Einsatz gegen Doping "Geht mit gutem Gewissen an den Start"
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18. Oktober 2010, 13:51 Uhr
1963, lange bevor in der DDR flächendeckend gedopt wurde, schrieb eine DHfK-Trainerin einen Brief an ihre Sportlerinnen und beschwor sie, "kein einziges Mittelchen zu schlucken".
2009 wurde ein 46 Jahre alter Brief wieder entdeckt, der für Sporthistoriker eine kleine Sensation war. In dem Schreiben warnte Johanna Sperling, damals Rudertrainerin beim SC DHfK Leipzig, ihre Sportlerinnen vor der Einnahme leistungsfördernder Mittel. Die handgeschriebenen Zeilen der Trainerin, die eine ihrer einstigen Sportlerinnen aufbewahrt hatte, bewiesen zweierlei: Das bereits Anfang der 1960er-Jahre, noch lange bevor das flächendeckende Doping mit dem sogenannten "Plan 14.25" im DDR-Sport eingeführt worden war, Sportler gedopt wurden. Zum anderen belegt es aber auch, dass Trainer durchaus die Möglichkeit hatten, sich mehr oder weniger offen dagegen zu verwahren.
Ein einzigartiges Dokument
1963 schrieb Johanna Sperling, die beim SC DHfK sowohl Spitzenathleten als auch Nachwuchssportler trainierte, einen siebenseitigen Brief an ihre Schützlinge, die sich auf der Regattastrecke in Berlin-Grünau auf die Europameisterschaft in Moskau vorbereiteten. Sie selbst konnte in der sowjetischen Hauptstadt nicht dabei sein, und wollte auf diesem Weg ihren Mädchen noch den einen und anderen Hinweis mit auf den Weg geben, Trainingsmethodisches vor allem. In einem langen Absatz beschwor sie ihre "Sperlinge", wie die Sportlerinnen ihrer Trainingsgruppe immer genannt wurden, unter keinen Umständen leistungssteigernde Mittel einzunehmen. Der Grund für ihre Warnung beruhte auf einer Begebenheit ein paar Jahre zuvor bei einer Europameisterschaft in London. Damals erfuhr sie, dass ein Masseur den DDR-Ruderinnen vor dem Start Koffeintabletten verabreicht hatte.
"Geht mit gutem Gewissen an den Start"
Johanna Sperling schrieb in ihrem Brief: "Ich bitte Euch ganz ernsthaft, kein, aber auch kein einziges Mittelchen zu schlucken, das Eure Leistung angeblich steigert, und wenn es als noch so harmlos, als vollkommen unschädlich oder Wunder wirkend Euch gepriesen wird. Auch wenn man Euch sagt, dass Ihr dann die einzigen seid, die nichts zu sich nehmen, bitte weist es zurück, seid stolz darauf und denkt an die kommenden Wettkampfjahre und denkt an Eure Gesundheit. An der eigenen Willensstärke erleidet Ihr keinen Schaden, und davon habt Ihr genügend zur Verfügung. Ich kann Euch Beispiele nennen, welche Auswirkungen solche Mittel der Wettkampfvorbereitung haben – jetzt würde das zu weit führen – glaubt mir nur so viel, dass es nie gut ist.
Und wenn es nur das Schamgefühl wäre, das sich Eurer nach einem erfolgreichen Rennen bemächtigen würde – Ihr könntet Euch nicht ehrlich Eures Sieges freuen. Erspart es Euch und geht mit gutem Gewissen an den Start, die Nationalhymne klingt dann umso erhebender."
Auch wenn man Euch sagt, dass Ihr dann die einzigen seid, die nichts zu sich nehmen, bitte weist es zurück, seid stolz darauf und denkt an die kommenden Wettkampfjahre und denkt an Eure Gesundheit.
Keine Nachteile aufgrund des Briefes
Johanna Sperling war eine harte und erfolgreiche Trainerin gewesen. "Ich wollte gewinnen, bin aber nie auf die Idee gekommen, das mit künstlichen Mitteln zu erreichen", erklärte sie 2009 der "Leipziger Volkszeitung". "Meine Aufgabe hatte ich immer darin gesehen, trainingsmethodisch Vieles besser zu machen als meine Gegner." Ihre Position vertrat sie offen - sowohl gegenüber ihren Schützlingen als auch gegenüber den Sportfunktionären: Insofern waren ihr aus dem Brief auch keine unmittelbaren Nachteile erwachsen - alle wussten ja ohnehin, was sie dachte.
Erst 1971 verließ Johanna Sperling aus "verschiedenen, auch persönlichen Gründen" die DHfK. Sie wurde in die sogenannte "zweite Reihe" versetzt und arbeitete als Sportlehrerin in einer Dresdner Hochschule. Nach ein paar Jahren aber kehrte sie nach Leipzig zurück, wo sie bis zu ihrer Pensionierung 1980 als Nachwuchstrainerin tätig war. An ihrer Haltung gegenüber dem Doping hat sich bis heute nichts verändert: "Wenn ich Medaillen nur mit Doping erreiche, muss etwas faul sein", sagte Johanna Sperling 2009 dem "Spiegel". "Das galt für die DDR und das gilt auch heute."