Unterhaltung auf Weltniveau: "Mit dem Herzen dabei"
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20. März 2020, 13:07 Uhr
Der gemeine Arbeiter oder Bauer wurde in der DDR meist mit Urkunden und Medaillen abgefunden. Doch es gab eine Zeit, da wurden verdiente Werktätige mit einem Auftritt im DDR-Fernsehen "belohnt". "Der Historiker Stefan Wolle erinnert sich an die vergessene "Mutter" der Überraschungsshows: "Mit dem Herzen dabei".
Erinnert man sich zurück an die besonders aufwendigen Sendungen des DDR-Fernsehens, dann fallen einem sicher "Ein Kessel Buntes" oder der Dauerbrenner "Außenseiter - Spitzenreiter" ein. Doch die vergessene "Mutter" der Überraschungsshows der DDR heißt: "Mit dem Herzen dabei". Erfunden wurde sie, um verdiente Werktätige auszuzeichnen.
Unterhaltung mit Parteiauftrag
Urkunden und Orden waren in einem Land, das ca. 10.000 verschiedene gesellschaftliche und staatliche Auszeichnungen zu vergeben hatte, nichts Ungewöhnliches. Von einem Massenpublikum an den Fernsehgeräten bejubelt und überrascht zu werden, das war allerdings etwas Besonderes. Genau dazu wurde die Sendung "Mit dem Herzen dabei", die im Hörfunk auf Radio DDR begann, im Januar 1961 auf Beschluss des VI. Parteitages aus der Taufe gehoben. Damit war klar, dass es nicht nur um Unterhaltung ging. Der Rundfunk als "Mittel der Massenagitation und -propaganda" und insbesondere "Mit dem Herzen dabei" hatten einen klaren Parteiauftrag, Ulbrichts Idee von der "sozialistischen Menschengemeinschaft" in Bild und Ton zu verwirklichen. Die erste Ausstrahlung im DDR-Fernsehen erfolgte denn auch am 15. Jahrestag der Republik. Insgesamt 14 Folgen von "Mit dem Herzen dabei" und drei Folgen des Ablegers "Spiel mit!" sollten bis Ende 1969 an den unterschiedlichsten sozialistischen Feiertagen gesendet werden.
Die Grundidee öffnete neue Dimensionen der Fernsehunterhaltung. Da war die DDR sozusagen an der Spitze der Entwicklung. Heute hätte man das Reality TV genannt.
Leistung muss sich lohnen, auch in der DDR
Betrachtet man die Sendung "Mit dem Herzen dabei" aus heutiger Sicht, mutet die "Mutter" der Überraschungsshows wie eine sozialistische Ausgabe der "Rudi Carrell Show" an. Es ging jedoch um weit mehr, als darum die vielen unbesungenen Helden des Alltags zu ehren. Die Botschaft der Sendung war eindeutig:
Die Parole hieß: Wer gut arbeitet, soll sich auch was leisten können. Es wurde Leistung propagiert, aber eben auch das System der materiellen Hebel, wie das von Walter Ulbricht genannt wurde, also: Leistung sollte sich lohnen. Es gab Prämien, es war anerkannt und moralisch, ethisch, sittlich berechtigt nach materiellen Gütern zu streben.
Es waren aber nicht nur die kleinen, sondern auch die "großen" Helden, die in der Sendung überrascht wurden: Neben dem Taxifahrer, der Volkspolizistin oder dem Brigadier standen auch der Funktionär der ersten Stunde oder ein verdienter Schauspieler zur Auszeichnung. Es entstand der Eindruck, dass die Sendung und damit die sozialistische Gemeinschaft alles möglich machen konnte: Fernreisen, neue Autos, renovierte Häuser, ja sogar Beförderungen live auf der Bühne bis hin zur Verleihung eines Professorentitels an einen Studienrat - der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt.
Mit dem "Seelen-Hitchcock" bis an die Grenze der Peinlichkeit
Der Moderator der Sendung, Hans-Georg Ponesky, war seit der ersten Stunde auf Radio DDR dabei und verwirklichte mit derselben Mannschaft den Ableger "Spiel mit", eine Live-Sendung, die in mehreren Teilen über den ganzen (Feier-)Tag im DDR-Fernsehen gesendet wurde.
Ponesky, der von vielen einfach nur "Pony" genannt wurde, hatte aufgrund seiner Moderationen auch andere Spitznamen: "Seelen-Hitchcock" oder "Blonde Träne" wurde er zuweilen auch von den eigenen Kollegen genannt. Egal, ob aus dem Friedrichstadtpalast in Berlin oder aus einer anderen Stadt in die Wohnstuben übertragen wurde, Ponesky verbreitete immer eine Atmosphäre voller Spannung. Dazu kam, dass die meisten Kandidaten naturgemäß nicht auf die Spiele oder die vermeintlichen Überraschungen vorbereitet und manchmal damit überfordert waren.
Die Grenze des guten Geschmacks war in der elften Sendung, am 16. April 1966 aus dem Friedrichstadtpalast überschritten: Die Inszenierung einer öffentlichen Entschuldigung von Walter Ulbricht bei seinem ehemaligen Minister Max Fechner, der wenige Jahre zuvor inhaftiert und verurteilt worden war, wirkte auf viele Zuschauer wie eine Farce.
... diese Mentalität hat sich ziemlich erhalten. Die war irgendwo auch echt. Die ist sicherlich nicht von allen geteilt worden und vielleicht nicht mal von der Mehrheit. Aber bei vielen blieb das nicht so ohne Folgen und vermittelte wirklich irgendwie das Gefühl: 'In der DDR ist zwar manches bescheidener und kleiner als im Westen, aber dafür so unheimlich menschlich.'
Erst geht Ulbricht, dann die Sendung
Mit dem Ende der Ulbricht-Ära verabschiedete man sich auch schnell von der Propaganda einer "Sozialistischen Menschengemeinschaft". Der Sendung wurde dadurch die Grundlage entzogen und ein Großteil des Publikums wendete sich von dem einstigen "Fernsehliebling" ab. Ende der 1960er-Jahre flimmerten die letzen Folgen von "Mit dem Herzen dabei" über die Bildschirme, im September 1969 folgte das Ende des Ablegers "Spiel mit!". Der Ausflug des DDR-Fernsehens in die bunte Unterhaltungswelt mit Spiel, Spaß und Spannung sollte in dieser Form einmalig bleiben.
Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise | 14. Juni 2020 | 22:25 Uhr