DDR-Prestigeobjekt Städte-Express war der schnellste Zug der DDR
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Das hatten DDR-Reisende noch nie gesehen: einen auffälligen Bahn-Flitzer in elfenbein-orange. Der nagelneue "Städte-Express" hatte immer Vorfahrt und war der schnellste Zug in die Hauptstadt - eine Art ICE-Sprinter. 1976 startete die DDR-Regierung eine Non-Stop-Verbindung mit Vorfahrt nach Berlin.
Die große weite Welt im kleinen Osten: Als der Städte-Express anrollte, war das schon etwas ganz besonderes: Schon farblich stach der Schnellzug hervor. "Statt dem schmutzigen Grün der normalen Züge und der Tristesse der mitteldeutschen Landschaft, stand da auf einmal ein modernes Fahrzeug in elfenbein-orange auf den Gleisen", erinnert sich Lutz-Steffen Hering an seine erste Begegnung mit dem DDR-Schmuckstück. Er arbeitet seit mehr als 40 Jahren bei der Bahn und erzählt mit Begeisterung von dem damaligen DDR-Prestigeobjekt.
Das ist wie eine hübsche Frau in einem grauen Hinterhof.
Als erster in Berlin: der "Rennsteig"-Express
Das erste Mal fuhr Hering, damals noch als 20-jähriger Student der Verkehrshochschule Dresden, kurz nach der Einführung im Winter 1976 mit dem Städte-Express "Rennsteig" von Meiningen nach Berlin-Lichtenberg.
Wenige Wochen zuvor war eben jener "Rennsteig"-Schnellzug der erste Städte-Express, der am 25. Oktober 1976 aus Meiningen, über Suhl, Erfurt und Halle in Ost-Berlin einfuhr. Angetrieben wurde er von einer sowjetischen Diesellok der Baureihe 132 mit 3.000 PS.
Die neuen Schnellzüge der Deutschen Reichsbahn pendelten von Montag bis Freitag immer morgens und abends zwischen den wichtigsten DDR-Bezirksstädten und der Hauptstadt. Benannt wurden sie nicht etwa nach Helden des Sozialismus, sondern in Anlehnung an die Startbahnhöfe und Bezirke, wie "Elbflorenz" aus Dresden, "Sachsenring" aus Zwickau oder "Börde" aus Magdeburg. Insgesamt fuhren mit dem neuen Winterfahrplan 1976/77 sieben Züge nach Berlin-Lichtenberg und wieder zurück. Da vor allem viele Geschäftsreisende und Funktionäre mit diesen Expresszügen unterwegs waren, bekamen sie im Volksmund schnell den Beinamen "Bonzenschleuder".
Einsteigen nur mit Expresszuschlag
Wer allerdings mit dem Expresszug fahren wollte, musste draufzahlen - wie auch bei Eil- und D-Zügen üblich. Während man im normalen Personenverkehr acht Pfenning pro Kilometer für eine Bahnfahrt zahlte, kam beim Ex - so die Abkürzung - Expresszuschlag oben drauf: für eine Fahrt in der zweiten Klasse hieß das fünf Mark mehr und in der Ersten neun Mark mehr. So habe der damalige Student Hering für die Express-Fahrt von Halle nach Berlin 18 Mark bezahlt, erinnert er sich.
Durch Zufall zum Vorzeige-Zug
Zu ihrem neuen Aushängeschild kam die DDR durch Zufall. Der VEB Waggonbau Bautzen baute damals Reisewagen für die Tschechoslowakei. Die konnte jedoch 1976 die gebaute Serie des Typs Y/B 70 nicht abnehmen. Der Grund: Finanzierungsprobleme. Damit bekam die Deutsche Reichsbahn plötzlich 103 fabrikneue Personenwagen. Die lackierte man auffällig und los ging's - eine glückliche Fügung, die damals auch dringend notwendig war.
Denn der Städteschnellverkehr, der Anfang der 60er-Jahre eingerichtet wurde, kam an seine Grenzen. Die DDR brauchte mehr Wagen. Nicht zuletzt galt es auch, dem Intercity-System der Bundesbahn etwas entgegenzustellen und Ost-Berlin in den Mittelpunkt zu rücken, so Lutz-Steffen Hering. In diesen politischen Rahmen passt es auch, dass "ein Großteil der Züge als sogenannte FDJ-Jugendobjekte fuhren. Neben älteren, erfahrenen Vorgesetzten, war die Mehrheit des Begleitpersonals recht jung. Es wurde ja gerade versucht, die FDJ-Jugend mit Progressivem in Verbindung zu bringen. Das hatte auch etwas mit dem DDR-Selbstverständnis zu tun", erklärt Hering.
