Internationaler Tag des Baumes Wie DDR-Schüler die Umwelt retten wollten
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26. April 2023, 10:04 Uhr
Vielerorts protestieren Jugendliche seit einigen Jahren für mehr Klimaschutz - ein Vorhaben, dass an die Anfänge der Öko-Bewegung in der DDR erinnert. Damals pflanzten Schüler 5.000 Bäume und Sträucher in Schwerin und fanden DDR-weit Nachahmer.
Vergiftete Seen, überdüngte Böden, massives Waldsterben. Und nun auch noch eine graue Betonwüste direkt vor ihren Augen. Jetzt mussten Nikolaus Voss und seine beiden Freunde Jörn Mothes und Olaf Naasner etwas tun. Um den Umweltsünden in der DDR etwas entgegenzusetzen, fassten die drei Schüler aus Schwerin 1978 einen Plan: Sie wollten Bäume pflanzen. Nikolaus Voss war bis 2021 Staatssekretär im Schweriner Ministerium Soziales, Integration und Gleichstellung. Damals war er 17 Jahre alt.
Wir waren wild entschlossen, etwas Konstruktives zu machen, um die Umweltsituation in der ehemaligen DDR zu verbessern.
Die Jugendlichen kannten sich aus der Schule und der evangelischen Jugendarbeit. Unter dem schützenden Dach der Kirche konnten sie frei über die Probleme im Land und ihre Ideen zum Schutz der Umwelt reden.
Ende der 1970er-Jahre: Erste Öko-Bewegungen in der DDR
Der "Tatort" der Aktivisten: Das neue Schweriner Plattenbaugebiet Großer Dreesch. Es bot Wohnraum für mehr als 60.000 Menschen. Was fehlte, waren Grünanlagen und Bäume, wie sich Nikolaus Voss erinnert. Er war der älteste von fünf Geschwistern, seine Mutter war Religionslehrerin, der Vater arbeitete als Denkmalpfleger. Die Familie wohnte im sogenannten Schlossgartenviertel, mit Blick auf die graue Plattenbausiedlung. Die sollte nun grün werden.
Doch dafür brauchten die Umweltschützer Bäume. Die waren damals jedoch alles andere als leicht zu beschaffen. Also mussten sich die drei einen staatlichen Partner suchen und konnten schließlich den VEB Grünanlagen Schwerin gewinnen. Partei und Stadt erlaubten das Baumpflanzprojekt. Denn damit hatte der Staat einen Fuß in der Aktion und ein Auge auf die jungen Grünen, so interpretiert es Voss heute.
An einem Wochenende im Herbst 1979 konnten sie endlich loslegen. Zusammen mit 50 anderen Jugendlichen aus verschiedenen Städten pflanzte Nikolaus Voss Bäume und Sträucher entlang einer Straßenbahnhaltestelle im Plattenbaugebiet. Bis zu 5.000 sollten es am Ende werden.
In den Winterferien folgte dann die Theorie. Die Jugendlichen tauschten sich über Umweltverschmutzung, den Uranabbau der Wismut oder das Waldsterben im Erzgebirge aus und diskutierten Lösungsansätze. Dieses "Winterseminar" fand in den Jahren darauf regelmäßig statt.
Aktion macht DDR-weit Schule
"In der gleichgeschalteten DDR-Presse fand diese Aktion zwar nicht statt, dafür jedoch in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung", erinnert sich Voss. Auch Westmedien bekamen davon Wind. Die Aktion wurde so über die Grenzen Schwerins hinaus bekannt und bald von Jugendgruppen in Dresden, Leipzig und Rostock aufgegriffen. Aus den Baumpflanzaktionen entstanden in vielen Städten Umweltgruppen – und daraus schließlich eine DDR-weite Umweltbewegung.
Unsere Baumpflanzaktion 1979 war die Initialzündung für eine ganze Reihe solche Baumpflanzaktionen in der gesamten DDR.
Schon ein Jahr später, 1980, kamen etwa 100 Jugendliche aus vielen Teilen der DDR nach Schwerin. Die Baumpflanzaktionen zählen heute zu den ersten Gehversuchen der Öko-Bewegung in der DDR.
Für die Umwelt auf die Straße
Auch beeinflusst durch die Grünen-Bewegung im Westen, gründeten sich Ende der 1970er-Jahre in der DDR immer mehr Bewegungen, die den unhaltbaren Zustand der Umwelt zum Thema machten: Raubbau an der Natur, fehlende Umweltauflagen, marode Industrieanlagen, die Verschmutzung durch den Braunkohletagebau und Chemiebetriebe. Der Protest und das Umweltbewusstsein innerhalb der Bevölkerung wurden immer größer. Als Reaktion gründete der Staat die "Gesellschaft für Natur und Umwelt". Doch gravierende Umweltprobleme durften hier nicht thematisiert werden.
