Interview mit Hubertus Knabe Die Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen und ihre Methoden

04. August 2013, 20:15 Uhr

Die Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen: Von den Sowjets erbaut und von der DDR-Stasi genutzt. Wie waren die Verhältnise dort? Historiker Hubertus Knabe im Interview.

Inhalt des Artikels:

Hohenschönhausen war die zentrale Untersuchungshaftanstalt für Ostdeutschland, erbaut von den Sowjets, dann genutzt vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR - wofür?

Für die besonders wichtigen Fälle: Vertreter von demokratischen Parteien, Mitglieder von Widerstandsgruppierungen oder auch Zeugen Jehovs, die verhaftet worden sind, kamen da hin. Die saßen alle in Hohenschönhausen, dem Kellergefängnis, das die Sowjets gebaut haben und insofern ist das der Ort, an dem die Diktatur damals ihren sinnfälligsten Ausdruck gefunden hat.

Es wurden oftmals unlautere Methoden, eine sogenannte "Vorarbeit", angewendet, um die Gefangenen vor den Prozessen geistig und psychisch zu schwächen. Was passierte da? 

Das war das Erschreckende der sowjetischen Schauprozesse, die dann auch in der DDR nachgeahmt wurden: Da bezeichneten sich Kommunisten plötzlich als Gestapo-Agenten, warfen sich gegenseitig Dinge vor, die schon auf den ersten Blick vollkommen an den Haaren herbei gezogen waren. Erreicht wurde dies durch bestimmte Methoden, die erst in der SU, später auch in der DDR entwickelt und angewendet worden. Man hat versucht, die Menschen zu brechen. Man hat sie dazu in dunkle Keller eingesperrt über Monate hinweg, manchmal über Jahre.

Wie verliefen die Verhöre?

Die Verhöre fanden meistens nachts statt, tagsüber durften sie nicht schlafen. Gerade dieser Schlafentzug hat sehr viele schnell mürbe gemacht. Und vor allem diese vollständige Isolation, dass sie in diesen kleinen Kellerverliesen, wie lebendig begraben, eingesperrt waren. Wenn das nichts half, gab es auch noch andere Methoden: Wasserfolterzellen, Kältezellen, Stehzellen, wo sich nicht mal auf eine Holzpritsche legen konnte. Das alles zusammen führte dann dazu, dass die Gefangenen sich selbst dann diese Dinge vorwarfen, die sie oftmals gar nicht getan hatten.

Was wusste die Justiz über die Methoden, wie derartige Geständnisse zustande gekommen sind?

Das genaue Zusammenspiel zwischen den Stasi-Vernehmern und den Staatsanwälten und den Richtern ist bis heute nicht wirklich untersucht, aber bekannt ist, dass es eine Art informelle Übereinstimmung gab, dass die Justiz und dann eben auch der Prozess eine politische Angelegenheit seien - als Teil des Klassenkampfes. Dazu gehörte es, die Gegner des Sozialismus, die Feinde, die gerade bei der Errichtung der Diktatur des Proletariates im Wege standen, niederzuhalten und aus dem Weg zu räumen. Und diese Herangehensweise war eben geprägt von einer großen Unerbittlichkeit.

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Der Fall Hilde Benjamin

Wann sind Sie mit dem Namen Hilde Benjamin erstmals in Berührung gekommen?

Sehr früh muss ich sagen, meine Eltern lebten in Berlin-Pankow. 1959 sind sie geflüchtet. Schon als Kind oder Jugendlicher habe ich gehört, wie meine Mutter immer von der "roten Hilde" gesprochen hat, weil einer ihrer Freunde auch vor Gericht gestellt wurde. So war dieser Name für mich wirklich furchterregend im wahrsten Sinne des Wortes.

Besaß Hilde Benjamin überhaupt ein Rechtsverständnis?

Sie war eben sehr ideologisch geprägt und davon überzeugt, dass die Justiz die Funktion als Schwert im Klassenkampf wahrnehmen müsste. Insofern ist für mich vor allem entscheidend diese ideologische Prägung, die die Kommunisten - übrigens ebenso wie die Nationalsozialisten - ausgezeichnet hat, zu sagen: Der Zweck heiligt die Mittel.

