Ein Lokführer schaut aus dem Führerstand einer Dampflok.
Die Deutsche Reichsbahn wird 1920 in einer Zeit extremer Gegensätze gegründet: Zwischen Innovation, Zerstörung, wirtschaftlichen Aufschwung und Weltkrieg. Bildrechte: imago images / Eibner

Die Geschichte der Deutschen Reichsbahn "Rheingold", Judentransporte und "Bonzenschleuder": Die Deutsche Reichsbahn

01. April 2021, 05:00 Uhr

Es war der 1. April 1920, als Reichspräsident Friedrich Ebert und Verkehrsminister Johannes Bell in der Hauptstadt Berlin den "Staatsvertrag zur Gründung der Deutschen Reichseisenbahnen" unterschrieben. Seitdem trug die Deutsche Reichsbahn zur Einheit der Weimarer Republik bei, spielte eine unrühmliche Rolle bei der Vernichtung der europäischen Juden und war später größter Arbeitgeber der DDR.

Die sieben bis dahin von den Ländern betriebenen Eisenbahnen waren von diesem Tag an dem Deutschen Reich zugeordnet. Nur mit einer Bündelung der Bahnen, so glaubten die Politiker der jungen Weimarer Republik, könne die Zukunft der deutschen Eisenbahn in der von politischer und wirtschaftlicher Umbrüchen geprägten Nachkriegszeit gesichert werden.

Zweimal zum Mond und wieder zurück

Und der Plan ging tatsächlich auf. Denn nur wenige Jahre später war die Deutsche Reichsbahn das größte Unternehmen der Welt mit mehr als einer Million Beschäftigten. Sie galt als der größte Vermögensschatz des Deutschen Reiches. Das deutsche Transportunternehmen besaß das weltweit dichteste Schienennetz, auf dem die Züge tagtäglich eine ungeheure Strecke zurücklegten – so weit wie zweimal zum Mond und zurück. Und es entstanden in den 1920er-Jahren weitere neue Bahnstrecken, wie 1927 der berühmte Hindenburgdamm, der die Insel Sylt mit dem Festland von Schleswig-Holstein verband.

Salonwagen und "beschleunigter Personenzug"

Rheingold Luxuszug
Luxuszug "Rheingold" Bildrechte: Colourbox.de

Die Deutsche Reichsbahn setzte höchst unterschiedliche Züge auf ihrem Streckennetz ein. Wer viel Zeit, aber nur wenig Geld hatte, reiste zum Beispiel in schäbigen Waggons aus der Vorkriegszeit. Zwanzig Stunden benötigte der "beschleunigte Personenzug" von Berlin nach München. Aber diese gemächlichen Bahnfahrten waren sehr billig und daher äußerst beliebt. Es verkehrte aber auch der "Rheingold"-Zug, in dem betuchte Bürger in luxuriösen Salonwagen die Fahrt mit der Eisenbahn bei Kaviar und Sekt genossen.

Ende der 1920er-Jahre bekam die Bahn dann Konkurrenz – vom Flugzeug und dem Auto. Dennoch konnte sie ihre Vormachtstellung im Personenverkehr noch mühelos behaupten. Noch größere Gewinne erwirtschaftete die Deutsche Reichsbahn jedoch mit dem Güterverkehr. Dennoch musste das gigantische und sehr profitable Unternehmen stets hart um sein Überleben kämpfen: Bis 1932 musste es nämlich Jahr für Jahr 660 Millionen Reichsmark an Reparationen für die Sieger des Ersten Weltkriegs erwirtschaften.

Lokomotive und Eisenbahnwaggons. 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Reichsbahn im Holocaust: "Sonderzüge in den Tod"

Anfang 1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Die Chefs der Deutschen Reichsbahn schrieben Adolf Hitler, er könne "mit der bereitwilligen Mitarbeit der Deutschen Reichsbahn rechnen". Wie bereitwillig, zeigte sich schon einige Jahre später. Denn die Deutsche Reichsbahn spielte von 1941 tatsächlich eine essentielle Rolle bei der Vernichtung der europäischen Juden.

Schätzungen zufolge wurden mehr als drei Millionen Juden aus ganz Europa mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in die Vernichtungslager verbracht. Der Transport erfolgte zunächst in Personen- oder Güterwagen, später aber auch in Viehwaggons. Vier Reichspfennige pro Kopf und Bahnkilometer berechnete die Reichsbahn, die auch für die Erstellung der Fahrpläne zuständig war, ihrem "Großkunden", SS-Chef Heinrich Himmler. Für die deutsche Eisenbahn waren die "Sonderzüge in den Tod" ein äußerst lukratives Geschäft. Die Züge mussten einerseits weite Fahrtwege zurücklegen – 560 Kilometer Entfernung liegen etwa zwischen Auschwitz und Berlin – andererseits waren bis zu 2.000 Menschen in einem Zug zusammengepfercht.