Als Nikolaus Voss wenige Jahre nach der ersten Baumpflanzaktion für ein Theologiestudium nach Leipzig kam, fand er eine aktive Umweltbewegung vor, in der er sich ab 1983 engagierte. Sie organisierten Umweltseminare, Radsternfahrten oder luden die Leipziger zu "Mobil ohne Auto" nach Schleußig ein. Die Staatssicherheit war immer mit dabei, wie sich Voss erinnert: "Das konnte ich gut anhand meiner eigenen Akte nachvollziehen. So wurde zum Beispiel eine Fahrraddemo durch Leipzig nicht genehmigt. Also sind wir nicht zusammen gefahren, sondern alle drei Minuten in Gruppen."
Dicke Luft in Mitteldeutschland
Nicht selten mussten die Umweltaktivisten kreativ werden: Um gegen die massive Umweltverschmutzung durch die Braunkohleindustrie südlich von Leipzig zu protestieren, riefen beispielsweise Umweltschützer vom Christlichen Umweltseminar Rötha 1988 zu einer symbolischen Spendenaktion auf: "Eine Mark für Espenhain" – denn Unterschriftensammlungen waren verboten, quittierte Spenden jedoch erlaubt. Jeder sollte eine Mark für die Sanierung des VEB Espenhain spenden. Am Ende kamen etwa 100.000 Mark zusammen. Es war die bis dahin größte Protestaktion der DDR.
Die Umweltschäden wurden immer offensichtlicher: Stinkende Brühe, die durchs Elbebett floss, durch den Uranabbau der Wismut verseuchte Gebiete, Dauernebel und Rauchschwaden im Chemiedreieck Leuna-Bitterfeld-Wolfen. In Bitterfeld gelang 1988 der nächste Coup der Umweltbewegung: Heimlich spielten die Aktivisten dem Westfernsehen Bilder von Chemieabfällen und verseuchtem Wasser in der Region zu. Der Beitrag erreichte Millionen Zuschauer in West und Ost.
Friedliche Revolution
Aus kleinen Aktionen wie der in Schwerin 1979 hervorgegangen, werden die Strukturen der Umweltbewegung zehn Jahre später zu einer Säule der politischen Veränderungen. "Die Umweltschutzbewegung war ein wesentlicher Teil der Oppositionsbewegung unterschiedlicher Couleur", so Nikolaus Voss zur Rolle der Grünen bei der Friedlichen Revolution.
Klimaaktivisten - hatte die DDR auch schon
Mehr als 40 Jahre später sind aus den mageren Setzlingen in Schwerin stattliche Bäume und ausgewachsene Sträucher geworden. Doch die Umweltprobleme sind nicht kleiner geworden. Generationen später engagieren sich heute wieder Schüler und Jugendliche für den Klimaschutz und gegen Umweltverschmutzung. Nikolaus Voss fühlt sich dabei immer an seine Zeit als Umweltaktivist und junger Erwachsener erinnert: "Die Proteste finde ich total sympathisch. Doch eine völlig neue Erfindung sind sie nicht."
Zur Person Nikolaus Voss wurde 1961 in Halle an der Saale geboren. Als Kind litt er an Asthma, wohl eine Folge der Umweltverschmutzung in der mitteldeutschen Industrieregion. Deshalb zog es die Familie auch bald in den Norden, wo sie ursprünglich herkam. Als einer der Klassenbesten besuchte Nikolaus Voss die Oberschule. Da er jedoch weder bei den Pionieren noch in der FDJ war, blieb ihm der Zugang zur Erweiterten Oberschule mit dem Abitur verwehrt. Er folgte seiner Leidenschaft: In Potsdam lernte er Facharbeiter für Gartenbau. In den 1980er-Jahren konnte er doch noch Theologie in Leipzig studieren und engagierte sich in Oppositionsgruppen. 1990 wurde er Bezirksgeschäftsführer der SPD in Leipzig und ein Jahr später schließlich SPD-Landesgeschäftsführer in Mecklenburg-Vorpommern. Mehrere Stationen als politischer Beamter führten ihn ins Schweriner Sozialministerium. Dort ist er seit 2016 Staatssekretär.
Der Artikel erschien erstmals im Oktober 2020.