Rennfieber in der Börde DDR-Motorsport: Von der Buckelpiste zur Arena von Oschersleben
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05. Oktober 2021, 04:00 Uhr
Sie gehört heute zu den fünf Großen in Deutschland: die Motorsportarena Oschersleben mitten in der Börde, mitten in Sachsen-Anhalt. Querfeldein über Wiesen und Buckelpisten ging es dort schon ab den 1960er-Jahren: Motocross, Straßenrennen und später auch Autocross. Seitdem hält das Rennfieber an. Doch wie kam es, dass aus der ehemaligen DDR-Rennpiste mitten in dieser landwirtschaftlich geprägten Region eine weltbekannte Hightechanlage wurde, wo heute auch der internationale Nachwuchs trainiert?
Rennteams aus ganz Europa kommen heute extra nach Sachsen-Anhalt. Das Gelände unweit der Bördestadt ist Torsten Schuberts zweites Zuhause und der Streckenchef Ralph Bohnhorst ein guter Freund. Vor einigen Jahren sind beide noch selbst über den Asphalt gejagt. Heute lenken sie die Geschäfte: Schubert im eigenen Rennstall, Bohnhorst als Geschäftsführer der Motorsportarena.
Baubeginn vor 25 Jahren
Das Mammut-Projekt geht auf die Initiative des gebürtigen Oscherslebeners Torsten Schubert zurück. Mit Leidenschaft und Tempo bringt er nach der Wende im Hobbykeller seines Hauses die entscheidenden Leute zusammen. Der erste Spatenstich erfolgt am 5. April 1995, der Bau beginnt im Juli 1996. Schon 1997 wird der Rundkurs eingeweiht.
Wilde Anfänge: Motocross und Rennen durch die Bördestadt
Dabei kann Schubert an eine gewisse Tradition vor Ort anknüpfen: Die Motorsport-Pioniere der Bördestadt, Lothar Herholt und Frank Hausmann, wissen eindrucksvoll von den wilden Anfängen zu berichten: Vom ersten Motocross-Rennen 1959, das noch über den Segelflug-Platz führt, " für Serien-Maschinen, die so ein bisschen zurecht gemacht waren". Hausmann, heute 86 Jahre alt, gehörte damals zu den Gründungsmitgliedern des Motorsportclubs Oschersleben und erinnert sich, als wäre es gestern: "Der Dreck und Staub, unglaublich! Ohne die Strecke zu befeuchten, hätte der Dritte, Vierte, Fünfte schon gar nichts mehr gesehen."
Die Premiere wirbelt Staub auf und wird ein voller Erfolg. Von da an sind die Renn-Wochenenden von Oschersleben ein Highlight in der Börde. Die Fans unterstützen mit Sachspenden, einem schicken Bus für die Rennleitung beispielsweise: "Sitze raus geschraubt Stühle, rein gestellt, Tische, um da arbeiten zu können. Fertig war das Rennbüro." Dort melden sich die Fahrer an, bekommen sogar ein Startgeld von 25 Mark, wie Hausmann erzählt: "Plus Benzinmarken!" Herholt kann es selbst kaum noch fassen: "Da kam der Tankwagen von Minol und stand dann an der Rennstrecke, und da hat man dann dieses Benzin verkauft, für den halben Preis."
Zum DDR-Jahrestag 1961 veranstalten sie ein Motorrad-Rennen, das übers Kopfsteinpflaster mitten durch die Bördestadt führt. "Heute würde man sich an den Kopf fassen", gesteht Hausmann. Mit Tempo 100 geht es durch die Gassen. Mühsam angekarrte Strohballen sollen das Schlimmste verhindern. Lothar Herholt startet damals mit der Nummer 65, pfeilschnell durch einen kleinen Trick: "Ich hatte den ersten Gang schon drin. Dann brauchte ich nur noch die Kupplung los zulassen!" Der Sturz auf dem regennassen Pflaster bringt ihn um den Sieg. Er ist nicht der einzige, der zu Fall kommt.
Es gab Stürze en masse. Einer ist sogar in ein Schaufenster gerauscht. Passiert ist glücklicherweise nichts.
Eine weiteres Rennen mitten durch die Bördestadt gibt es aus Sicherheitsgründen nicht.
