Jens Weißflog: Der "Floh" aus dem Erzgebirge
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10. März 2020, 15:12 Uhr
Bis heute ist er Deutschlands erfolgreichster Skispringer: Jens Weißflog. In seiner Karriere hat er alle wichtigen Medaillen gewonnen. Zu DDR-Zeiten liegt dem "Floh vom Fichtelberg" die Welt zu Füßen. Doch nach 1989 muss er härter kämpfen als gedacht. Was macht er heute?
12. Februar 1984: Dicke Schneeflocken haben das jugoslawische Sarajewo an diesem Tag in ein Winterparadies verwandelt. Perfektes Wetter für die Olympischen Winterspiele, die ersten überhaupt in einem sozialistischen Land.
Auf der Skisprungschanze wartet Jens Weißflog im blauen Anzug auf seinen Einsatz, die Nummer "50" prangt auf seiner Brust. Der Offizielle senkt die Flagge zum Start, Weißflog schlittert über die Absprungrampe und fliegt 87 Meter weit. Das bedeutet Platz eins für "Jens Weißflog, GDR".
Das erste Olympia-Gold seiner Karriere ist inzwischen mehr als 30 Jahre her – aber der Moment ist für Weißflog unvergessen. Bis heute ist der 51-Jährige Deutschlands erfolgreichster Skispringer, der alle wichtigen Wettbewerbe der Branche gewonnen hat – im Westen wie im Osten.
Skispringen ging im Westen und im Osten von oben nach unten. Und wer am weitesten und schönsten springt, hat gewonnen. Das hat sich durch politische Systeme nicht geändert. Und mir war klar, dass ich danach gemessen werde und nicht nach anderen Dingen.
Der "Floh vom Fichtelberg"
Den Spitznamen "Floh" hat Jens Weißflog schon seit seiner Kindheit. Bereits mit sechs Jahren zeigt sich aber, dass Weißflog auch weit wie ein Floh springen kann. Im erzgebirgischen Pöhla macht er die ersten Versuche von einer selbstgebauten Schanze. Schon damals hat er den Ehrgeiz, sich ständig zu verbessern. Spätestens mit dem Olympiasieg 1984 wird der damals 20-Jährige zum Vorzeigesportler der DDR. Die Medien beschreiben ihn als "ganzen Kerl", der zugleich schüchtern, nett und bescheiden sei. Er reist zu Wettkämpfen in alle Welt, hat aber nur sporadischen Kontakt zur Konkurrenz aus dem Westen. Immer wieder kehrt Weißflog zurück nach Hause.
Trotzdem war's für mich auch immer wieder eine völlige Normalität, wieder zurückzukommen. Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, im Westen zu bleiben. Hier waren meine Eltern, Geschwister, das hat man einfach mit Heimat verbunden.
Neue Zeit - neuer Stil
Doch mit der Wende wird auch Jens Weißflog vorübergehend aus der Bahn geworfen. Im Skispringen muss er sich an einen neuen Stil gewöhnen: Vom gelernten "Parallel"- oder "Fisch-Stil", bei dem die Beine geschlossen und die Hände eng am Körper liegen, zum so genannten "V-Stil", bei dem die Skier in der Luft wie der Buchstabe "V" geöffnet werden. Der Stilwechsel brachte aerodynamische Vorteile mit sich, doch die Umstellung war für viele Skispringer schwer. Für manche bedeutete es sogar das Ende ihrer Karriere. Nicht für Jens Weißflog, auch wenn er im Nachwendejahr noch nicht weiß, wie es im neuen politischen System weitergeht. Wie viele ist auch er seinen Elektriker-Job beim VEB OEW in Annaberg von heute auf morgen los. Weißflog sucht einen Sponsor – und kann mit dem Sport weitermachen.
Mit der Wende ist ja vieles weggebrochen, bis hin, dass viele die finanzielle Absicherung nicht mehr hatten, sich kümmern mussten. Krieg ich einen Sponsor, der mich dann so weit unterstützt, dass ich den Sport so weiterbetreiben kann? Das waren schon sehr spannende Zeiten, die unwahrscheinlich lehrreich waren."
Das Comeback nach der Wende
Zehn Jahre nach den olympischen Winterspielen in Sarajewo gewinnt Jens Weißflog 1994 zweimal Gold in Lillehammer, mit neuem Stil und unter neuer Flagge. Das ist sein größter sportlicher Erfolg, den er anders wahrnimmt als 1984. "Die Gefühle gingen in dem Moment total durcheinander", erinnert er sich heute, "zwischen Jubel und Tränen, das war nicht mehr steuerbar." Zwei Jahre später hängt Weißflog den Sport an den Nagel. Doch er wird nicht etwa Trainer, weil ihm die Flut an Coaches in dem Bereich bereits auffällt. Weißflog entscheidet sich für eine Laufbahn als Hotelier. Plötzlich dreht sich alles um Notarverträge, Steuern und Belegungspläne.
Das waren Formulierungen, bei denen ich immer gedacht habe: Kann man das nicht mal ein bisschen einfacher schreiben? Aber es hat geholfen, sich in Dinge reinzuarbeiten und den Blick für Sachen zu bekommen, den man vorher nicht hatte. Das war eine Herausforderung. Die habe ich nicht unbedingt gesucht, aber mir hat das von Anfang an Spaß gemacht!
In seinem Hotel in Oberwiesenthal erinnern heute Dutzende Fotos an seine Sportlerkarriere. Jens Weißflog schaut oft persönlich vorbei, geht auf Radtour mit den Gästen und ist sich auch für Fensterputzen nicht zu schade. Die Anerkennung für seine Mühe blinkt heute zwar nicht mehr von der Anzeigetafel bei den Olympischen Spielen, aber sie kommt jeden Tag "häppchenweise", zum Beispiel in Form eines zufriedenen Gastes. Für viele ist Jens Weißflog immer noch der "Floh vom Fichtelberg" – nur mit einem Hotel, das es ohne das Jahr '89 nicht gegeben hätte.
Buchtipp
Weißflog, Jens: „Bilder meines Lebens",
200 Seiten,
Wien: egoth Verlag, 2014,
ISBN: 978-3902480842,
39,90 Euro.