Der Leipziger Umweltaktivist Ralf Elsässer Die "Fridays for Future"-Bewegung in der DDR

21. Oktober 2021, 12:21 Uhr

1979 entstanden in der DDR die ersten Umweltgruppen. In Leipzig gehörte Ralf Elsässer zu den Gründern der "Arbeitsgruppe Umwelt". Er war damals 17 Jahre alt und wollte sich nicht mit den Umweltproblemen in der DDR abfinden.

1979 beobachtet der Leipziger Abiturient Ralf Elsässer fasziniert die Gründung der "Grünen" in der Bundesrepublik. Das wäre genau seine Partei. Elsässer interessiert sich für Umweltfragen und eckt damit in seiner Schule regelmäßig an, weil er im Unterricht unbequeme Fragen stellt. Insofern hegt Elsässer heute große Sympathien für die Schüler, die die "Fridays for Future"-Bewegung tragen. "Als junger Menschen findet man sich weniger mit Ungerechtigkeiten ab, obwohl man mehr zu verlieren hat, weil die Weichenstellungen länger wirken", sagt Elsässer. "Aber man denkt nicht so weit."

Umweltprobleme sind in der Schule kein Thema

Ohne je einen Tagebau gesehen zu haben, ist dem 17-jährigen Ralf Elsässer bereits klar, dass das Verbrennen der Braunkohle enorme Probleme nach sich zieht. Dazu kommen die schlechte Luft in Leipzig und die verdreckte Pleiße. Doch in der Schule ist das kein Thema. Auf der Suche nach Antworten geht Elsässer 1979 zu Veranstaltungen in Leipziger Kirchen und entdeckt dabei die Michaeliskirchgemeinde. In dieser Gemeinde sind bereits Theologiestudenten aktiv, die gute Verbindungen zum "Kirchlichen Forschungsheim" in Wittenberg unterhalten. Das "Kirchliche Forschungsheim" in der Lutherstadt war damals ein intellektuelles Zentrum und Kristallisationspunkt der unabhängigen kirchlichen Umweltbewegung in der DDR. Im Juni 1981 rufen die Wittenberger Aktivisten zum ersten autofreien Tag - "Mobil ohne Auto" - in der DDR auf. Ralf Elsässer ist begeistert und organisiert in Leipzig eine kleine Fahrraddemonstration. Es ist seine erste größere Aktion.

"Arbeitsgruppe Umwelt"

All diese Einflüsse führen im November 1981 zur Gründung der Leipziger "Arbeitsgruppe Umwelt". Ralf Elsässer selbst beginnt nach dem Abitur ein Studium des Bauingenieurwesens. Das Fach interessiert ihn nicht sonderlich, aber weil er sich nicht als Reserveoffizier der NVA verpflichten lassen will, bleibt ihm nur wenig Wahl. Umso aktiver ist er in der Umweltbewegung. Die Fahrraddemos zum autofreien Tag etwa veranstaltet Elsässer nun jedes Jahr. Außerdem sammelt er Informationen über den Zustand der Umwelt und schreibt darüber in der Untergrundpublikation "Streiflichter", die in der Michaeliskirchgemeinde entsteht.

"Reiz der Grauzone"

Ralf Elsässer ist damals auch als Liedermacher in der DDR unterwegs. Er singt über die Liebe, das Leben und die geschundene Umwelt - immer am Rand des Möglichen: "Es war der Reiz der Grauzone. Ich wollte austarieren, was möglich ist." Die Grenzen werden von der Staatsmacht recht willkürlich gezogen. Doch Ralf Elsässers Konzerte und Aktionen ziehen nie ernsthafte Konsequenzen nach sich, vielleicht auch deshalb, weil seine Auftritte meist im kirchlichen Rahmen stattfinden. Ab Mitte der achtziger Jahre wird die Zuhörerschaft jedenfalls immer größer.

Wir wurden ernst genommen, und das war wichtig. Zu erleben, dass man etwas tun kann, was auf andere wirkt, das fühlte sich gut an.

Arbeit in der "Umweltbibliothek"

Die Leipziger Umweltaktivisten bauen sich nach und nach ihre eigene "Umweltbibliothek" nach dem Vorbild der berühmten "Umweltbibliothek" im Prenzlauer Berg in Ost-Berlin auf. Ralf Elsässer erinnert sich daran, wie er in Arbeitspausen in seinem Betrieb Karteikarten getippt hat, um Bücher und Schriften zu katalogisieren.

1988 schließlich kündigt er seinen Job als Bauingenieur, um sich ganz der "AG Umwelt" widmen zu können. Er macht Öffentlichkeitsarbeit, bereitet Veranstaltungen vor, führt Gespräche und lebt von Spenden. "Das war eine wichtige Phase", sagt Elsässer. "Die Wahrnehmung unserer Arbeit von Menschen außerhalb unserer Blase war wichtig."

Zukunft gestalten

Heute kümmert sich Ralf Elsässer um nachhaltige gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, etwa im Leipziger Osten. Seine grundsätzliche Herangehensweise ist die gleiche wie damals: "Man kann, wenn man als Einzelner vor großen Problemen steht und sich dazu verhalten muss, etwas im Kleinen tun oder resignieren." Elsässer hat sich entschieden. Er will, genauso wie die Aktivisten von "Fridays for Future", "Zukunft gestalten, statt nur Treibsand zu sein".

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR um 2 | Weltweiter Protest "Fridays for Future" | 29.11.2019 | 14 Uhr

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 30. August 2020 | 22:00 Uhr