Lexikon: Theater der Jungen Welt in Leipzig Theater der Jungen Welt in Leipzig in der DDR und Nachwendezeit
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Früherer Intendant Hanns Gallert im Interview
21. September 2004, 20:30 Uhr
Hanns Gallert, geboren 1941 in Dresden, kam 1967 an das Theater der Jungen Welt in Leipzig. Er war Schauspieler, Regisseur, Oberspielleiter und schließlich kommissarischer Direktor des bekannten Kinder- und Jugendtheaters. Nach dem Ende der DDR wurde Hanns Gallert Intendant des Theaters und führte es bis in die 2000er-Jahre. Bis heute ist das "TdJW" das älteste professionelle Kinder- und Jugendtheater Deutschlands.
MDR: Herr Gallert, das Theater der Jungen Welt ist das erste professionelle Kinder- und Jugendtheater Deutschlands gewesen. Was war Ihrer Meinung nach das Besondere des Theaters, für Leipzig und für die ganze DDR?
Hanns Gallert: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Vorbild der sowjetischen Jugendarbeit auch auf die sowjetische Besatzungszone übertragen. Man wollte früh anfangen mit der Erziehung. Jedenfalls stieß die Idee, durch das Theater auf die moralische und ästhetische Bildung der Kinder zu wirken, auf eine sehr große Resonanz. Es wurden Ratsbeschlüsse getroffen, speziell für Kinder ein Theater einzurichten. Das war dieses erste Theater, das Theater der Jungen Welt. Die erste Premiere war auch ein humanistisches Stück, ein Stück, in dem sich Leute zusammentun gegen etwas Böses. Von einem Autoren, der während der nationalsozialistischen Herrschaft in der inneren Emigration war, Erich Kästner: "Emil und die Detektive", 7. November 1946 aufgeführt. Diesen Tag nehmen wir als den Stichtag, als Gründungstag des Hauses.
Natürlich fehlte es in dieser Zeit an allem, es war ein Saal zugewiesen, das war der so genannte Weiße Saal am Zoo, ein Nebenraum in dem großen Kongresshallengebäude, und der wurde gleich nach dem Krieg schon relativ wirksam zu einem Theatersaal umgebaut. Nach unserem Theater wurden noch vier weitere Theater gegründet: Halle, Dresden, Berlin, das war das große "Theater der Freundschaft", und Magdeburg.
Wie sah die Zusammenarbeit des TdJW mit den Jugendorganisationen wie FDJ aus?
Die war natürlich sehr eng, es war alles miteinander verknüpft, mit den Pionierorganisationen, der FDJ. Es gab auch eine Auflage von der Volksbildung, Kinder bis zur vierten Klasse hatten obligatorisch ins Theater zu gehen. Obwohl es auch immer Schulen gab, die sich dieser Auflage entzogen. Das System der Denunziation war aber nicht so stringent, dass wir gemeldet hätten, wenn eine Schule einmal ein paar Jahre nicht gekommen war.
Es gab selbstverständlich die Prüfungskommission, die jedes Stück las, bevor es freigegeben wurde. Das galt auch für uns. Später wurde das schlampig gehandhabt, da war die Premiere schon raus, dann kriegten wir irgendwann den Bescheid, "o.k., das Stück darf gespielt werden". Nur ganz wenige Beispiele gibt es von meinem Vorvorgänger, dass es Querelen gab. "Egon und das achte Weltwunder", das war so ein vieldiskutiertes Buch, das ein wenig satirisch-kritisch geraten war. Und so war auch die Theaterversion. Das wurde unserem Direktor angekreidet, es gab heftige Diskussionen. Schließlich musste man das Stück ein wenig abmildern. Ja, es gab auch mal Krach, aber ansonsten waren wir schließlich staatserhaltend, und dann hielten wir ja alle immer unsere innere Schere in Bereitschaft. Auch wollten wir die Kinder nie politisieren. So naiv jedenfalls nicht.
Haben sich Junge Pioniere und FDJ in die Theaterstücke eingemischt?
Ich sag mal: mehr in das Ergebnis. Die FDJ kam ja in die Vorführung, und dann wurde in der FDJ eben gerade bei "Egon und das achte Weltwunder" diskutiert, dass das eine Verunglimpfung sei, wie die Figuren auf der Bühne dargestellt wurden. So sei der Jugendliche nicht. Das war ja immer das Problem in der DDR, wenn ein Arzt gezeigt wurde, der gepfuscht hat oder faul war, oder der seine Frau betrog, dann hieß es: "Ärzte betrügen keine Frauen". Oder wenn ein Chemiker mal eine Analyse gefälscht hatte, da schrie man: "Soll das heißen, unsere Chemiker betrügen?" Es wurde ja immer verallgemeinert, und dem unterlagen wir natürlich auch. Meist hat die innere Schere vorher schon zugeschnappt.
Sind Sie mit Ihrem Programm des TdJW direkt in die Schulen gegangen?
Ganz unterschiedlich, so wie heute auch. Wir haben das heute nur erweitert. Wir machen Einführungen vor der Aufführung oder Gespräche danach. Wobei wir das so pflegen, nicht direkt nach der Vorstellung mit den Kindern zu sprechen, sondern acht Tage später. Wenn sich der Eindruck gesetzt hat, kann man auch sehen, was denn geblieben ist, was noch präsent ist.
Was war das "Theatermobil" des Theaters der Jungen Welt? Können Sie das erklären?
Ja, natürlich. Immer haben wir versucht, über diesen großen Saal, der sehr unglücklich war für unsere Zwecke, herauszukommen - wenn 520 etwa gleichaltrige junge Menschen dasitzen, dann ist das eine Riesengefahr, da verstärkt sich jede Störung, jede Irritation, jede Unaufmerksamkeit, zumal die Sicht schlecht war ...
Wir hatten ein "Programm 2", zum Beispiel, um an Lehrer und die Größeren heranzukommen. Das waren so genannte szenische Lesungen mit kleinstem Aufwand: ein Tisch, ein Stuhl, ein Sessel, eine Stehlampe, zum Teil gelesen, zum Teil auswendig gesprochen. Und dann versuchten wir auch schon zu DDR-Zeiten, rauszugehen, zu den Leuten hin. Zu Schulfesten, zu Stadtfesten. Da ist dann dieses "Theatermobil" entstanden. Es gibt einige Produktionen, die man wirklich auf jeder Wiese aufschlagen kann, an jeder Ecke.