Einst weltberühmt: Heynowski und Scheumann

22. Juni 2018, 16:01 Uhr

Die Dokumentarfilmer Walter Heynowski und Gerhard Scheumann waren einst weltberühmt. Sie drehten mehr als 70 Filme und bekamen zahllose Preise in Ost und West. Dass Heynowski und Scheumann ein eigenes Filmstudio besaßen und Privilegien genossen, machte es westlichen Kritikern leicht, sie als bloße "Propagandisten" abzutun.

Auf dem IV. Kongress des "Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR" im Dezember 1982 kritisierte der Dokumentarfilmer Günter Scheumann scharf die Medienpolitik der SED: "Die Qualität der Medienpolitik ist ein Gradmesser für die soziale Kultur eines Landes", sagte Scheumann, selbst SED-Mitglied. "In dem Maße, wie sich eine Gesellschaft über ihre Probleme öffentlich verständigt, bekundet sie entweder ihre Reife oder Unreife." Scheumann zog mit seiner Kritik umgehend den geballten Zorn der Staatspartei auf sich. Eine der Folgen: die Auflösung des "Studio H&S". Es war das trostlose Ende eines in der DDR beispiellosen Unternehmens - des privaten Filmstudios der Dokumentarfilmer Walter Heynowski und Günter Scheumann.

"Piloten im Pyjama"

Walter Heynowski (geb. 1927) und Gerhard Scheumann (1930 - 1998) hatten Mitte der 1960er-Jahre begonnen, Filme für Kino und Fernsehen zu drehen. Bereits ihre ersten größeren Arbeiten fanden über die Grenzen der DDR hinweg Beachtung. Etwa "Geisterstunde" - ein Porträt der Bonner Wahrsagerin Buchela, die sich das "Orakel von Bonn" nannte und bei der sich hochrangige Politiker Rat holten. Oder aber der Film "Piloten im Pyjama". Als erstes Filmteam der Welt waren Heynowski und Scheumann 1968 von den Vietnamesen ins Land hineingelassen worden. Die Dokumentaristen aus dem Osten Deutschlands hatten den klaren Auftrag, amerikanische Bomberpiloten, die über Vietnam abgeschossen worden waren und sich in vietnamesischer Gefangenschaft befanden, so zu interviewen, dass die amerikanische Militärstrategie und vor allem die moralische Überlegenheit der ihre Heimat verteidigenden Vietnamesen sichtbar würden. Vor allem dieser Film (zu dem auch ein opulentes Begleitbuch mit Fotos von Thomas Billhardt erschien) bewog die Regierung der DDR, den beiden aufstrebenden und ganz in ihrem Sinne agierenden Filmemachern ein einzigartiges Privileg zu gewähren.

Einzigartiges Privileg

Am 1. Mai 1969 gestattete sie den beiden Dokumentarfilmern, sich ein eigenes Filmstudio einzurichten, das "Studio H & S". Das "Studio H & S" verfügte über Privilegien, von denen Filmemacher in der DDR nicht einmal zu träumen wagten: ökonomische und (weitgehende) ideologische Unabhängigkeit, ein vom Staat stets wieder aufgefülltes Devisenkonto, die Erlaubnis, jederzeit in jedes beliebige Land der Welt reisen zu können, westliche Technik sowie Papierkontingente für Begleitbücher zu den Filmen.

Heynowski und Scheumann nahmen die Privilegien wie selbstverständlich hin, schließlich, so argumentierten sie, bräuchten sie Devisen bei ihren zahllosen Auslandsaufenthalten und eben auch solide Technik, wenn sie etwa im Dschungel Vietnams filmten.

Zahllose Preise in Ost und West

Bis zum Verbot 1982 entstanden im "Studio H & S" etwa siebzig Dokumentarfilme. Die Entwicklung in der DDR kommt in ihnen nur am Rande vor, Heynowski und Scheumann waren zumeist in der großen weiten Welt unterwegs: in Westeuropa, Asien und Südamerika. Sie berichteten vom Krieg der USA in Vietnam, den Greueln des Pol Pot-Regimes in Kambodscha, dem Militärputsch Pinochets in Chile oder von alten und neuen Nazis in der BRD. Vor allem die Filme über den Vietnam-Krieg und den Militärputsch in Chile wurden auf zahllosen Festivals in Ost und West gezeigt und mit etlichen Preisen versehen. Insgesamt wurden die Filme aus dem "Studio H & S" zwischen 1974 und 1989 in mehr als 40 Retrospektiven auf allen Kontinenten aufgeführt.

"Wahrheit muss man schaffen"

Die Filme von Heynowski und Scheumann dokumentieren die Zeitläufe im Namen einer Idee, der sich die beiden Filmemacher verschrieben hatten: dem des Kommunismus. Und das hieß für sie: Mit den Mitteln des Films für diese Idee kämpfen. Daher waren ihre Werke im Westen stets auch umstritten. Polemik und ideologische Propaganda warfen Kritiker den ostdeutschen Filmemachern vor. Auf der anderen Seite zeichnet ihre Filme, wie der Leipziger Dokumentarfilmer und Autor Günter Jordan lobt, ein "hoher Standard an Argumentation, Rhetorik und Inanspruchnahme künstlerischer Mittel" aus. Manche Kritiker sprechen gar von "formaler Virtuosität". Tatsächlich trennten "H & S" aber nicht zwischen Dokument und eigener Meinung. Der Kölner Filmhistoriker Olaf Möller: "Die Tennung von Propaganda und Dokument ist Heynowski und Scheumann fremd. Wahrheit, so sehen das die beiden Filmemacher, muss man schaffen."

"Wir sind mit unseren Filmen dabei gewesen"

Auf die Frage nach den Prinzipien ihres gemeinsamen Schaffens gestand Günter Scheumann 1997 freimütig: "Wir waren von der Auffassung geprägt, dass wir uns in einer Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus befinden. Vom Ende her betrachtet könnte man sagen, dass die Definition vom Charakter der Epoche durch die Geschichte widerlegt ist." Bleiben aber würden "Positionen, deren wir uns niemals zu schämen brauchen, sowohl was Chile als auch Vietnam und Kambodscha betrifft. Wir können sagen: Wir sind mit unseren Filmen dabei gewesen."

Quellen: Ralf Schenk, Walter Heynowski & Gerhard Scheumann, defa-Stiftung.de, www.filmmuseum.at, Norbert Wehrstedt, Am Ende tiefe Enttäuschung, lvz.de.

(sl)

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Kino Royal" 03.11.2013 | 23.05 Uhr