Die Logistik der Deutschen Reichsbahn war überdies aber auch für die Angriffskriege der Wehrmacht von enormer Bedeutung. So gilt etwa die Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion als größter "Eisenbahnaufmarsch" der Geschichte.

Die Deutsche Reichsbahn rollt in der DDR weiter

Die Deutsche Reichsbahn rollte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unverdrossen im Osten Deutschlands weiter. Der alte Name wurde von den neuen Machthabern beibehalten - unter anderem um Betriebsrechte in West-Berlin zu erhalten. Allerdings war der Neustart ausgesprochen schwierig, denn viele Brücken, Bahnhöfe und Gleisanlagen waren zerstört oder beschädigt. Hinzu kam, dass die sowjetische Besatzungsmacht ganze Bahnstrecken demontierte und als Reparationsleistungen in die UdSSR abtransportierte.

So wurde mit Ausnahme der Magistrale Frankfurt-Berlin-Leipzig-Erfurt auf allen zweigleisigen Strecken im Osten Deutschlands ein Gleis abgebaut. Die Wiederherstellung der zweiten Gleise zog sich auch auf den Hauptstrecken über Jahrzehnte hin und wurde doch nicht mehr komplett erreicht. Die Deutsche Reichsbahn avancierte im Lauf der Jahre dennoch zu einem mächtigen und unverzichtbaren Unternehmen in der sozialistischen Republik. Sie war das größte Unternehmen in der DDR – über 240.000 Menschen waren bei der Reichsbahn beschäftigt. Über Generationen hinweg war sie für viele Familien im Osten der wichtigste Arbeitgeber.

Meistgenutztes Verkehrsmittel

Von Anfang an war die Deutsche Reichsbahn das beliebteste und meistgenutzte Verkehrsmittel in der DDR, was sicherlich auch dem Umstand geschuldet war, dass die Autoproduktion weit hinter der Nachfrage zurückblieb. Im Personenverkehr hatte die Deutsche Reichsbahn in den 1980er-Jahren einen Marktanteil von über 40 Prozent. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn in der Bundesrepublik erreichte durchschnittlich nur einen Marktanteil von weit unter zwanzig Prozent.

Fahren mit der Reichsbahn: Ungemütlich, aber preiswert

Besonders vergnüglich war das Reisen mit dem DDR-Verkehrsunternehmen jedoch kaum. Übermäßigen Komfort gab es nicht, ein geöffnetes "Mitropa"-Restaurant galt schon als kleine Sensation. Die Abteile waren oft überheizt oder aber zu kalt, die Toiletten in dürftigem Zustand. Und besonders hurtig waren die Züge auch nicht unterwegs. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 120 km/h. Allerdings gab es kaum Strecken, auf denen mit Höchstgeschwindigkeit gefahren werden konnte. Zudem waren allerorten sogenannte "Langsamfahrstrecken" ausgewiesen, auf denen die Züge wegen diverser grober Mängel im Gleisbett, desolater Schienen oder maroder Brücken nur 50 km/h fahren durften. Oft musste auch lange Minuten auf Gegenzüge gewartet werden, weil ein zweites Gleis fehlte. Ansonsten schaukelten die Waggons auf den alten, ausgefahrenen Gleisen heftig hin und her.

Die Mangelwirtschaft der DDR machte eben auch vor der mächtigen Reichsbahn nicht Halt: Lokomotiven, Waggons und Bahnhöfen boten oft ein betrübliches Bild. Und auch die Pünktlichkeit ließ, besonders in den 1980er-Jahren, sehr zu wünschen übrig. Dafür kostete Bahnfahren im Osten fast nichts. Die Fahrpreise lagen vier Jahrzehnte lang konstant bei acht Pfennig pro Kilometer für die zweite und elf für die erste Klasse. Überdies gab es etliche Ermäßigungen für Studenten, Lehrlinge und die vielen Soldaten der NVA.

Städteexpress oder "Bonzenschleuder"

Eine schillernde Ausnahme im eher trostlosen Alltagsbetrieb der Deutschen Reichsbahn bildeten ab Mitte der 1970er-Jahre die Städteexpress-Züge, die allmorgendlich aus den meisten Bezirksstädten in die Hauptstadt Berlin fuhren und abends wieder zurück. Im Volksmund wurde der Städteexpress auch "Bonzenschleuder" genannt, weil überdurchschnittlich viele SED-Funktionäre und Betriebsdirektoren die für DDR-Verhältnisse luxuriösen Züge nutzten. Die Wagen der 2. Klasse besaßen Kunstlederbezüge, die Wagen der 1. Klasse waren sogar mit Teppichen ausgestattet. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit betrug auf der schnellsten Strecke (Berlin-Schwerin) immerhin 98 km/h, auf den anderen Strecken aber auch nur um die 70 km/h – nicht viel schneller als die gewöhnlichen Züge.

