Tintenfische als Ersatz
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16. Dezember 2019, 11:59 Uhr
Die DDR besaß eine hoch industrialisierte Fischereiflotte und hatte ab 1980 ein Problem: Es gab nicht mehr genug Fisch. Eine Alternative war der Fang von Tintenfischen. Aber die wollte zu Hause keiner essen.
Der Mangel an Fisch war in den 1980er-Jahren selbst durch die gewieften und mit modernster Technik ausgerüsteten Ostseefischer nicht mehr zu kompensieren. Viel zu wenig Hering oder Dorsch verfing sich in den riesigen Schleppnetzen und konnte nach Saßnitz oder Rostock geschickt werden. Da fuhr nun eine der größten europäischen Fischereiflotten auf den Weltmeeren, eine Flotte, die den industriellen Fischfang wesentlich vorangebracht hatte, und die Fische machten sich rar.
Aber keiner wollte Tintenfisch essen
Da man die bekannten und bei der DDR-Bevölkerung beliebten Fischsorten immer weniger fangen konnte, wurde nach anderem gesucht, etwa nach Tintenfischen, denn die schwammen noch in Mengen durch die Weltmeere. Für den Tintenfischfang wurden die Schiffe umgebaut - sie bekamen Angelgestelle, von denen aus lange Leinen ins Wasser führten und Kraken anlockten. Als Lockmittel nahm man Licht und buntes Metall. Die Tintenfische ließen sich täuschen und wurden in Massen geangelt. Es gab aber ein Problem: Zwischen Saßnitz und Bad Elster wollte niemand Tintenfisch essen. Was aber tun mit Fischen, die man zu Hause nicht los wird? Es wurden ganz einfach anderswo Käufer gesucht.
Schiffe mit schwarzem Rumpf
Die Japaner waren die größten Abnehmer von Tintenfisch, und sie zahlten sofort und in bar. Mit dem Geld wurden Fischereilizenzen erworben - oder Fischsorten, die in der Heimat gegessen wurden. Aber auch am Mittelmeer aß man gern Tintenfisch. So tauschte man dort Tintenfische gegen Fischsorten, die in Saßnitz oder Rostock weiterverarbeitet werden konnten. Später fischten DDR-Trawler im Auftrag anderer Staaten in deren Hoheitsgewässern, teilweise wurden Teile der Fischfangflotte für längere Zeit verpachtet. Die Schiffe arbeiteten dann direkt für europäische oder afrikanische Firmen.
Die Spezialisierung auf einen Fisch, der schwarze Tinte verspritzt, hatte unter anderem zur Folge, dass die ehemals schönen hellgrauen Rümpfe der Fischereischiffe schwarz angestrichen wurden. Auf dem dunklen Untergrund fiel die schwarze Tinte der gefangenen Fische somit nicht weiter auf.
Regionale Küstenfischerei
Aber auch das Ausweichen auf den Tintenfisch half letzten Endes nicht. Eine der größten Fischfangflotten Europas war zu einem Sorgenkind geworden. Und der Staat, der sich dieses Sorgenkind hielt, geriet selbst aus der Bahn. So war das Ende der DDR gleichzeitig auch das Ende ihrer Fischereiindustrie. Ebenso plötzlich und für die Betroffenen unverständlich wurden von heute auf morgen Tausende Beschäftigte entlassen.
Von über 400 Fischereifahrzeugen, die damals mit Rostocker oder Saßnitzer Kennzeichen weltweit im Einsatz waren, sind nur noch ein paar Dutzend übrig. Die meisten wurden verkauft oder verschrottet, die Besatzung wurde von 5.000 auf 250 Mann reduziert. Wenig erinnert heute noch an den industriellen Fischfang auf allen Weltmeeren. Die Ostsee prägt heute wieder die regionale Küstenfischerei – ganz so wie vor der Gründung der DDR.
(Quelle: Andreas Biskupek, Olaf Jacobs: "DDR ahoi! Kleines Land auf großer Fahrt"; Mitteldeutscher Verlag Halle, 2010)
(Zuerst veröffentlicht am 15.04.2010 )
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: DDR ahoi! | 22.07.2019 | 22:00 Uhr