Dr. Katrin Pieper im Gespräch Kinderliteratur in der DDR
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21. Juni 2010, 12:08 Uhr
Der Kinderbuchverlag Berlin war der größte Verlag für Kinder- und Jugendliteratur in der DDR. 1949 gegründet, erschienen hier bis 1989 etwa 5.000 Bücher – Romane, Gedichte, Bilderbücher.
Dr. Katrin Pieper studierte an der Berliner Humboldt-Universität Germanistik und Theaterwissenschaften. 1960 begann sie eine Tätigkeit als Lektorin im Kinderbuchverlag. Von 1975 bis 1992 war sie Cheflektorin des Verlags. Heute arbeitet sie als freie Autorin und Herausgeberin.
Welche Rolle spielte Kinderliteratur in den Anfangsjahren der DDR?
Dr. Katrin Pieper: Es ging darum, eine "humanistische Literatur" für Kinder zu entwickeln, ausgehend von der deutschen bürgerlichen Kinderliteratur. Aber die andere Sache ist der Aspekt einer "eigenständigen sozialistischen Kinderliteratur". Das war der Auftrag, und der war erteilt worden zum einen von der sowjetischen Militäradministration, zum anderen von der SED-Regierung. Dieses waren im Grunde die beiden Säulen, auf denen die Kinderliteratur in jenen Jahren aufbaute.
Welche Veränderungen gab es in den 60er-Jahren?
Die Entwicklung einer eigenen DDR-Kinderliteratur begann in dieser Zeit, also Mitte/Ende der 60er-Jahre. Und sie ist vor allem mit Benno Pludra, mit Willi Meink oder mit Gerhard Holtz-Baumert verbunden. Das waren junge Autoren, die versuchten, die Tradition der bürgerlichen deutschen Kinderliteratur mit der zeitgenössischen russischen Kinderliteratur, die damals eine große Rolle in der DDR spielte, kreativ zu verbinden.
Wurden die Probleme der Gesellschaft von nun an schärfer reflektiert?
Ja, klar. Probleme der Gesellschaft schwappten nun in die Kinderliteratur hinein. Und in diesen Jahren wurde auch deutlich, dass Schreiben für Kinder auch und vor allem ein Schreiben für gleichberechtigte Leser ist.
Eine Besonderheit der Kinderliteratur in der DDR war, dass viele namhafte Autoren sich nicht zu schade waren, für Kinder zu schreiben...
Tatsächlich war es so, dass es kaum Autoren in der DDR gab, die nicht für Kinder schrieben. Es gibt ein paar Ausnahmen – Herman Kant hatte uns abgewinkt, er sagte: "Ihr habt schon meinen Bruder (Uwe Kant – Anmerkung der Redaktion), das muss reichen." Mit Christa Wolf waren wir im Gespräch, da kam jedoch das Ende der DDR dazwischen. Aber ansonsten hatten wir Kinderbücher im Programm von Erwin Strittmatter, Stefan Heym, Peter Hacks, Sarah Kirsch, Christoph Hein, Thomas Rosenlöcher. Gewissermaßen die erste Reihe der DDR-Autoren. Und das war natürlich ein bedeutender Gewinn an literarischer Qualität. Es machte die Kinderbücher letzten Endes zu Kinderliteratur.
Welche Rolle spielten dabei die Illustrationen?
Die Illustrationen spielten dabei eine große Rolle. Ein Kinderbuch lebt ja nicht zuletzt von den Zeichnungen. Und dass wir dann grafische Kunst in die Kinderbücher hinein brachten, mussten die Leser zum Teil erst lernen anzuerkennen. Wir schufen ja auch Editionen mit Grafikern, die sich nicht als reine Illustratoren der Texte verstanden, sondern eigenständige Zeichnungen schufen. Wir haben aber auch Künstlerbilderbücher gemacht oder Kinderkunstkalender, in denen wir den Kindern internationale Künstler vorstellten.
Wie stark waren die Versuche einer ideologischen Einflussnahme?
Der Kinderbuchverlag war dem Ministerium für Kultur unterstellt. Die Einflussnahme hielt sich aber in Grenzen. Heute fragt mich jeder: Was ist denn verboten worden? Doch diese "verbotenen" Bücher kann ich an den Fingern einer Hand abzählen im Verlauf von 15 Jahren, die ich als Cheflektorin des Verlags arbeitete. Es war weniger eine Frage des Verbietens als vielmehr der Hartnäckigkeit, mit der man um ein Buch kämpfte. Die Kinderbuchautorin Christa Kozik hat einmal auf die Frage nach der Zensur geantwortet: "Wenn man nur hartnäckig genug war, hat man auch alles durchgekriegt."
Gab es nicht auch eine Art Selbstzensur?
Die spielte sicher auch eine Rolle, wenngleich weniger bei den Autoren. Es gibt in den Tagebüchern von Franz Fühmann, der bedeutende Kinderbücher schrieb, eine Stelle, da schreibt er: "Das, was ich eben schrieb, darf sowieso nicht gedruckt werden. Aber ich schreibe es trotzdem." Sicher stellte ich mir auch manchmal die Frage: Lasse ich es besser bleiben, ein bestimmtes Buch ins Programm zu nehmen, weil ich es sowieso nicht durchkriegen werde?
Wie lief das "Genehmigungsverfahren" ab?
Wir hatten einen Gutachter aus dem Verlag und einen sogenannten Außengutachter, meist einen Schriftsteller oder Literaturwissenschaftler. Das Ministerium hatte seinerseits auch einen Gutachter. Wir sind dann mit dem Verlagsgutachten und dem Außengutachten ins Ministerium. Und in aller Regel tat sich dort gar nichts, das heißt, das Buch wurde durchgewinkt. Man muss auch sagen, dass dort keine Dummköpfe saßen, sondern Leute, mit denen man reden konnte.
Es gab aber Bücher, um die hart gerungen wurde. Zum Beispiel um Werner Heiduczeks "Der hässliche kleine Vogel". Aber Heiduczek sagte: "Ich ändere nichts!" Und wir sagten, er soll auch nichts ändern. Das Buch ist schließlich erschienen. Oder Christa Koziks "Kicki und der König". Da hatte das Ministerium Bedenken, weil in einer Passage des Buchs von verdreckten Eisenbahnabteilen die Rede war. Aber auch das Buch ist erschienen und wurde wie Heiduczeks "hässlicher kleiner Vogel" ein großer Erfolg, nicht nur in der DDR.
DDR-Kinderbücher hatten weltweit einen guten Ruf. Woran lag das?
Es wurde immer – etwa auf Buchmessen oder internationalen Verlagstreffen - gerühmt, dass sowohl das grafische als auch das erzählerische Handwerk sauber gehandhabt wurde. Und wir hatten ja tatsächlich gute Erzähler. Die hatte man in anderen Ländern natürlich auch, ganz klar. Aber es ist auch gar nicht die Frage, wer war besser. Sondern die Akzeptanz bestand schlicht darin, dass die Autoren gute Geschichten erzählten, die sie auch überzeugend darzustellen vermochten. Hinzu kamen dann noch die tollen Illustrationen. Das Manko lag hingegen ganz eindeutig in der oftmals miserablen Papierqualität.