Ein Hauch von Luxus in der DDR
Mit dem Städte-Express wollte die DDR nun punkten. Und tatsächlich, neben der knalligen Farbe außen, gab es einige Vorzüge: Mit dem Express-Zug reiste man bequem und sparte Zeit. Zwar fuhr er genau so schnell wie ein D-Zug, nämlich 120 Kilometer pro Stunde, hielt jedoch weniger oft und konnte so längere Strecken mit Höchstgeschwindigkeit fahren. Außerdem hatte der Express immer Vorfahrt - selbst vor dem Güterverkehr. Somit kam man in der Regel pünktlich ans Ziel.
Das war das Beste, was die DDR auf Eisenbahngleisen zu bieten hatte.
Auch in Sachen Komfort konnte der Ex punkten. So gab es erstmals selbstschließende Türen. Außerdem waren die Wagen der ersten Klasse mit gepolsterten Stoffsitzen sowie Teppichboden ausgestattet. In der zweiten Klasse wurden die Sitze mit dunkelrotem Kunstleder verarbeitet. Die Verkleidung war insgesamt in warmen Tönen gehalten, was "schon alles etwas schicker aussah, als die Grautöne im D-Zug", erinnert sich Hering. Zudem gab es keine Großraumwagen, sondern durchweg Abteile mit Sitzen für sechs Personen. Das versprach nicht nur mehr Beinfreiheit, sondern auch etwas mehr Privatsphäre und Ruhe - nicht zuletzt, weil der Express auch insgesamt ruhiger auf den Schienen lag. Allerdings erhöhte man Mitte der 80er-Jahre die Bestuhlung auf acht Sitze, weil die Nachfrage stieg. Außerdem wurde ab 1979 der Express-Fuhrpark aufgestockt und das Angebot nach Dresden, Leipzig, Halle und Erfurt erweitert. Der letzte Ex-Zug "Thomaner" bestritt mit der Wende zugleich als erster IC seine Jungfernfahrt am 27.05.1990 ab Leipzig.
Der Express auf West-Niveau
Auch technisch, so ist sich Bahn-Mitarbeiter Hering sicher, konnte der Städte-Express mit den ICs der Bundesbahn mithalten: Mit ein paar Komponenten mehr, hätte er durchaus 200 Kilometer pro Stunde fahren können. Doch das wäre schon aufgrund des mangelhaften Gleisbetts und der fehlenden Signaltechnik für die DDR zu teuer gewesen, so Hering. Was den DDR-Expresszug dennoch vom Intercity der Bundesbahn unterschied, das weiß er noch heute: "Am Geruch konnte man die DDR-Züge eindeutig unterscheiden. Das lag wahrscheinlich am Desinfektionsmittel und den verbauten Werkstoffen."
Mangel? Nicht im Express
Auch das war besonders: Nicht nur der Boden war jeden Morgen frisch gebohnert, sondern auch die Speisewagen stets gut gefüllt: "Da gab es durchaus Radeberger Bier, das man nicht immer im Laden bekam", so Hering. Während es im D-Zug schon mal vorkommen konnte, dass etwas ausverkauft war, sah das im Städte-Express anders aus. Das ging jedoch nicht immer gut. So schreibt Fachbuch-Autor Erich Preuß in "Der Städte-Express der Deutschen Reichsbahn" von häufigen Trinkgelagen in den Ex-Speisewagen, die irgendwann zur Folge hatten, dass es Bier erst nach neun gab.
Ein bisschen Nostalgie live
Mit der politischen Wende kam dann ziemlich schnell auch das Aus für den DDR-Städte-Express. Am 31. Mai 1991 fuhren die Ex-Züge zum letzten Mal. Mit der Einbindung in das IC-System der Bundesbahn brauchte man sie schlicht nicht mehr. Sie wurden dann verkauft oder teilweise unterklassig eingesetzt.
Wer heute noch einen originalen Städte-Express-Zug sehen will, der wird in Leipzig-Plagwitz fündig. Dort hat der Verein "Eisenbahnmuseum Bayerischer Bahnhof" einen Ex-Zug frisch lackieren lassen und und wieder betriebsfähig gemacht - die erste Fahrt fand im Sommer 2019 statt.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: MDR um 4 | 30. April 2020 | 16:00 Uhr