Die Rote Armee Fraktion und die Stasi RAF-Terroristen in der DDR: Unterstützt, versteckt und schließlich verhaftet
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28. Juli 2022, 11:50 Uhr
Sie bomben und morden für ihre linksradikale Gesinnung: Die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) versetzen seit Anfang der 1970er-Jahre ein ganzes Land in Angst und Schrecken. Was lange keiner weiß: Die Stasi hilft zehn ehemaligen RAF-Mitgliedern, in der DDR unterzutauchen. Obwohl die Aussteiger auch andere linksgerichtete Staaten als Aufnahmeland in Betracht ziehen, entscheiden sie sich für die DDR und das von der Stasi angebotene Tauschgeschäft: Neue Identitäten gegen Wissen über den radikalen Untergrund.
Innerhalb von drei Wochen kommt es im Juni 1990 in der DDR zu einer spektakulären Verhaftungswelle. Die ostdeutsche Kriminalpolizei nimmt zehn ehemalige RAF-Mitglieder fest, die sich jahrelang im sozialistischen Exil versteckten. Eine der Gesuchten ist Susanne Albrecht. Die Familie der jungen Frau ist befreundet mit Jürgen Ponto, dem Vorstand der Dresdner Bank. 1977 ermorden die RAF-Mitglieder Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt den Bankier. Albrecht selbst hatte die Mörder in dessen Haus in Oberursel geführt. Nach dem Attentat sucht das BKA fieberhaft nach ihr. Was damals keiner ahnt: Die deutsche Terroristin ist – drei Jahre später und über Umwege – nur wenige Hundert Kilometer weiter in der DDR untergetaucht. Und: Sie ist kein Einzelfall.
Deutscher Herbst Im "Deutschen Herbst" 1977 erreicht die linksradikale Terrorwelle ihren Höhepunkt. Die RAF-Terroristen entführen den Arbeitgeber-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer am 5. September in Köln, um die Freilassung von 11 inhaftierten RAF-Mitgliedern zu erzwingen. Die Bundesregierung geht nicht auf die Forderung der Terroristen ein. Im Oktober 1977 wird die Leiche von Hanns-Martin Schleyer entdeckt.
In den Reihen der RAF: Kontaktperson zur Stasi
Zwei Jahre nach dem "Deutschen Herbst" (1977) wollen acht RAF-Mitglieder aussteigen. Ihnen fehlt der Rückhalt und die nötige Motivation. Zwar halten sie den bewaffneten Kampf politisch weiter für richtig, doch selbst wollen sie dafür den Kopf nicht mehr hinhalten. Eine Kontaktperson der RAF zur Stasi ist damals Inge Viett. Sie ist nach dem missglückten Mordanschlag auf NATO-General Alexander Haig aus der Bundesrepublik geflohen. Nun soll sie bei der DDR-Staatssicherheit Unterstützung für die Ausreise der Aussteiger in ein Entwicklungsland aushandeln. Im Frühjahr 1978 führt sie mit einem Mitarbeiter der Stasi, der für die Terrorabwehr zuständig ist, das erste Vorgespräch.
Natürlich war es für die Gruppe wichtig, für diese Aussteiger ein sicheres Aufnahmeland zu finden. Denn jeder der acht Aussteiger konnte mit seinen intimen Detailkenntnissen darüber, wo die RAF Wohnungen unterhält, welche Fahrzeuge sie benutzt, mit welchen Pässen die Terroristen reisen, die Gruppe insgesamt auffliegen lassen.
Bei einem erneuten Treffen in Ost-Berlin im September 1980 bietet die Stasi der Terroristengruppe Unterschlupf in der DDR an. Die RAF-Mitglieder werden von Prag in die DDR geschleust und verstecken sich dort vor der Strafverfolgung. Kurze Zeit später gehen noch zwei weitere Aussteiger auf das Angebot ein. Damit ist diese Ausstiegswelle einzigartig in der RAF-Geschichte.
DDR unterstützt RAF-Aussteiger
Doch wieso nimmt die DDR überhaupt RAF-Mitglieder auf? Dazu erklärt Tobias Wunschik von der Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen, dass es einerseits einen gemeinsamen Gegner gab. Andererseits habe die DDR-Führung die Gruppe für höchst gefährlich gehalten und hatte mit der Aufnahme der Terroristen 1980 einen Faustpfand: Solange sie in der DDR waren, konnte man sich sicher sein, dass sich die weiterhin aktiven RAF-Mitglieder im Westen niemals gegen die DDR wenden würden, so Wunschik.