Neue Arena: 14 Kurven auf vier Kilometern
Hausmann und Herholt haben die Geschicke des Vereins inzwischen in die Hände von Torsten Schubert gelegt. Heute heizt man außerhalb der Stadt über den Asphalt. Dort entstand vor 25 Jahren eine der kompaktesten Rennstrecken der Welt: Auf 3,6 Kilometern - 14 Kurven, das hat sonst keine Strecke. Besonders die Zweirad-Szene liebt die herausfordernde Piste. So finden hier nationale und internationale Rennen statt. 19 Kameras filmen dabei in jeden Winkel, über 300 Leute sind draußen im Einsatz. Eine organisatorische Meisterleistung, die darauf zielt, im Zweifelsfall Leben zu retten. Manche der Fahrer sind gerade mal 14 Jahre alt.
Auch Schubert hat das Auto- und Rennfieber früh gepackt. Schon als kleiner Junge schraubt er bei seinem Vater in der Werkstatt. Mit 15 repariert er bereits die Autos der Nachbarn. Eigentlich soll er studieren, eröffnet aber lieber seine erste kleine Werkstatt. Heute hat er elf Autohäuser und den eigenen Rennstall. Er versammelt die besten Ingenieure, die aus einem normalen BMW über Monate eine Rakete bauen. 580 PS. Technik und Fahrkunst müssen zusammenspielen, sagt er: "Am Ende geht es um 1000stel einer Sekunde, die die Piloten in einer Runde rausholen wollen", sagt Schubert. Seine Mechaniker passen die Autos jeder Strecke neu an. Er ist viel unterwegs, wegzugehen aus seiner Heimatstadt ist für ihn aber keine Option gewesen, wie er sagt:
Ich habe da so einen Spruch: Wenn ich die Kirchtürme nicht mehr sehe, dann bin ich nicht mehr glücklich. Ich wollte nie weg aus Oschersleben. Tu das, was du kannst mit dem, was du hast, genau da, wo du bist, das ist mein Leitspruch.
Eröffnung als permanente Rennstrecke 1997
Anfang der 1980er-Jahre tritt er in die Fußstapfen der Motorsportpioniere. Eine Cross-Strecke entsteht. Schubert fährt in jeder freien Minute durch den Staub, mit einem Auto Marke Eigenbau, wie es zu DDR-Zeiten üblich ist. Zum ersten Rennen 1983 kommen Fahrer aus der ganzen Börde-Region. Außerdem 12.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Motorsport wird in Oschersleben zur festen Größe. Für Torsten Schubert steht der Rennsport seit diesen Tagen an erster Stelle. Zweimal wird er DDR-Vizemeister, später sogar Europameister im Autocross. Eine Idee treibt ihn immer noch um: "Es gab ein paar Rennstrecken wie Schleiz, das Frohburger Dreieck oder Sachsenring, die aber immer hergerichtet wurden, auf Straßen. Eine solche feste Anlage gab es nicht."
Nach Wende und Einheit sieht er die Chance, seine Vision umzusetzen. Nicht für die erst angedachte Rundstrecke, aber für ein Projekt einen Kilometer vor den Toren der Stadt bekommt er die Baugenehmigung. Mit einem Investor, einer Familie aus Hannover, stemmt er das Unternehmen. Mit einer Bürgschaft vom Land, aber ohne Fördergelder, wie er betont: "Das war schon eine Meisterleistung, dass das so gelaufen ist."
Wir sind eine der fünf großen Rennstrecken in Deutschland, absolut nicht mehr wegzudenken und das ist eine Erfolgsgeschichte.
Im Juli 1996 beginnen die Bauarbeiten. Millionen Kubikmeter Bördeboden müssen weichen, bis die kompakte Stecke mit einer fast 700 Meter langen Zielgeraden gebaut werden kann. Im Juli 1997 öffnet die Motorsportarena Oschersleben. Heute ist sie für Trainingseinheiten und die vielen Rennen fast jedes Wochenende ausgebucht. German Speedweek, GT-Masters oder auch kleine Rennserien, die das Publikum schätzt, weil sie den Motorsport wieder bodenständig machen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 05. Oktober 2021 | 21:00 Uhr