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Die Zeit, als sie Vizepräsidentin des obersten Gerichtes war, war eben die schlimmste Zeit der DDR, das waren die ersten Jahre, in denen die Diktatur mit großer Brutalität durchgesetzt worden ist. Und sie hat nicht nur selbst über 550 Jahre Zuchthaus ausgesprochen und zwei Menschen unter das Schafott befördert, die dann in Dresden hingerichtet worden sind, sondern sie hat durch diese Urteile auch die Gerichte auf den unteren Instanzen entsprechend instruiert, vorgemacht, wie man die damaligen Gummiparagraphen der DDR auslegen müsste. Dazu gehörte insbesondere die sogenannte Boykotthetze in der DDR-Verfassung, dass es eben ausreichte, wenn man nur die falsche Gesinnung hatte, um dann zu hohen Zuchthausstrafen oder zum Tode verurteilt zu werden.

Ist das Handeln Hilde Benjamins aus ihrer Biografie heraus nachvollziehbar?

Eine zentrale Rolle bei den meisten kommunistischen Hardlinern spielt eben dieser unbedingte Glaube an die Ideologie, dass man mit Härte vorgehen muss, um am Ende das Gute zu erreichen ... Aber sie hatte eben die falsche Herkunft. Sie kam ja aus bürgerlichem Hause, hatte studiert und war deshalb innerhalb der Partei eigentlich ein "Fremdkörper". Wir haben das oft in der Geschichte des Kommunismus, dass die bürgerlichen Vertreter aus diesem Defizit heraus, besonders radikal auftreten.

Hinzu kam: Entgegen allen Versprechen war der Kommunismus ja überwiegend eine Männersache, das heißt, sie war dort alleine unter vielen männlichen Funktionären. Und das hat sie herausgehoben und vielleicht auch in besonderer Weise zu einer Antifigur gemacht.

Wie werten Sie in diesem Zusammenhang, die Todesurteile, die Hilde Benjamin gegen zwei Mitglieder der "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit" aussprach?

Diese beiden Todesurteile gehören mit zu den dunkelsten Kapiteln der SED-Justiz, weil es sich nicht um die Verfolgung von Taten handelte, sondern um Planungen, die dann aus politischen Gründen in dieser drastischen Art und Weise geahndet wurden.

1952: Zwei Todesurteile nach dem Prozess gegen Mitglieder der "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit" Mit dem Fallbeil werden in der zentralen Hinrichtungsstätte Dresden zwei Menschen exekutiert, die Hilde Benjamin zum Tode verurteilt hat. Es sind Mitglieder der von westlichen Geheimdiensten unterstützten antikommunistischen "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit". Ihnen wird die Planung mehrerer Terrorakte zur Laste gelegt. Das Gnadengesuch des Angeklagten Johannes Burianek wird vom SED-Politbüro abgelehnt. Sein Todesurteil wird am 2. August 1952 vollstreckt.

Johann Burianek wurde 1952 wegen der Anschlagsvorbereitungen auf die Eisenbahnbrücke bei Erkner zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der angebliche "Chef-Chemiker" Wolfgang Kaiser wurde im gleichen Jahr verurteilt und hingerichtet. Ihm wurde die Bereitstellung von hochprozentigen Säuren, Brand- und Sprengsätzen sowie Gift vorgeworfen.

1950: Waldheimer Prozesse

Die Waldheimer Prozesse finden vom 21. April bis zum 29. Juni 1950 im Zuchthaus der sächsischen Kleinstadt statt. In Güterwagen werden über 3.400 Häftlinge aus den sowjetischen Internierungslagern Bautzen, Buchenwald und Sachsenhausen in das Zuchthaus der sächsischen Kleinstadt Waldheim gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, Kriegs- bzw. nationalsozialistische Verbrechen begangen zu haben. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist klar, keiner von ihnen wird der stalinistischen Justiz entkommen.