Die erste Station der RAF-Aussteiger ist ein Forsthaus im brandenburgischen Briesen. Im "Objekt 74" werden sie zu unbescholtenen DDR-Bürgern umgeschult und üben sechs Wochen lang sozialistische Tugenden wie frühes Aufstehen oder offizielle Parolen. Selbst sächsischer Dialekt steht auf dem Stundenplan. Neben neuen Identitäten und dem passenden Dialekt vermittelt die Stasi den Ex-Terroristen auch Wohnungen und Arbeitstellen. So wird aus Susanne Albrecht - beteiligt an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto und dem Raketenanschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe - Ingrid Jäger, Lehrerin, wohnhaft in Köthen. Aus Werner Lotze wird - nach Banküberfällen, Entführungen und Mord - Manfred Jansen, der in seiner Freizeit Ruderer trainiert. Und Inge Viett wird die Fotografin Eva-Maria Sommer in Dresden.
Neben der Hilfe für die Aussteiger unterstützt die DDR auch aktive RAF-Mitglieder. So arrangierte die Staatssicherheit sogar ein Schießtraining mit einer Panzerfaust. Im September 1981 feuert die die RAF eben jene auf Nato-General Frederick Kroesen ab. Der US-Amerikaner überlebt durch die Panzerung seines Wagens leicht verletzt.
Die Anfänge der Beziehung zwischen Stasi und RAF Bereits in den frühen 1970er-Jahren lässt die Stasi Mitglieder der ersten RAF-Generation um Baader und Meinhof über den Ost-Berliner Flughafen Schönefeld oder die tschechische Grenze ein- und ausreisen. Im Nahen Osten werden die Linksterroristen militärisch ausgebildet. Nur gelegentlich werden sie in der DDR festgehalten - wegen Waffenbesitzes oder gefälschter Dokumente.
Stasi überwacht RAF
Auf Weisung von Stasi-Chef Erich Mielke darf über die ungeheuerliche Verwandlung nur die hausinterne Abteilung Terrorabwehr Bescheid wissen. 20 Inoffizielle Mitarbeiter prüfen permanent, ob alle ehemaligen RAF-Leute dicht halten. Sie kontrollieren die Briefe der Aussteiger, hören ihre Telefone ab und verwanzen die Wohnungen. Sie sollen sich unauffällig in die Gesellschaft integrieren. Susanne Albrecht gelingt das anfangs besonders gut. Sie heiratet einen Physiker und bekommt eine Tochter. Die anderen gründen ebenfalls Familien. Allerdings darf es nur Babyfotos ohne Eltern geben. Trotzdem fliegt die Tarnung auf, als aufmerksame Nachbarn einige der gesuchten Terroristen auf Fahndungsaufrufen wiedererkennen.
1985/86 wurden drei der zehn Ex-Terroristen enttarnt: Silke Maier-Witt, Susanne Albrecht, Inge Viett. Sie mussten über Nacht ihr bisheriges DDR-Leben wieder verlassen, zum Teil über Monate in konspirativen Objekten der Staatssicherheit betreut, um dann an einem anderen Ort in der DDR wieder aufzutauchen. Und Silke Maier-Witt musste sich sogar einer Gesichts-OP unterziehen, um eine erneute Wiedererkennung auszuschließen.
RAF und Stasi: Ein Flirt geht zu Ende
Doch die Beziehung zwischen der Stasi und den Linksterroristen verändert sich. Die Stasi wird vorsichtiger und sorgt sich um den internationalen Ruf der DDR. Denn die Gefahr der Unterstützung des internationalen Terrorismus überführt zu werden, wächst dadurch natürlich immens. 1990 fliegen schließlich alle zehn RAF-Aussteiger auf. Sie werden verraten durch ihre ehemaligen Stasi-Betreuer. Ob der bundesdeutsche Nachrichtendienst bereits seit Anfang der 1980er-Jahre vom Verbleib der Terroristen in der DDR weiß, ist bis heute nicht geklärt. Klar ist aber, dass offiziell nichts gegen Ost-Berlin unternommen wurde, vermutlich um die sensiblen deutsch-deutschen Beziehungen nicht weiter zu belasten. Am 26. März 1991 bestätigen Ermittlungen des Bundeskriminalamt (BKA) die Unterstützung von RAF-Terroristen durch das MfS. Werner Lotze, Inge Viett und Susanne Albrecht legen nach der Verhaftung umfangreiche Geständnisse ab und bekommen durch die Kronzeugen-Regelung Strafen zwischen sechs und 13 Jahren. Heute sind alle zehn wieder auf freiem Fuß.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 2: RAF | 12. Mai 2020 | 14:00 Uhr