwärmekraftwerk eine Fassade aus Elbsandstein. Der Schornstein wird so gebaut, dass er auch als Aussichtsturm genutzt werden kann.
Fernwärmekraftwerk: Rasches Ende trotz moderner Technik
Unter der altertümlichen Hülle des Kraftwerkes verbirgt sich modernste Technik. In zehn, später 13 Kesseln wird 200 Grad heißer Dampf erzeugt. "Dampf hat einen großen Vorteil", erklärt Diplomingenieur Bernd Lehmann, der jahrzehntelang dafür sorgte, dass den Dresdenern nicht kalt wurde. "Dampf bewegt sich von allein fort, der kriecht dahin, wo er gebraucht wird." - In die Hofkirche beispielsweise, in der die königliche Familie seit 1900 nicht mehr frieren muss.
Doch das Ende des ersten europäischen Fernheizkraftwerkes kommt überraschend schnell. Statt Dampf erweist sich Heißwasser als ökonomischere Alternative der Fernwärme. Bereits Mitte der 1930er-Jahre wird der Turm des Kraftwerkes abgetragen. Damit ist das Kraftwerk bloß noch eine Verteilstation für Fernwärme. 1978 muss es vollständig einem Anbau der Semperoper weichen. Noch heute liegen Rohre in dem historischen Kanal unter der Brühlschen Terrasse, der 2012 umfassen saniert wurde. Das Rohrnetz versorgt Hofkirche, Oper, aber auch viele andere Gebäude der Innenstadt mit Wärme.