Fotografie der DDR Fotografin Sibylle Bergemann: "Mode ist Porträt"
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30. April 2018, 09:59 Uhr
Die Kleider waren Sibylle Bergemann nicht so wichtig. "Mode ist Porträt", sagte sie stets, "ein Zeitbild". Und so gibt es auch keinen Glamour auf ihren Fotos. Die Fotografin starb am 2. November 2010 im Alter von 69 Jahren.
Verboten wurde keines ihrer Fotos in der DDR. "Manche wurden nur nicht so gedruckt", sagt Sibylle Bergemann lakonisch. So wie eines ihrer berühmtesten. Es zeigt zwei mürrisch dreinblickende Models in schwarzen Badeanzügen an einem Strandkorb, es heißt "Sellin, Ostsee 1981". Die Fotografin hatte ihnen die Anweisung gegeben, so zu gucken, weil das Wetter lausig war. Es war lustig gemeint, aber die Zensoren hatten keinen Humor. Beim Abdruck in der Modezeitschrift "Sibylle" wurden die Mundwinkel der beiden Damen nach oben retuschiert – Models hatten zu lächeln.
"Mich interessiert der Rand der Welt"
Die 1941 in Berlin geborene Sibylle Bergemann, die einen ganz eigenen Stil in die Modefotografie eingebracht hat, kam genau genommen aus Langeweile zur Fotografie. Sie hatte eine Ausbildung zur Sekretärin absolviert und geriet 1961 in die Bildredaktion des "Magazins". Die Arbeit an der Schreibmaschine langweilte sie und so begann sie sich für die Fotos des "Magazins" zu interessieren. Die Bildredakteurin ermunterte sie, es doch mit einem Fotografiestudium zu probieren. 1966 begann Sibylle Bergemann tatsächlich ein Studium an der Kunsthochschule Weißensee bei dem bekannten Fotografen Arno Fischer, der wenig später auch ihr Lebensgefährte wurde. Nach Abschluss des Studiums arbeitete sie als freie Fotografin. Sie fotografierte einsame Leute an düsteren Orten - lakonische Alltagsnotizen. "Mich interessiert der Rand der Welt", sagte Bergemann damals, "nicht die Mitte."
Melancholisch entrückte Wesen aus einer anderen Welt
Anfang der 70er-Jahre bekommt Sibylle Bergemann erste Aufträge von der Modezeitschrift "Sibylle". An den Glamour, den Zeitschriften wie "Vogue" oder "Elle" zu bieten haben, konnte das führende Modeorgan der DDR natürlich nicht heranreichen. Für Sibylle Bergemann kein großes Problem: Sie platzierte ihre Models in Hinterhöfen, in Fabrikhallen, auf Gemüsemärkten oder einfach am Straßenrand. Die Aufnahmen wirkten nun wie Alltagsszenen. "Es sollte nach allem Möglichen aussehen", umriss Bergemann ihre Strategie, "nur nicht nach DDR." Und so wirkten ihre Models überdies auch gar nicht wie branchenüblich puppenhaft, sondern eher wie melancholisch entrückte Wesen aus einer anderen Welt.
"Die sagten: Wir sind Friedhofsfotografen"
Überhaupt waren Sibylle Bergemann die Menschen stets wichtiger als die Kleider. "Mode ist Porträt", sagte sie einmal, "ist ein Zeitbild". Für ihre Arbeiten erntete sie auch im westlichen Ausland Anerkennung. Für die Kulturbürokraten hingegen waren sie ein ewiges Ärgernis. Und so standen sie und ihr Lebensgefährte Arno Fischer stets im Zentrum der Kritik: "Die haben gesagt: Wir sind Friedhofsfotografen. Weil das alles so trist war und wir nicht Friede, Freude, Eierkuchen gemacht haben. Dabei zeigten wir einfach nur, wie es wirklich war in der DDR."
Marx und Engels kopflos
Neben ihrer Arbeit als Modefotografin schuf Sibylle Bergemann auch etliche Porträts, darunter von Nina und Eva-Maria Hagen, von der jungen Katharina Thalbach oder von Angelica Domröse. Berühmt wurde sie durch eine Langzeit-Reportage: Elf Jahre lang begleitete sie die Entstehung des monumentalen Marx-Engels-Denkmals in Berlin. "Ich habe nur fotografiert, was ich gesehen habe. Und das Komische, das da reinkommt, kommt daher, dass man weiß, das sind Marx und Engels, und die haben Scheuerlappen auf dem Kopf, hängen an dicken Seilen beim Transport, haben ein andermal keinen Unterleib oder sind kopflos."
Reisebilder statt Modefotografie
Nach dem Ende der DDR begann Sibylle Bergemann eine zweite Karriere. Im Auftrag von "GEO" reiste sie mit ihrer Kamera um die Welt. Sie war in Afrika und Amerika, in Vietnam, Nepal, Indien und Grönland. Ihre Porträts und Landschaftsbilder aber sind keine herkömmlichen Reportagefotografien, es sind ganz und gar subjektive Sichten. "Nur das Nicht-Austauschbare ist von Belang", sagt Sibylle Bergemann. "Wenn etwas nicht ganz stimmt in den Gesichtern und Landschaften, beginnt es mich zu interessieren." Der niederländische Schriftsteller Cees Noteboom meint begeistert: "Sie beherrscht das Erzählen mit der Kamera wie kaum ein Zweiter, sie kann schreiben mit nahezu nichts".
Genug gesehen
"Ich habe nun genug gesehen", resümiert Sibylle Bergemann, "das Fernweh ist gestillt." Vor einigen Jahren musste sie wegen einer Luxussanierung aus ihrer alten Wohnung am Berliner Schiffbauerdamm ausziehen. Zu DDR-Zeiten war diese Wohnung von Bergemann und Fischer ein legendärer Ort, ein Treffpunkt für Künstler aus aller Welt, selbst Helmut Newton und Henri Cartier-Bresson waren zu Gast. Sibylle Bergemann erlag am 2. November 2010 im Alter von 69 Jahren einem Krebsleiden.
(Zitate von Sibylle Bergemann aus: "Mode ohne Filter", FAZ.NET, 10. 02. 2009, und "Sie kann schreiben mit nahezu nichts", Deutschlandradio Kultur, 12.11.2006.)
Buchtipp:
"OSTZEIT – Geschichten aus einem vergangenen Land" (Fotoband zur gleichnamigen Ausstellung ergänzt durch Texte von Wolfgang Kil, Markus Jauer, Alexander Osang und Ingo Schulze)
Hatje Cantz Verlag, 2009
ISBN 978-3-7757-2486-9
Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im TV: 23.06.2017 | 19:30 Uhr