Porträt Ein Weltenbummler aus Wolfen
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21. Juni 2010, 11:51 Uhr
Horst Eilhardt wurde in den 60er-Jahren ORWO-Kundendienstbetreuer im Ausland - und so zu einer Spezies, die in der DDR eher selten anzutreffen war: Weltenbummler.
Es ist 1964, als die Filmfabrik Wolfen sich von der Marke Agfa lossagt und mit der Kreation ORWO - die Abkürzung steht für "Original Wolfen" - international durchstarten will. Doch wie soll man die frohe Kunde vom neuen Spitzenprodukt "Made in Wolfen" in die weite Welt jenseits der Mauer hinaustragen? Jetzt schlägt die Stunde von Horst Eilhardt. Der Wolfener Mitarbeiter wird Kundendienstbetreuer im Ausland.
Von Wolfen nach Ägypten
Schon 1958 kauft sich Horst Eilhardt seine erste Filmkamera, ist Mitglied des Wolfener Filmzirkels. Sein Leben dreht sich um die bewegten Bilder. Als man Anfang der 60e-Jahre an ihn herantritt, um ihn zum Außendienstler der renommierten Filmfabrik zu machen, geschieht das erst einmal aus einer Notwendigkeit heraus: Die Auswahl an Mitarbeitern, denen die Betriebsleitung vertraut, ist gering. Eilhardt genießt dieses seltene Vertrauen. "Die sagten: Den können wir laufen lassen, der tut nix. Der ist harmlos", erzählt Horst Eilhardt heute.
Und so kommt es, dass der junge Mann 1964 nach Ägypten reist - ORWO hat hier gerade eine Niederlassung eröffnet. Horst Eilhardt darf sogar seine Familie mitnehmen. Es beginnt ein Abenteuer, das drei Jahre dauern wird. "Es war wie 1001 Nacht", erinnert sich Eilhardt, "man erlebte ständig Überraschungen". Auch an die andere Mentalität muss sich der Wolfener erst gewöhnen: "Ich habe Leute in der Farbentwicklung eingewiesen und war ganz erstaunt, dass sie sich zu bestimmten Zeiten im Wässerungsbad die Füße wuschen und mich während der Entwicklung verließen, um zum Beten zu gehen - so dass ich alleine dastand. Darauf musste ich mich erst einstellen."
Schattenseiten des Kapitalismus
1969 dann darf Horst Eilhardt im Auftrag der Filmfabrik eine Amerika-Reise machen - nach New York. Zum ersten Mal präsentiert sich dort eine Firma aus dem Osten auf der damals größten Fotomesse der Welt. Vor Ort filmt Horst Eilhardt was er für die Schattenseiten des Kapitalismus hält: Armutsopfer in New York. Vielleicht auch wegen solcher Aufnahmen hat er zu Hause keinerlei Schwierigkeiten, ins westliche Ausland reisen zu dürfen.
Ich sah von vornherein auch die negativen Seiten des Landes, die die DDR-Bürger durch ihre Abgeschiedenheit vielleicht nicht sehen konnten. (...) Und ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, im Ausland zu bleiben.
Horst Eilhardt kehrt also immer wieder zurück nach Hause. Er bringt Bilder und Erfahrungen mit und versucht nach Kräften, die DDR-Marke ORWO international bekannt zu machen. Doch 1978 ist Schluss mit der Weltenbummlerei: Eilhardt wird in Wolfen Chef des Color-Labors. Dem Filmen bleibt er auch privat treu, hält das Leben seiner Familie mit der Kamera fest - natürlich auf ORWO-Material.
Ende einer erfüllten Zeit
Als 1990 das Aus für die Wolfener Filmfabrik kommt, ist es ein harter Schlag für Horst Eilhardt. Er sieht sein Lebenswerk verschwinden. "Es war ja für mich eine erfüllte Zeit gewesen", sagt er, "das war für mich alles." Doch er muss sich damit abfinden, dass es zu Ende geht. Als die ersten Gebäude auf dem Gelände der Filmfabrik abgerissen werden, andere Hallen leer stehen und verfallen, ist er erschüttert: "Vor allem habe ich bedauert, dass die Filmfabrik dermaßen 'geschliffen' wurde", sagt er mit Blick auf die letzten Tage des traditionsreichen Unternehmens. Doch er hat noch seine Filme - Beweise für seine großen Reisen im Auftrag der kleinen DDR. Sie sind sein persönlicher Schatz und ein Relikt aus der erfolgreichen ORWO-Zeit.