100 Jahre Schleizer Dreieck Kultige Rennstrecken des Ostens
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10. Juni 2023, 05:00 Uhr
Der erste Start auf dem Straßendreieck in Schleiz fand am 10. Juni 1923 statt. Die Herausforderung: Wer mit fünf Litern Kraftstoff die längste Strecke und höchste Geschwindigkeit erreicht, wird Sieger. Von Anfang an war das Schleizer Dreieck ein echter Publikumsmagnet. Später zählte es zu den wenigen Kultrennstrecken der DDR.
Die DDR war rennverrückt. Auf Naturrennstrecken, in Städten und auf Autobahnen kämpften Motorräder und Rennwagen um Meisterschaftspunkte. Bis zum Mauerbau 1961 waren darunter auch viele Fahrer aus der Bundesrepublik. Gewannen sie, so ärgerte das die Funktionäre des DDR-Rennsports, die daraufhin schlichtweg auf wirklich internationale Vergleiche verzichteten.
So galt die Abgrenzung gen Westen ab Anfang der Siebziger auch im Motorsport. Die Konstrukteure verließen sich nur noch auf die eigenen Entwicklungen. Eine Tüftlerszene auf extrem hohem Niveau beherrschte den DDR-Rennsport. Die Fans waren so treu, dass sie mangels Ferrari, Lotus oder Silberpfeilen sogar zu den Rennen der umgebauten Trabis in Scharen strömten. Bis Ende der Fünfzigerjahre gab es noch zahlreiche Rennstrecken in der ganzen Republik, dann reduzierte der DDR-Motorsportverband die für Rennen zugelassenen Strecken drastisch.
Das Schleizer Dreieck – die "gezähmte" Rennstrecke
Das Schleizer Dreieck ist eine Legende. Es ist die älteste Naturrennstrecke Deutschlands. Was im Juni 1923 als "Teststrecke für Brennstoffprüfungen" begann, enwickelte sich schnell zu einem Zentrum des DDR-Rennsports. Obwohl die Vorbereitungen zu ihrer Eröffnung ohne die Kenntnis der meisten Schleizer ablief und sie von dem Rennen erst einen Tag zuvor aus der Zeitung erfuhren, waren schon bei der Erstauflage alle Gasthöfe in der Umgebung ausgebucht. Zehn Autos und 15 Motorräder nahmen teil.
Danach stiegen die Besucherzahlen kontinuierlich. Bereits ein Jahr nach der Eröffnung versammelten sich in der ostthüringer Kleinstadt schon 10.000 Bewunderer des Rennsports. Bis heute kamen nach Angaben der Stadt Schleiz rund sechs Millionen Menschen, um zwischen Seng und Buchhübel Sternstunden des Motorsports zu erleben.
Dabei ist die ursprüngliche Rennstrecke nach heutigen Maßstäben definitiv als anspruchsvoll zu bezeichnen, gar als abenteuerlich. Von Kurvensicherung, einer geschlossene Asphaltdecke oder Federungen an den Maschinen fehlte jede Spur. Die Fahrer mussten auf dichte Bäume, tiefe Straßengräben und Zuschauermassen an den nur vier bis fünf Meter breiten Straßen achten.
Schon Ende der Zwanziger Jahre wurde damit begonnen, die Naturrennstrecke zu "zähmen" und Schritt für Schritt für die Rennsportler sicherer zu machen. Die größten Meilensteine sollten aber erst Jahrzehnte später folgen: Nach 1988 wurde die ursprünglich 7,63 km lange Rennstrecke mit 22 Kurven mehrfach verkürzt und entschärft. Mittlerweile hat sie eine Länge von 3,8 Kilometern mit insgesamt 14 Kurven.
Höhepunkte der Schleizer Rennsportgeschichte waren der Gesamtdeutsche Meisterschaftslauf 1950, der stolze 250.000 Besucher anlockte, sowie die zahlreichen Formel-3-Rennen in den Sechzigerjahren. Auch die internationalen Motorrad-Rennen und die Trabi-Meisterschaftsläufe sorgten für volle Zuschauertribünen.
Heute finden auf dem Schleizer Dreieck vor allem Motorrad-, Gespann- und Oldtimer-Rennen sowie das ADAC-Bergrennen statt. Als Saisonhöhepunkt gilt die Internationale Deutsche Motorradmeisterschaft (IDM). 2023 ist darüber hinaus ein besonderes Jahr für die Dreieckspiste. Die 100-Jahr-Feier im Juni zieht erneut tausende Motorsportbegeisterte in den Traditionsort Schleiz.
