Mehr als Essen auf Rädern: Die Geschichte der Mitropa
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22. November 2021, 11:05 Uhr
Eine Aktien-Gesellschaft, die nach dem Krieg in der DDR weiterbestand, Millionenumsätze einfuhr, Touristen abzockte und tiefe Seufzer hervorrief - ach, die Mitropa. Als Konkurrenz zu einer französisch-belgischen Servicefirma gegründet, entwickelte sie sich in der DDR zu einem Großunternehmen mit tausenden Beschäftigten.
Der Erste Weltkrieg geht in sein drittes Jahr, um Bukarest wird gekämpft, an der Westfront zermürben sich französische und deutsche Truppen im Stellungskrieg. Da stößt es einigen auf, dass Schlaf- und Speisewagen in Zügen durch Deutschland, Österreich und Ungarn von einem französisch-belgischen Service-Unternehmen betreut werden. Die Eisenbahngesellschaften der drei Länder wollen das ändern: Sie tun sich zusammen und gründen 1916 die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft, damals MSG genannt. Als Mitropa sollte sie schließlich berühmt werden.
Schweizer Strecken und Schiffe werden versorgt
Mit der Gründung erhält die Mitropa für 30 Jahre, also bis 1946, das Monopol zum Betrieb der Strecken in Österreich, Ungarn und Deutschland. Sie nutzt Wagen, Personal und Ausstattung der Internationalen Schlafwagengesellschaft (ISG), die bis dato den Service-Bereich innerhalb Deutschlands abgedeckt hatte. Auch den Balkanzug, der zwei Mal in der Woche von Berlin nach Konstantinopel – dem heutigen Istanbul – unterwegs ist, übernimmt sie. Die ISG wehrt sich und bekommt nach dem Ersten Weltkrieg Recht. Seitdem bewirtschaftet die ISG alle Transitzüge, während die Mitropa in Deutschland und Österreich aktiv ist.
Die Mitropa sucht alternative Strecken, fährt bis in die Niederlande und übernimmt den Service für zwei Schweizer Züge. Sie probiert ganz neue Wege: So betreibt sie die Versorgung in der neu gegründeten Fluglinie Lufthansa, auch auf dem Wasser ist sie unterwegs – auf der Fähre zwischen Sassnitz und Trelleborg sowie auf den Schiffen der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft.
Mitropa sponsert Fußball-Wettbewerb
1928, zwölf Jahre nach ihrer Entstehung, wird das Erscheinungsbild des Unternehmens aufgefrischt. Der bekannte Gebrauchsgrafiker Karl Schulpig entwirft die kantige Schrift und ein Logo: ein rotes M, das über einem Rad steht. In der Originalfassung ragt über dem M ein Adlerkopf empor, doch der fällt nach dem Zweiten Weltkrieg weg. Passend dazu erhalten die Speisewagen ihren roten Anstrich. Außerdem sponsert die Firma den "Mitropapokal", den ersten europäischen Vereins-Wettbewerb im Fußball.
Auch im Luxuszug "Rheingold", den die damalige Deutsche Reichsbahn 1928 einführt, sorgt die Mitropa für Komfort: Zwischen zwei Wagons ist eine Küche eingebaut, serviert wird am Platz, wo die Gäste in bequemen Sesseln die Fahrt von Amsterdam ins schweizerische Basel verbringen. Elf Jahre lang ist das Aushängeschild an Service unterwegs, dann wird kriegsbedingt der Verkehr eingestellt.
Wie die Mitropa wächst
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Mitropa wie das Land zweigeteilt: In der Bundesrepublik geht aus ihr die Deutsche Schlafwagen- und Speisewagengesellschaft hervor, in der DDR bleiben Name, Logo und die Geschäftsform als Aktiengesellschaft erhalten. Hier entsteht die zweite Welle des Ruhms: 1949 eröffnet die Mitropa in Halle/Saale das erste Bahnhofsrestaurant, seit Mitte der 1950er-Jahre versorgt sie die Ausflugsschiffe in Berlin und Dresden sowie die Fähren der Ostsee. 1961 kommen die Autobahnraststätten hinzu.
Die Leipziger Mitropa bedient nebenher auch andere Geschäftsfelder - Dauerwelle und kosmetische Beratung. Doch das Hauptgeschäft der Mitropa in der Messestadt geht über den Tisch: täglich bis zu 30.000 Mahlzeiten, darunter auch Spezialiäten wie Chateau Briand.
Im Bahnhof Karl-Marx-Stadt geht die Mitropa sogar ganz neue Wege - mit einer Selbstbedienungsgaststätte, die von 06:30 Uhr früh bis Mitternacht offen war- gern besucht übrigens von jungen Leuten abends nach der Disco oder als Lokalität für Jugendweihe-Feiern und Brigade-Partys.
"Die Königin des Engpasses": Die Hackroulade
In hunderten Gaststätten, Kneipen und Kiosken, sechs Hotels, zehn Flughafenrestaurants und natürlich auf der Schiene machen 15.000 Mitarbeiter am Ende der DDR-Zeit einen jährlichen Umsatz von 1,5 Milliarden Mark. Doch das sind nur die offiziellen Zahlen. Denn die Mitropisten haben nebenher ihre eigene Rechnung aufgemacht: Tilo Köhler, früherer Mitropa-Kellner, erinnert sich noch lebhaft an die "Königin des Engpasses": "Die Hackroulade - alle Hackfleischgerichte waren ja schon der Ausdruck aus irgend etwas das beste zu machen.“ Er weiß auch noch, wie Braten, der für 30 Portionen reichen sollte, für 70 passend gemacht wurde - der erwirtschaftete Überschuss wanderte diskret ins Portemonnaie der Mitropa-Kollegen: "Und zum Schluss hat jeder hat seinen Anteil gekriegt."
Seit 2002 gibt es in Zügen keine Mitropa mehr
Dem guten Ruf hat das nicht geschadet – noch heute gehen Reisende manchmal in die "Mitropa", wenn sie im Zug essen wollen. Dabei wurde der Mitropa-Bereich der Bordgastronomie 2002 in eine Tochterfirma der Deutschen Bahn eingegliedert und verlor dabei auch seinen klangvollen Namen.