Nullserie am 7.11.1957 Vom Politbüro ausgebremst: Warum der Trabi nie modernisiert wurde
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07. November 2022, 13:40 Uhr
Der Trabant galt als Sinnbild der Rückständigkeit der DDR – das verät auch der wenig schmeichelhafte Spitzname "Rennpappe". Doch das ist den Autokonstrukteuren aus Zwickau und Eisenach nicht anzulasten. Schuld hatte das Politbüro der SED, das eine Modernisierung des "Trabi" aus finanziellen Gründen ablehnte. Heute wird übrigens wieder über ein Auto "aus Pappe" nachgedacht: Citroën überlegt, so ein billiges E-Auto für alle schaffen. Die Nullserie des DDR-Vorbilds lief vor 65 Jahren vom Band.
Die Zwickauer Ingenieure entwickelten den Trabant nach dem Start 1957 fast jährlich weiter, von der Baureihe P 50 bis zum Typ P 60. Es blieb allerdings bei kleinen Veränderungen. Parallel dazu entwarfen sie aber bereits ein ganz neues Fahrzeug. Nicht mehr mit den markanten abgerundeten Formen, sondern mit einer etwas schnittigeren Karosserie samt angedeuteten Heckflügeln. Dieses Modell kam 1964 als Trabant 601 auf den Markt. Die Konstrukteure waren davon ausgegangen, dass es etwa fünf Jahre verkauft werden könnte, bevor wieder etwas Neues angeboten werden müsse – so war es auf dem internationalen Automarkt gang und gäbe.
Trabant-Prototyp P 603
Diese Überlegungen waren auch der DDR-Regierung bekannt und wurden zunächst akzeptiert. Am 30. Dezember 1966 erhielten die Ingenieure um Chefkonstrukteur Werner Lang den Auftrag, ein neues Trabant-Modell zu entwickeln. Sie bauten einen Prototyp unter der Bezeichnung P 603 in neun Ausfertigungen mit verschiedenen Motoren, darunter auch einem Viertakter von Škoda. Die Testfahrten rund um Zwickau verliefen erfolgversprechend. Bei dem neuen Trabant handelte es sich um ein dreitüriges Modell mit Vollheck, das es so damals auf dem europäischen Automarkt noch nicht gab. Schon das Äußere erinnerte in keinem Detail an den Trabant 601.
Günter Mittag stoppt Trabi-Modernisierung
Ob Prototypen in die Serienfertigung gehen konnten, hing in der DDR allerdings immer von einer Regierungsentscheidung bzw. vom Politbüro der SED ab. Günter Mittag, im Politbüro für Wirtschaftsfragen verantwortlich, legte dem Führungsgremium der Partei alle größeren Investitionsentscheidungen vor. Die Kosten für die Serienproduktion des neuen Trabant P 603 wurden auf 7,7 Milliarden DDR-Mark veranschlagt. Eine entsprechende Vorlage wurde im Ministerrat eingereicht. Dann ging der Antrag auch ins Politbüro der SED. Günter Mittag entschied sich gegen das Projekt, ließ im November 1968 nächtens in Zwickau anrufen und den sofortigen Entwicklungsstopp anordnen. Alle Prototypen sollten vernichtet, die Konstruktionsunterlagen an Berlin abgegeben werden.
Eine Begründung für diese Entscheidung des Politbüros und die Motivation von Günter Mittag wurde nicht bekannt. Chefkonstrukteur Werner Lang vermutete später in einem MDR-Fernsehinterview: "Er war der Meinung, dass der Trabant in seiner damaligen Ausführung für die Bevölkerung ausreichend war. Wir Entwicklungsleute waren anderer Meinung, aber leider konnten wir uns nicht durchsetzen." Lang ließ es nicht bei stillem Protest, sondern widersprach offiziell. Daraufhin wurde er für zwei Jahre nach Ludwigsfelde in einen anderen Betrieb strafversetzt.
Diese Verweigerungshaltung des Politbüros war kein Einzelfall, sondern hatte Methode, wie Lang während seiner ganzen Tätigkeit bei Sachsenring Zwickau bis zum Ende des Trabant 1990 immer wieder erlebte. "Wir haben viele Entwicklungen im Werk vorbereitet. Allein 16 Fahrzeuge wurden entwickelt, aber leider kam nicht ein einziges Fahrzeug davon in die Produktion." Gleiche Erfahrungen machten die Konstrukteure in Eisenach. Sie konnten nach dem Wartburg 353, der 1966 in Serie gegangen war, bei der Regierung und dem SED-Politbüro keine Neuentwicklung mehr durchsetzen. Selbst die Serienfertigung eines bereits entwickelten modernen Viertaktmotors mit 82 PS Leistung wurde 1972 von Günter Mittag unterbunden.
Nur noch kleine Verbesserungen am Trabi
Statt die heimische Autoindustrie fortzuentwickeln, setzte die SED ab 1970 im Rahmen des RGW auf eine Kooperation mit der Tschechoslowakei beim Bau eines gemeinsamen Autos. Man glaubte, dies würde die hohen Entwicklungskosten halbieren. Aber selbst das wurde der DDR schließlich noch zu teuer und sie stoppte 1973 die Zusammenarbeit. Die Weiterentwicklungen beim Trabant und beim Wartburg beschränkten sich fortan auf kleinere Verbesserungen, die aber werbewirksam als große Neuerungen angepriesen wurden. Hier gab es mal ein neues Lenkrad, da verbesserte Rollgurte. Ein großer Wurf waren diese Mini-Änderungen auf keinen Fall.