Die Jubiläumsfeier in Schleiz: 100 Jahre Schleizer Dreieck
Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums feiert die Stadt Schleiz vom 2. bis 18. Juni 2023 ihre Rennsporttradition. In den über zwei Festwochen sind eine Reihe an abwechslungsreichen Veranstaltungen geplant wie unter anderem Buchlesungen, Gesprächsrunden oder Oper-Air-Kinoabende, die die Besucher durch die Geschichte von Deutschlands ältester Naturrennstrecke führen. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildet die Ausstellung "Schleizer Dreieck 100", bei der rund 500 historischen Fahrzeuge aus den letzten 100 Jahren Rennsportgeschichte präsentiert werden.
Der Sachsenring – das Motorrad-Mekka
1927 wurde in Hohenstein-Ernstthal das erste große Rennen als Badberg-Viereck-Rennen ausgetragen. Von Anfang an wurde die 8,7 km lange Strecke zu einem echten Publikumsmagneten. Ab 1937 taucht sie in den Rennkalendern als "Sachsenring" auf. Unter diesem Namen erlangt die Rennstrecke unter Motorradfans echten Weltruhm. Giacomo Agostini, Mike Hailwood, Ernst Degner holten hier unvergessene Siege.
Als beim WM-Lauf 1971 der Westdeutsche Dieter Braun in der 250ccm-Klasse gewann, sangen viele Zuschauer die Nationalhymne der Bundesrepublik mit, was den anwesenden DDR-Sport-Funktionären bitter aufstieß. Die Konsequenz: Man verabschiedete sich aus dem Weltmeisterschaftszirkus und begrenzte sich ab 1973 auf Vergleiche mit den sozialistischen Bruderstaaten. In den Fahrerlagern feierten die Rennpiloten miteinander und auf der Strecke wurde dann erbittert gekämpft.
1990 wurde der Rennbetrieb, der noch durch Ortschaften führte, nach mehreren tödlichen Unfällen eingestellt. Seit 1998 finden wieder Motorrad-WM-Läufe auf der mittlerweile neu gebauten Strecke statt. Und wieder kommen Jahr für Jahr zu den WM-Wochenenden 200.000 Zuschauer.
Die Halle-Saale-Schleife – von der wachsenden Stadt verdrängt
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges widmete man sich auch in Sachsen-Anhalt dem Rennsport. Die Motorsportgemeinschaft MSG Halle wählte hierfür eine rund fünf Kilometer lange Schleifenstrecke westlich der Saale aus. Das erste Rennen am 25. Juni 1950 zog etwa 180.000 Zuschauer in die damalige Landeshauptstadt. Für knapp zwei Jahrzehnte zählte die Halle-Saale-Schleife zu den am intensivsten genutzen Rennstrecken der Region – von Motorrädern über Seitenwagen bis hin zu Renn- und Sportwagen war alles dabei.
Am 23. April 1967 wurde das vorerst letzte Formel-3-Rennen ausgetragen. Die Strecke wurde für den öffentlichen Verkehr im rasch wachsenden Halle-Neustadt benötigt. Die Rennsportleidenschaft ist allerdings auch hier nicht erloschen. 2010, zum 60. Jubiläum, fanden für ein paar Tage erneut Rennen statt und nach wie vor gibt es Bemühungen, die Halle-Saale-Schleife wieder für den Motorsport zu öffnen.
Das Leipziger Stadtparkrennen – die vergessene Rennstrecke
Zwischen 1951 und 1958 war auch die Messestadt im Rennfieber. Auf einem Innenstadtkurs "Rund ums Scheibenholz", also rund um die Pferderennbahn, jaulten die Motoren der Rennmaschinen.
Bis zu 200.000 Besucher säumten den 4,311 Kilometer langen Kurs, der zwischen 7,5 und 12 Meter breit war. Von der Start- und Zielgeraden in der Wundtstraße ging es durch den Park, die Anton-Bruckner-Allee, die Nonnenstraße, den Schleußiger Weg. Sport- und Rennwagen, Motorradfahrer, Seitenwagengespanne – durch Leipzig raste alles, was im DDR-Rennsport der Fünfziger Jahre Rang und Namen hatte. Willy Lehmann, einst Sieger auf der Leipziger Rennstrecke, schwärmte noch 2008 in der "Leipziger Volkszeitung": "Leipzig war eine sehr schöne Episode... Heute ist es ja kaum mehr vorstellbar, dass durch die Stadt Rennen stattfanden, bei denen die Fußraste an der Bordsteinkante schliff."
1958 kam das Aus für die Rennen "Rund ums Scheibenholz". Der DDR-Motorsportverband wollte sich auf wenige Rennstrecken konzentrieren. Und das waren dann nur noch der Sachsenring, das Schleizer Dreieck, die sogenannte "Halle-Saale-Schleife" und die Autobahnstrecken Bautzen, Dresden und Bernau.
Dieser Artikel wurde am 18. Juni 2009 erstmalig veröffentlicht und im Juni 2023 überarbeitet.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Thüringen Journal | 08. Mai 2023 | 19:00 Uhr