Speisewagen im Städteexpress von Berlin nach Erfurt über Halle/Saale (Rennsteig) auf dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg, 1981
Speisewagen im Städteexpress "Rennsteig" von Berlin nach Erfurt über Halle/Saale auf dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg, 1981 Bildrechte: Deutsche Bahn HS

Güter auf die Schiene

Eine wichtige Rolle kam der Deutschen Reichsbahn beim Gütertransport zu. In dieser Hinsicht war die DDR geradezu vorbildlich. Per Gesetz war geregelt, dass Güter auf die Schiene gehören, wenn sie mehr als 50 Kilometer transportiert werden müssen und Absender sowie Empfänger über einen Bahnanschluss verfügen. Diesen besaßen viele Betriebe in der DDR und so wurden weit mehr als 75 Prozent des Gütertransports in der DDR von der Deutschen Reichsbahn abgewickelt.

Vereinigung mit Hindernisssen

Dampflokomotive, Baureihe 52, Schnellzuglokomotive der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft
Dampflokomotive, Baureihe 52, Schnellzuglokomotive der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft Bildrechte: imago images / imagebroker

Anfang 1990 galt die Deutsche Reichsbahn als völlig veraltet und marode. Der Sanierungsbedarf des ostdeutschen Giganten wurde in der Bundesrepublik auf wenigstens 100 Milliarden D-Mark veranschlagt. Es rollten jetzt auch immer öfter halb leere Züge durchs Land - die DDR-Bürger waren auf das Auto umgestiegen. Und auch der Güterverkehr brach dramatisch ein. Nach der Währungsunion im Sommer 1990 verloren Tausende Reichsbahner ihre Arbeit. Als öffentlich wurde, dass weitere 60.000 Beschäftigte entlassen werden sollen, kam es im November 1990 zu einem Streik bei der Deutschen Reichsbahn. Der gesamte Personen- und Güterverkehr in den neuen Bundesländern wurde für Tage unterbrochen. So etwas hatte es noch nie gegeben – einen Streik bei der Deutschen Reichsbahn. Allerdings erreichten die Reichsbahner bei ihrem Arbeitgeber nur wenig: Keine Entlassungen bis Mitte 1991 und eine bescheidene Erhöhung ihrer Löhne.

Bei der Deutschen Bundesbahn sah es damals aber auch nicht eben rosig aus – auch sie war wie die Deutsche Reichsbahn über die Jahre auf Verschleiß gefahren worden. Wie dramatisch die Situation war, verdeutlicht ein Bericht der "Regierungskommission Bahn" 1991: Die Verluste der beiden Staatsbahnen könnten sich bis zum Jahr 2000 auf 266 Milliarden D-Mark summieren, hieß es. Beide Bahnen waren nach dem Expertenurteil weit überschuldet und handelsrechtlich eigentlich insolvent.

Neubeginn nach Fusionierung

Und auch nach der Deutschen Einheit fuhren beide Bahnen weiterhin tief im Minus. Die Verluste gingen in die Milliarden. Eigentlich keine guten Aussichten für eine Fusion der beiden deutschen Staatsbahnen. Am 1. Januar 1994 aber vereinigten sich Deutsche Reichsbahn und Deutsche Bundesbahn zur Deutsche Bahn AG, so wie es der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1990 vorgesehen hatte. In den folgenden Jahren wurden noch einmal über 100.000 Stellen gestrichen, vor allem im Osten. Es wurden aber auch Milliarden D-Mark investiert – in die Schaffung neuer Bahnverbindungen, in die Sanierung von Gleisen und Bahnhöfen und in neue, leistungsfähige Züge, vor allem auch im Osten.

Wegen der Beteiligung der Deutschen Reichsbahn an der Ermordung von über drei Millionen Juden ist übrigens kein einziger Mitarbeiter des Unternehmens weder in der DDR noch in der Bundesrepublik jemals zur Verantwortung gezogen worden. In der DDR war dieses Thema Tabu. Ein öffentlicher Diskurs über die Rolle der Deutschen Reichsbahn in der NS-Zeit wurde strikt vermieden.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Wem gehört der Osten? Die Bahn | 05. Februar 2021 | 01:20 Uhr

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