1979: Trabant für immer
Einen letzten Versuch, doch noch mit geringem Mitteleinsatz und weitgehend vorhandenem Maschinenpark ein Nachfolgemodell für den Trabant 601 zu entwickeln, unternahmen die Zwickauer Ingenieure Mitte der 1970er-Jahre. Die Entscheidung traf allerdings wieder das SED-Politbüro. Es beschloss dann in der Sitzung vom 6. November 1979 faktisch das Aus für die Automobilentwicklung in der DDR. Auf Vorschlag des zuständigen Berichterstatters Günter Kleiber entschied das Gremium: Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Bereich des PKW-Baus werden eingestellt.
Über die Stimmung im Politbüro sagte Kleiber später in einem Fernsehinterview: "Es gab Äußerungen: 'Der Trabant ist doch beliebt, es gibt viele Bestellungen!'" Er verteidigte die Entscheidung noch im Nachhinein: "Diese Investitionen hätten eine Summe von elf Milliarden Mark für die Volkswirtschaft der DDR ausgemacht. Diese Investitionen waren im angedachten Zeitraum nicht zu realisieren, wenn man nicht rigorose Einschnitte in anderen Bereichen gemacht hätte."
So blieb es dabei: Der Trabant sollte rollen und rollen und rollen. Ingenieure hatten errechnet, dass man etwa alle sieben Jahre kritische Blechteile austauschen müsse. Das könne man etwa dreimal tun. So kam man auf eine errechnete Lebenszeit des Trabant von 28,5 Jahren. Es bedeutete aber auch, dass die Fertigung von Ersatzteilen immer wichtiger wurde. In den 1980er-Jahren lag der Anteil der Ersatzteilfertigung an der Gesamtproduktion bei Sachsenring Zwickau bereits bei 30 Prozent.
Trabi: Sinnbild der Rückständigkeit
Günter Mittag fädelte schließlich einen Deal mit Volkswagen ein, wonach im Motorenwerk Karl Marx-Stadt ab 1988 VW Polo-Motoren in Lizenz für den Einbau in Trabant und Wartburg gefertigt werden sollten. Aber nach dem Mauerfall 1989 konnten die DDR-Bürger ungehindert Westautos kaufen. Trabant und Wartburg hatten trotz neuer Motoren in den völlig überalterten Modellen keine Chance mehr auf dem Automarkt. Die zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung durchaus modernen Fahrzeuge waren zum Sinnbild der Rückständigkeit der DDR geworden – doch daran waren nicht die Konstrukteure, sondern die politische Führung des Landes schuld. Oder wie es Schriftsteller Thomas Brussig formulierte: "Der Trabant ist die Auto gewordene Verachtung der DDR-Obrigkeit gegenüber dem DDR-Volk".
Auto aus Pappe: Bald wieder in?
Der Umstand, dass die Trabant-Karosserie aus Pappe war, lieferte seinerzeit den Anlass zu zahllosen Witzen. Doch bald könnten Autos aus Pappe vielleicht wieder salonfähig werden. Es wäre zumindest eine der Lösungen sein, wenn man ein bezahlbares E-Auto für alle bauen will, belegt ein Versuch von Citroën. Allerdings müssten sich die Kunden dann in Bescheidenheit üben – entgegen dem allgemeinen Trend auf dem Automarkt.
Seit Jahren werden die Autos größer – das ist augenfällig, wenn man das erste Modell von VW Golf mit seinem heutigen Pendant vergleicht. Der durchschnittliche Neuwagen in Deutschland ist momentan 4,60 Meter lang, hat 159 PS, wiegt 1,7 Tonnen und kostet 37.800 Euro, berichtet "Spiegel Online". Bei E-Autos schlägt dieser Trend besonders negativ zubuche. Denn größere E-Autos brauchen größere Batterien. Größere Batterien bedeuten aber wiederum mehr Gewicht und einen höheren Preis – ein Teufelskreis, aus dem man ausbrechen kann, wenn man die Karosserie deutlich leichter macht – aus Pappe.
So stellte Citroën die Studie für ein Modell namens "All-E" vor. Vier Plätze, 400 Kilometer Reichweite und ein Preis bis 25.000 Euro, lauteten die Vorgaben dafür. Um das zu erreichen, sind viele Karosserieelemente, ähnlich wie beim Trabi, aus Pappe – außen lackiert und innen mit Waben verstärkt. Diese Pappe soll sich sogar – absolut nachhaltig – nach der letzten Fahrt zerkleinert kompostieren lassen! Die Kabine ist außerdem mit leichtem Schaumstoff ausgelegt, die Sitze und Konsolen aus luftigem Polyurethan aus dem 3D-Drucker gefertigt und ähnlich wie beim Trabant fehlt an Bord jeglicher Luxus und Hightech-Schnickschnack. Ob diese neue Schlichtheit die Käufer allerdings überzeugt? Angesichts des allgemeinen Trends und der um sich greifenden SUV-Sucht kann man da seine Zweifel haben.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 07. November 2022 | 06:40 Uhr